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Asmik Grigorian (Senta) und Chor der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Asmik Grigorian (Senta) und Chor der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Pubertier Senta – „Der fliegende Holländer“ eröffnet die Bayreuther Festspiele

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Nach einjähriger Pause endlich wieder Bayreuther Festspiele! Das war der Grund-Tenor bei der diesjährigen Eröffnung mit einer „Holländer“-Neuinszenierung. Am Ende der pausenlosen Aufführung dann Füßetrampeln, Bravorufe und Standing Ovation des auf die Hälfte der Sitzplätze, auf 911 Besucher reduzierten Auditoriums – aber auch Ratlosigkeit und Enttäuschung über die Inszenierung von Dmitri Tscherniakov.

Dmitri Tscherniakov war der Wunschregisseur von Festspielleiterin Katharina Wagner für die Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“, doch da er bereits vergeben war, kürte sie diesen Regisseur und Ausstatter für Richard Wagners erste bayreuthwürdig erachtete Romantische Oper „Der fliegende Holländer“. Im Nachvollzug der Neuinszenierung mögen manche darüber froh sein, dass jener Regisseur, der im Jahre 2013 mit der „Zarenbraut“ an der Berliner Staatsoper im Schiller-Theater fulminant reüssierte und 2015 eine weniger gelungene "Parsifal"-Inszenierung am selben Haus nachfolgen ließ, nun doch nicht den gesamten „Ring“-Zyklus in Bayreuth inszenieren wird.

Tscherniakovs Erzählweise inmitten einer kinetischen Dekoration von Kleinstadthäusern der Neuzeit beginnt bereits in der Ouvertüre mit einer Rückblende, der programmatisch eine textliche Erklärung vorangestellt ist: „Der wunderbar immer wiederkehrende Traum des H. [Holländer]“: das heranwachsende Kind einer Prostituierten erlebt deren Leid und schließlich ihren Selbstmord; er will der Leiche als Erinnerungsstück einen Schuh ausziehen, was ihm jedoch nicht gelingt.

Als Erwachsener kehrt er im ersten Aufzug der Oper zurück in jene Stadt, deren männliche Bewohner sich in der Kneipe mit Seefahrerhistörchen die Zeit verkürzen; hier lernt ihn Daland kennen, der ihm seine Tochter verspricht. Am Ende aber erschießt Holländer einige Männer in seiner Heimatstadt und vernichtet die Kleinstadt anschließend durch Feuerbrand.

Die Bayreuther Programmhefte haben in der Ära der „Werkstatt Bayreuth“ vermieden, Inhaltsangaben abzudrucken. Anders nun im reich bebilderten Heft in der Redaktion des neuen Festspiel-Pressesprechers Hubertus Herrmann, mit Schwerpunkt-Aufsätzen zu Wagner „aus russischer Sicht“ und konzeptionellen Ausführungen der russischen Dramaturgin Tatiana Werestchagina zur Titelfigur der Oper, als dem „Manipulator und seinem Opfer“. Da findet sich auch eine Inhaltsangabe, der ebenfalls zu entnehmen ist, dass der Holländer „nach vielen Jahren in seine Heimatstadt zurück[kehrt]“. Was aber ist wirklich passiert, und wer ist jener Mann, der Holländers Mutter in den Suizid getrieben hat, war dies womöglich Daland?

Wie schon häufiger in früheren Bayreuth-Jahren, ermöglicht eine der Festspieleröffnung acht Tage vorausgegangene Parodie zusätzliche Aufschlüsse: Uwe Hoppes teils lapidare Paraphrasierung, teils sprachlich großartige, die Wagnerschen Werke in eine aktuelle Sprechweise transformierenden und Wagners revolutionäres Gedankengut dabei in heutige politische Sinnzusammenhänge rückenden Versionen der Bayreuther Studiobühne in Steingraebers Hoftheater, nehmen mit Insiderwissen gerne auch Bezug auf aktuelle Bayreuther Inszenierungen. In „Flieg Holländer flieg“ haben Daland und Holländer gemeinsame Jugenderlebnisse in einer Hippie-Kommune, u. a. Verhältnisse mit Mary und mit der toten Mutter Sentas; später stellt sich heraus, dass Erik Marys Sohn ist und Senta womöglich Holländers Tochter.

