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Patchwork und Verstellungen im Büro

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Neue Stücke von Christoph Reiserer und Olga Neuwirth in München
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Eine Kammer- oder besser Bürooper vom Münchner Komponisten Christoph Reiserer und ein zwischen allen Stilen bunt hüpfendes Setting der Österreicherin Olga Neuwirth (zusammen mit dem „ICI Ensemble“) haben das Münchner Publikum aus der vorweihnachtlichen Nostalgie gerettet und klar konturierte Ausblicke auf neue musikalische Wege geliefert.

„Und wenn wir dann so weit sind, können wir anfangen“: Das klingt schon mal nicht schlecht. Bestens geeignet für den Titel einer Oper, die von Verhinderung berichtet. Ursprünglich hatte die Truppe um den Komponisten Christoph Reiserer und die Regisseurin Cornelie Müller vorgehabt, die Kurz- und Einpersonenoper „La voix humaine“ von Francis Poulenc – sie spielt in einem Büro am Telefon – in eine duftige, klein besetzte Form zu bringen. Doch da haben die Erben ein Mitspracherecht, und immer wo dies der Fall ist, sind die Karten schlecht gemischt. Ein bürokratischer Kampf oder Krampf begann, die Musik unterlag, Rechte zur Bearbeitung wurden nicht erteilt.

Das war der Punkt für eine Volte, und Kunst kann ja bekanntlich Wut in Läuterung, Trauer in Triumph verwandeln. Wenn man also schon nicht Poulenc spielen durfte, so konnte man doch eine kleine Oper über die Poulenc-Verhinderung schreiben. Das Libretto hatten schon die Rechtsnachfrager und die Rechteverwerter in groben Zügen verfasst, Cornelie Müller musste nur noch ein wenig verschlanken und zuspitzen. Auch der Ort war klar, natürlich ein Büro: und man fand das Euro-Trainings-Centre in der Sonnenstraße. Was nun folgte, war das Vergnügen am Widersinn. Ein paar Stühle mit Rollen, ein Schreibtisch, eine Schreibmaschine, ein Telefon und noch ein paar Kleinigkeiten reichten aus, um die Absurditäten des Urheberrechts heute aufzuspießen. Die sieben Musiker (vom Ensemble „piano possibile“) rollten auf den Bürostühlen hin und her, wurden in den Vorraum verdrängt, blieben aber beharrlich (das Wort „Musikmusssein“ steht im Libretto). Die Sekretärin (Rose Bihler Shah) verwickelte sich sprechend und singend im Gewirr aktenkundiger Verlautbarungen und sprachlicher Missverständnisse.

Christoph Reiserer hat dazu eine wunderbar griffige Musik geschrieben, die mit Fragmenten aus Ironie und Wahnsinn jonglierte. Es waren im Grunde kleine Modelle, rhythmische oder motivische Pointierungen, aus denen der Verlauf der Musik abgeleitet wurde. Und trotz dieser Sparsamkeit wanderte das Stück behände vom Fugato zu einem erschlafften Choral, vom wilden Tanz zur Adagio-Trauer.

Das Münchner Jazzensemble ICI hatte dagegen Olga Neuwirth zur Zusammenarbeit eingeladen. Gern sucht sich das „ICI Ensemble“ Künstler mit anderem ästhetischen Hintergrund und es fuhr bislang mit Musikern/Komponisten wie Barry Guy, George Lewis oder Vinko Globokar nicht schlecht damit. Und wieder eine treffliche Wahl: Neuwirth, in Opernhäusern und bei den Salzburger Festspielen ebenso zuhause wie auf Festivals der Zeitgenossen oder in Szenelokalen, wobei sie stets kritisch aufmüpfig die Qualitäten der anderen Seite in Szene setzt, hat offensichtlich mit großem Vergnügen mit den ICI-Musikern zusammengearbeitet.

Zwei Stücke wurden erarbeitet: „Who am I“ mit Textpassagen aus einem Brief, mit dem sich Franz Kafka vom Vater los schrieb, und das bis hin zu Zappa zappende, kunterbunte und zugleich psychotraumatisch insistierende Stück „No more“. Das Patchwork-artige Springen zwischen musikalischen Stil- und Ausdrucksmitteln vom Bigband-Sound über Rock, Blaskapelle, Klassikassoziationen bis hin zu Noise-Schienen – und bei Neu-
wirth wurde herum gesprungen wie in einer Horde von Fahnenflüchtigen – kann sich sehr schnell abnutzen und dann zum bloß noch blöden Effekt verkommen. Neuwirths feinsinniges Ohr aber baute immer wieder Barrikaden oder Fallstricke, dazu auch Ebenen des stillen Widerstands ein. So präsentierte das bestens aufgelegte „ICI Ensemble“ eine höchst engagierte, sich stets selbst hinterfragende Musik mit glänzender Außenseite und tiefen Gräben im Inneren.

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