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Fin de Partie an der Wiener Staatsoper. Foto: © Wiener Staatsoper - Sofia Vargaiová

Fin de Partie an der Wiener Staatsoper. Foto: © Wiener Staatsoper - Sofia Vargaiová

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Oper als philosophischer Zustand – „Fin de Partie“ von György Kurtág an der Wiener Staatsoper

Vorspann / Teaser

Als Samuel Becketts berühmtes Theaterstück „Endspiel“ 1957 herauskam, saß der ungarische Komponist György Kurtág bereits im gleichen Jahr in der Pariser Aufführung. Es folgte eine lebenslange Annäherung an das Werk des Dramatikers in kleinen Liedern und Vertonungen, bevor er etwa um 2010 den Plan fasste, dieses Stück für die Opernbühne zu komponieren. Die Arbeit war lange und intensiv, die Uraufführung wurde mehrfach verschoben, der Komponist war dann zweiundneunzig Jahre alt, als in Mailand „Fin de Partie“ 2018 zum ersten Mal erklang. Nach einigen Gastspielen der Uraufführungsproduktion sowie einer Neuproduktion in Dortmund in diesem Jahr brachte die Wiener Staatsoper das Stück nun als drittes Haus neu heraus, die Inszenierung übernahm Herbert Fritsch, der bereits am Haus den „Barbier von Sevilla“ als komödiantisches Figurentheater zeigte. 

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Nun ist aber „Fin de Partie“ ein anderes Kaliber und handelt von Leben, Vergänglichkeit und Vergehen, was auf einer kunstvoll-künstlerischen Abstraktionsebene gerade noch auszuhalten ist. Im Beiwohnen des 105-Minuten-Grenzfall-Theaters entdeckt man dennoch angesichts eines wie immer auch sich gebenden Endes ein plötzliches Staunen, gar subtile Komödie. Und rutscht einem noch zu Beckett das in der Schule brav gelernte Etikett „absurdes Theater“ heraus, wird man gleich vom Komponisten eines Besseren belehrt: „Vergessen wir, dass das absurd ist! Das ganze menschliche Leben steckt in seinen Werken!“ Vielleicht ist dieses Stück eine Art philosophischer Zustand, von dem aus man Theater, Musiktheater, Stimmenkomponieren und sogar (Welt-) Enden neu denken könnte?

Kurtágs nobelste Ansinnen gelten dem Text Becketts, dem er mit dem Brennglas folgt und den Stimmen, die nicht mehr als Träger dieser feinfühligen Sprache sind. Hier wird der Komponist zum Kollaborateur der Gedanken, seien sie auch noch so abseitig und abgründig. Dabei gelingt es Kurtág, das Theaterkunstwerk an keiner Stelle zu beschädigen oder womöglich für eigene Zwecke zu transformieren. Die Behutsamkeit und Genauigkeit, mit der der Komponist arbeitet und mit der sich insbesondere das Staatsopernorchester eine große Arbeit auferlegt, erzeugt allerdings auch eine Seriosität dieses Opernabends, dem selbst Herbert Fritsch nicht im Vorbeigehen wieder Leichtigkeit zugießen kann. 

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Doch fantastisch versuchen die vier Protagonisten der Oper mit ihrem räumlich begrenzten Spiel (Nagg und Nell müssen ihren kompletten Part aus der Mülltonne heraus bestreiten, Hamm sitzt im Rollstuhl) über den sehr gut deklamierten Text hinaus immer wieder Blicke, Mimik und Gestik einzusetzen, und man freut sich in Fritschs Personenregie über mehr menschlich-körperliche Agilität in diesem Stück als man es sonst in manch klassischem Stehtheater geboten bekommt. 

In der größten Partie überzeugt Philippe Sly (Hamm) mit seinem angenehm tönenden Bariton, daneben agiert Georg Nigl als sein Diener Clov, der rollenbedingt auch die höheren Räume seiner Stimme auskostet, sowie Hilary Summers (Nell) – die als einzige auch in der Uraufführungsproduktion mitspielte – und Charles Workman (Nagg). Sie alle agieren nicht nur stimmlich höchst biegsam, sondern müssen die besondere Aufgabe, quasi rezitativisch eine ganze Oper zu erzählen, was bei Kurtág eben nur selten in ein befreites Lossingen mündet, stemmen. Zudem läuft fast immer ein Instrument parallel, was aber je nach Führung eine zusätzliche Challenge bedeutet, auch wenn es sich nach helfendem Background anhört. 

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Endspiel in Wien. Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Poehn

Endspiel in Wien. Foto: © Wiener Staatsoper / Michael Poehn

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Die erfahrene Dirigentin Simone Young steuert diese elegant-filigranen Sprach-Singzeichnungen vom Pult aus ruhig und klar. Manchmal hat man das Gefühl, das Orchester ist selbst in der Premiere noch im Entdeckermodus, findet aber bald einen passenden Kurtág-Ton, der auch Pausen zum Erlebnis macht und stille Musik aushält. Verändert hat sich seit der Uraufführung sowohl inszenatorisch als auch aus dem Graben wenig – obwohl Kurtág sich immer noch vorbehält, eine vorläufige Fassung von „Fin de Partie“ zu zeigen, hat er weitere Szenen nicht hinzukomponiert, allerdings traf sich Simone Young mit dem Komponisten zur Vorbereitung in Budapest. 

Das ist vermutlich der einzige offene Wunsch nach dieser gelungenen Produktion in Wien: dass die Enge, in die das Stück sich aufgrund seiner Detailgenauigkeit selbst treibt, einmal in künftigen Sichtweisen aufgehoben wird. Wenn das Stück wörtlich End-Spiel heißt, darf die Waage auch gern noch mehr in Richtung Spiel ausschlagen, wenngleich das Setting sich selbst begrenzt – in Mailand spielte man vor einem Häuschen, in Dortmund auf einem Rollrasen, hier ist es nun ein weitläufiger Innenraum, dessen Lichtspiele (Friedrich Rom) zumindest ein natürliches Draußen suggerieren, allerdings gerät irgendwann auch diese Behausung in ein sanftes Schwanken …

Das erstaunlich konzentriert folgende Wiener Publikum nahm die Premiere durchweg begeistert auf, und zeigte nach dem jüngsten Verriss des „Don Carlo“, dass man durchaus auch in der Lage ist, stärkeren Tobak zu kauen, wenn man etwas mit nach Hause bekommt, was selbst in seiner Sinnlosigkeit Sinn ergibt oder, noch besser, man darf plötzlich nach der Oper sagen „So ein Quatsch!“ und das stimmt auf famose Art auch noch. Das feine Lächeln, das bei dieser Erkenntnis beiläufig entsteht, ist wohl das beste Verdienst dieser Produktion. 

Dass man Kurtág auf der Opernbühne künftig noch mehr erleben wird, erfährt man beiläufig aus dem Programmheft, das verrät, dass der 98-Jährige bereits an seinem zweiten Opernprojekt komponiert …

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