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Foto: © Iko Freese, drama-berlin.de
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„Petruschka“ und „L'Enfant et les Sortilèges“ als animierte Doppelproduktion an der Komischen Oper Berlin

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Mit Barrie Koskys Inszenierung der „Zauberflöte“ im Zeichentrick-Ambiente der britischen Theatergruppe „1927“ wurde zu einem „Kassenschlager“ am Stammhaus und „an Dutzenden Häusern zwischen Amerika und Asien“. Gezielte Erfolgsfortsetzungen erweisen sich in der Regel als schwierig, so auch hier, wo die Erfolgsmasche für ein kurzes Strawinsky-Ballett, gekoppelt mit einem Operneinakter, neu angewandt wird.

Igor Strawinskys ursprünglich als Konzertmusik konzipierte „Petruschka“, von Diaghilev 1911 zu einem seiner „Balletts Russes“ verwandelt, erzählt von drei zum Leben erweckten Puppen. In Berlin wird dieses Ballett nicht von Tänzer_innen realisiert, sondern von Artisten: Tiago Alexandre Neta Fonseca als Clown Petruschka, Pauliina Räsänen als Hochseil-Akrobatin Ptitschka und Slava Volkov als Muskelmann Patap. Alle anderen Handlungsträger des „Petruschka“-Balletts sind nur gezeichnet. Mit holzschnittartig plakativ überzogenen Figuren und kyrillischen Riesenlettern nimmt Animator Paul Barritts Bezug zum Konstruktivismus und zur sowjetischen Moderne.

Die Übersetzung der russischen Texte kann der Besucher zwar auf dem Display des Vordersitzes mitlesen, aber inzwischen hat er bereits mehrere der in Viva-Geschwindigkeit erfolgenden Schnitte verpasst. Noch eklatanter wird dies bei der nachfolgenden Kinderoper, die in der zweiten Aufführung auch zahlreiche Kinder als Besucher angelockt hat, denn Maurice Ravels „L‘enfant et les sortilèges“ („Das Kind und der Zauberspuk“) wird in der Originalsprache gesungen.

Zwei dick ausgestopfte Mädchen – die Sängerin Nadja Mchantaf und ihr Double – spielen den bösen Jungen, der in frühpubertärer Anwandlung das Pendel der Kuckucksuhr herabreißt, die Tapeten aufkratzt, die Katze am Schwanz zieht und dem Eichhörnchen den Schwanz abschneiden will. Die Dekoration mit real gebauten Versatzstücken fährt auseinander, und die Akteure stehen wieder vor jener weißen Projektionsfläche mit den schon aus der „Zauberflöte“ und dem ersten Teil des Abends bekannten Adventskalenderöffnungen für Auftritte und Abgänge, laufen auf der Stelle, während die Projektion an ihnen vorbeirennt oder die Sonne aus einem Rundloch im oberen Eck flammende Feuerbälle herabwirft. Die Interaktion zwischen den Darstellern und den gezeichneten Gegenständen sorgt immer wieder für Verblüffung, wenn reale Requisiten ins Spiel kommen.

In der „Zauberflöte“ hatte der Hausherr selbst Regie geführt, für den neuen Doppelabend sind die Video-Performer der Gruppe „1927“ auf sich allein gestellt. Prompt gerät die ausführliche Szene mit der Prinzessin (von Talya Lieberman sehr schön gesungen) überaus redundant, zu einem Konzert in Kostüm.

Die entscheidende Szene zur Beendigung des Albtraums der sich rächenden Flora und Fauna durch die Umkehr des bösen Knaben, seine Heilung des Eichhörnchens, bleibt sogar auf der Comic-Ebene ungelöst.

„Brüder im Geiste“ nennt Barritt die Komponisten Strawinsky und Ravel und begründet die ungewöhnliche Koppelung durch den diesen beiden Handlungen gemeinsamen „Verlust von Kontrolle“.

Enttäuschend ist die musikalische Ausführung des Abends. Nicht, dass die Live-Video-Performer Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt trotz hunderter Einzel-Schaltungen in der zweiten Aufführung nicht immer synchron mit Dirigent Markus Poschner sind; auch das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt so sauber, wie die Solist_innen engagiert singen. Aber die blecherne elektroakustische Übertragung gemahnt unangenehm an die ungenügenden Lichttonspuren alter Firme vor ihrer digitalen Aufbereitung. Strawinskys Burlesque klingt blechern wie die Fahrgeschäfte des Jahrmarkts, und Ravels fantaisie lyrique scheint aus der leinwandfüllenden, vom Jungen zerbrochenen Tasse zu scheppern.

Bereits nach 39 Minuten hatte sich – sicherlich nicht aus Umbaugründen – eine halbstündige Pause angeschlossen um die Gesamtdauer des Spektakels auf knapp zwei Stunden zu strecken. Am Ende herrschte im Publikum weniger Begeisterung als Vergleichsabwägung mit der „Zauberflöten“-Produktion, während die Kinder angesichts ihrer Super-RTL-Erfahrungen kaum aus dem Häuschen zu locken waren. Schade.

  • Weitere Aufführungen: 19. Februar,  2., 5., 10., 26. März und 11. Juli 2017. Ab 9. März 2018, ist die Koproduktion mit der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf zu sehen.

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