Polonäse Blankenese

In verschiedenen Orten Bayerns wurde den Restriktionen auf die Covid19-Pandemie mit unterschiedlichen Konsequenzen begegnet. In Bayreuth gab es seitens des Städtischen Gesundheitsamts die Auflage, keinen Chor auf der Bühne singen zu lassen. Daher wurden für die Hälfte des Festspielchores, 90 Mitglieder, Glaskästen in den Chorsaal eingebaut, in denen jede*r Chorist*in für sich alleine singt, während die andere Hälfte des Chores auf der Bühne agiert. Diese 90 nicht singenden Sänger*innen, die ihre Lippen lippensynchron zum Klang aus dem Chorsaal bewegen, die aber selbst hörbar laut lachen, mischen sich mit dem Sound der im Proszeniumsbereich angebrachten Lautsprecher-Batterien leider nicht optimal.

Dies erscheint bedauerlich angesichts der berühmten Präzision und Schlagkraft des häufig als „bester Chor der Welt“ bezeichneten Klangkörpers. Enttäuschend ist aber auch die Chorregie des Regisseurs, für den sich bereits in der Ouvertüre und dann im dritten Akt die Festivitäten in einer endlosen Polonäse Blankenese erschöpfen.

Wenig Spielastik auch in Wagners „Spinnstube“, wo die stummen Mädchen mit Gesangsbüchern in drei Halbkreisen die sie beim Spinnrad-Liedchen als Dirigentin anleitende Mary umgeben. Ungewöhnlich, dass Holländer und Senta beim langen Duett im zweiten Aufzug nicht alleine sind, sondern mit Daland und Mary mit ihnen am Abendessenstisch sitzen.

Entgegen der Inhaltsangabe im Programmheft erschießt Mary den Holländer. Senta überlebt einsam, wird aber auch in dem zuvor von ihr zuvor geohrfeigten Erik keinen Halt mehr finden.

Außerordentlich gut besetzt

Die Produktion ist gesanglich außerordentlich gut besetzt. Neben dem vielleicht etwas zu liebenswert auftretenden Daland von Georg Zeppenfeld, gestaltet Marina Prudenskaya eine kraftvoll im Leben stehende Mary, die hier als „Dalands Lebensgefährtin“ in Erscheinung tritt. Daneben obsiegen die erstaunlich heldischen Stimmen von Attilo Glaser als Steuermann und Eric Cutler als Erik. John Lundgren trägt gewichtig die ungewöhnliche Sicht auf die Titelpartie. Diese gesanglichen und darstellerischen Leistungen werden jedoch noch getoppt durch Asmik Grigorian als eine flippig pubertierende, rauchende und mit sich selbst nicht ins Reine kommende Senta, und dies mit einer immensen Palette an jugendlich klanglichen Facetten. Selbst ihren Treueschwur liefert diese Senta als eine Trotzreaktion. Kurz vor Ende lacht sie sich schier kaputt über die Männer in ihrer Umgebung. Gemeinsam mit Mary überlebt sie, doch sind Beide im übertragenen Sinne am Ende.

Standing Ovations bietet das Publikum für die Grigorian, wie auch für Oksana Lyniv. Die erste Dirigentin am Pult des Festspielhauses, mit Spannungsbögen für Wagnersche Unisoni, führt die Sänger*innen sicher und beweist Gestaltungswillen; Tempo-Diskrepanzen mit dem Chor im dritten Aufzug werden vom Publikum nicht ihr, sondern dem Chordirektor Eberhard Friedrich angekreidet. Buhrufe erntete auch das Team um Dmitri Tcherniakov – nicht weil diesmal fast alles anders war (daran ist das Publikum insbesondere beim „Fliegenden Holländer“ durchaus gewöhnt), sondern weil in der Chorführung, auch in der Begegnung mit „den sonderbaren Menschen, die mit Holländer gekommen sind“ (Inhaltsanagabe im Programmheft) Spannungslosigkeit herrschte und zu viele Fragen ungeklärt blieben.

  • Die nächsten Aufführungen: 31. Juli, 4., 7., 11., 14. und 20. August 2021.

 

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