Hauptbild
Alpenglühen im Erzgebirge: Andreas Hofer und seine Gesellen proben den Aufstand. Foto: Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz.
Alpenglühen im Erzgebirge: Andreas Hofer und seine Gesellen proben den Aufstand. Foto: Dirk Rückschloß
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Puppenstuben-Haft für das gesamte Personal – Ein Abend voller Widersprüche in Annaberg-Buchholz mit Lortzing-„Uraufführung“

Publikationsdatum
Body

Doppelpremiere in Annaberg-Buchholz: Opernausgrabung und Uraufführung an einem Abend! Muss man da hin? Wenn beide Werke von Albert Lortzing stammen, dann muss man da hin. Und landet hoch im Erzgebirge tief im Biedermeier.

Ein Abend voller Widersprüche: Die Ausgrabung ist eine Ausgrabung, denn „Der Weihnachtsabend“ von Albert Lortzing ist erstens heutzutage kaum bekannt und stammt zweitens auch nur zum geringen Teil von Lortzing. Der unglückliche Meister hat für dieses Bühnenspiel wohl den Text selbst verfasst, für die Musik aber ganz fleißig geklaut. Und die Uraufführung? Die ist als Uraufführung überall gut ködernd ausgewiesen, weil Lortzings „Andreas Hofer“ nie zuvor gespielt worden sei – im Vorwort zum beiliegenden Libretto wird jedoch „eine Aufführung am 2. Januar 1853 nachgewiesen.“ Das brachte den Intendanten des Eduard-von-Winterstein-Theaters zwar kurzzeitig in Erklärungsnöte, focht ihn aber weiter nicht an. Immerhin hatte er die Regie dieses Doppelprojekts zu verantworten.

Seicht aus der Hand geschüttelt

Zunächst also „Der Weihnachtsabend“. Den hatte Ingolf Huhn bereits an früherer Wirkungsstätte inszeniert, damals gekoppelt mit „Der Pole und sein Kind“. Ebenso wie die „Szenen aus Mozarts Leben“ und der nun angeblich uraufgeführte „Andreas Hofer“ entstanden diese mehr oder minder kurzweiligen Singspiele während der Detmolder Jahre zu eigenen Texten des am dortigen Hoftheater engagierten Schauspielers. Die Musik ist nur anteilig von Lortzing und zitiert kräftig bei Mozart, Schubert und anderen. Ob diese Vaudevilles einer besonders fruchtbaren Epoche – Familie Lortzing bekam in jenen Jahren immerhin sieben ihrer alles in allem elf Kinder – oder einfach nur dem schöpferischen Drang nach Broterwerb zuzuschreiben war, um die vielen hungrigen Mäuler zu stopfen, sei dahingestellt. Vielleicht sind „Launige Szenen aus dem Familienleben“ auch nur ein verfremdetes Abbild des Hauses Lortzing, nur dass sich hier das Familienoberhaupt namens Käferling mit seltenem Tierleben, dort mit feschen Sprüchen und fremden Noten beschäftigt hat.

Dieser Käferling nun widmet sich kaum seinen Liebsten, sondern hockt überm „Tierleben“ und berauscht sich an ausgestopftem Federvieh. Seine Frau bestimmt den Haushalt und beschert so den drei Kindern ein fröhliches Weihnachtsfest. Heile Welt also, wäre da nicht noch Suse, genannt Suschen, die heranwachsende Tochter aus erster Ehe. Sie ist schwer verliebt in Käferlings Neffen, wovon der Stiefvater aber nichts wissen will. Obendrein hat auch Vetter Michel ein Auge auf die junge Schöne geworfen, aber der ist zu alt.

