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Foto: Sabina Sabovic
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Phänomenale Küsterin – „Jenufa“-Premiere in Altenburg

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Manchmal gewinnen Produktionen mit der Zeit Dichte und Format. Theater und Philharmonie Thüringen bringen Erstvorstellungen in den beiden Theaterstädten Gera und Altenburg abwechselnd heraus. Bei „Jenufa“ zog Altenburg nach und hatte den Qualitätsjoker. GMD Laurent Wagner war im Graben bei Janacek weitaus agiler als kürzlich bei „Rigoletto“, das Ensemble erreicht geschlossen Höchstform in der Inszenierung von Generalintendant Kay Kuntze. Anerkennung und Chapeau für das Fünfspartentheater mit seinen (noch?) 77 Orchestermusikern. Langer, herzlicher Beifall mit Nachdruck.

Anfangs steht Jenufa vor dem eisernen Vorhang mit dem Thymian-Stock, den Laca aus verschmähter Liebe zu ihr vergiftet. Am Ende, wenn beide endlich in der so unerhört dichten Duoszene zusammenfinden, schließt sich der Eiserne wieder der Buryja-Mühle. Jetzt ist Jenufa nicht mehr einsam. Was sich dazwischen in Leos Janaceks Durchbruchsoper in der Prager Fassung von 1916 ereignet, ist spannendes Menschentheater von satter emotionaler Wirkung. Grob-realistische Ensembleblöcke stehen zwischen anrührenden Szenen, in denen Kay Kuntze Janaceks außergewöhnlicher Partitur sekundengenaue Tiefenschärfung gibt.

Martin Fischer hat ihm dafür eine Mühle gebaut, deren hölzerne Seitenwand im ersten Akt Hintergrund ist. Nach offener Verwandlung sind die Mühle und das Mühlrad mit Sternenfirmament dahinter Schauplatz für den ehrenrettenden Männerschacher der Küsterin und deren Entschluss, das Kind für ihre Ziehtochter Jenufa zu opfern. Realismus und Symbolik halten sich in sinnhafter Balance, wenn das Schneetreiben in die Mühle dringt, wenn Jenufa alle Kindersachen in einer Eisenwanne verbrennt und wenn die Küsterin in Angstattacken den Ausgang vernagelt. Fischers Kostüme verorten das Geschehen mit Kittelschürzen und Schwarz für die gezeichneten Mütter eindringlich in einem mitteleuropäischen Bauernleben, das abwirtschaftet.

In einem umfangreichen Programmheft-Beitrag bekennt sich Laurent Wagner zur Prager Fassung 1915. Diese musikalische Auslegung bestätigt ihn. Wie er die geteilten Streicher an den entscheidenden Stellen dynamisch staffelt, das Blech auch hintergründig schmettern lässt, wie er die Holzbläser in den Wetter- und Seelenstürmen auffächert – das zeigt gestaltende Emphase und Liebe zu dieser Musik. Das Philharmonische Orchester nimmt alle Impulse bestens disponiert auf.

Ausnahmeleistungen

Zwei Ausnahmeleistungen hat diese Produktion: Beela Müller kommt mit einstmals lyrischem Mezzo endlich zur Küsterin, einer der spannendsten Opernrollen überhaupt. Sie schafft den großen und bewundernswert differenzierten Bogen prachtvoll: Im ersten Akt zeigt sie in den Wortgefechten eher die erfahrenen leidvollen Verletzungen als Aggression. Hass und Getriebenheit springen sie in dieser Rollengestaltung erst später an. Nach diesen souveränen Anläufen kann sie ohne Veräußerlichung die Wahnattacken in höchster Spannung ausagieren. Und das Verlöschen nach der Entdeckung des toten Säuglings zeigt sogar noch lyrische Reminiszenzen. Eine Glanzleistung.

Mehr noch getrieben als die Küsterin ist hier Laca in der Neubesetzung mit Hans-Georg-Priese. Er umlauert Jenufa mit fahrigen kleinen Bewegungen, springt die alte Buryja mit gebremster Aggression des Zurückgesetzten an und zeigt in jeder Geste die Sehnsucht nach Liebe. Priese fokussiert das auch vokal, setzt in den Höhen fahle Turbulenzen zur Charakterisierung, hat eine schneidende Diktion und verleugnet passend sein erwiesen bestehendes Legato-Potential. Laca balanciert immer kurz vor dem inneren Absturz. Durch Priese wird das ein abendfüllender Psychokrimi.

Anne Preuß in der Titelrolle hält da spannend mit – wenn auch rollenbedingt nicht ganz so eindringlich. Sie kehrt Rundungen ebenso bewusst ins Herbe und durchmisst die Kämpfe dieser jungen Frau mit Nachdruck von innen.

Stahlkraft für den alkoholisierten Widerling und Frauenverschleißer Stewa hat Max An als passend labil gezeichneter Gegenentwurf zu Laca. Akiko Tsuji als platzende bessere Partie ist erfreulicherweise kein nichtsahnendes „Strahlelieschen“ und Judith Christ eine Alte Buryja, deren Selbstbeherrschung das Innenleben derart drosselt, dass sie darstellerisch bewusst auch die Stimme neutralisiert.

Beklemmend bleibt über das Ende hinaus, dass für Laca und Jenufa Leidenszeit noch immer nicht vorbei ist. Auch deshalb ist das ein überragender Musiktheater-Abend in Altenburg und Gera.

  • Nächste Termine: 11. (14:30), 12. Februar in Altenburg, 12. März in Gera

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