Nicht ganz so seicht aus der Hand geschüttelt ist der Plot im ebenfalls knapp einstündigen „Andreas Hofer“. Der gern auch als Wilhelm Tell von Tirol gesehene Freiheitsheld wird ja bis heute gerne verehrt und verklärt, schon zu Lebzeiten und vor allem nach seiner Hinrichtung 1810 in Mantua gingen die Fabeln über ihn weit auseinander. Lortzing, der seinem 1833 geschriebenen Einakter derb volkstümelnde Szenen verpasste, dürfte von diesem Ausgang der Aufstände gegen bayrische und napoleonische Truppen durchaus gewusst haben. Um Zensor und Publikum milde zu stimmen, fertigte er aber ein Happy End – Hofer wird zwar verraten, steht jedoch todesmutig seinen Mann und überlebt als gefeierter Familienvater und Volksheld.

Biedermeier und Biedersinn

In beiden Stücken gehen Untertanengeist und Gottgläubigkeit fröhlich Hand in Hand. Familienbande sind zwar nicht frei von Abgründen, aber ein starker Arm bringt alles wieder in Ordnung. Hier wird nicht nur Biedermeier, sondern auch jede Menge Biedersinn offenbart.

Dass die Welt so nicht in Ordnung ist, zeigt bereits das Bühnenbild von Tilo Staudte, der für beide Produktionen die Ausstattung in ein Zimmerchen gesteckt hat, dessen Maßstab die Agierenden zu Spielfiguren schrumpft. Möbel im Normalmaß, Türklinken und Fenster aber in unerreichbaren Höhen. Puppenstuben-Haft für das gesamte Personal. Bei „Hofer“ wird das noch mit kniehohen Alpengipfeln aufgehübscht, da ist der Maßstab doppelt geknickt.

Während „Der Weihnachtsabend“ einfach nur mit typischen Kostümen der Zeit aufwartet, ist bei „Andreas Hofer“ alles noch mit deftigem Lokalkolorit versehen. Fürchterlich künstliche Bärte, Tirolertracht und vor allem viel krachlederne Hosen, dazu ein paar Mistgabeln und Flinten – als sollte ein Theaterabend nachgestellt werden, wie man ihn sich für Lortzings Zeiten vorstellen mag (dessen Vater ist bekanntlich Lederhändler gewesen).

Eine Opernausgrabung kann also, Uraufführung hin, Uraufführung her, sehr museal sein. Wenn dazu dann auch noch steif agiert und unbeholfen deklamiert wird, platzt ungefragt die Sorge um die Zukunft des Musiktheaters ins Betrachten dieser Doppelpremiere hinein. Die Erzgebirgische Philharmonie musiziert unter ihrem GMD Naoshi Takahashi kreuzbrav, leistet sich im „Weihnachtsabend“ einige Unstimmigkeiten, überzeugt im stärker besetzten „Hofer“ aber mit temperamentvollem Wohlklang, wie es auch dem Chor des Hauses zu attestieren ist. Listigerweise sind Vater, Mutter, Tochter und tenoraler Gefolgsmann in beiden Stückchen gleich besetzt. Leander de Marel mogelt sich mit Sprechgesang als Charge durch die Szenen, Bettine Corthy-Hildebrandt gibt sich spielfreudig resolut mit adäquatem Timbre, Madelaine Vogt ist eine liebenswerte Maid an der Schwelle zwischen mädchenhaft naiv und aufgeweckt kokett. Stimmlich überzeugt sie mit unangestrengter Variabilität. Auch Marcus Sandmann als ihr Verehrer und Hofers Adjutant strahlt eine Frische aus, die manchen Traditionalisten auf der Bühne in den Schatten stellt. Michael Junge als trinkfester Kapuziner sorgt immerhin für etwas Spielwitz. Auch eine hübsche Puppenspielszene der Akteure kommt beim Publikum gut an.

Weit unterhaltsamer wäre ein lustiges Ratespiel, wo überall Albert Lortzing für diese beinahe stehgreifartigen Vaudeville abgekupfert hat. Dass „Andreas Hofer“, dessen historisches Vorbild in südlicher Bergwelt noch heute mit geschwollenem Schwulst besungen wird, im Schlusschor Joseph Haydns „Kaiserwalzer“ ohrwürmelnd als Rausschmeißer mit auf den Weg gegeben wird, darf unter unfreiwilliger Komik verbucht werden. Nicht der einzige Widerspruch dieses Abends.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!