Es war einmal eine Frau, die hieß Karni Mata. Sie lebte im 14./15. Jahrhundert in der nordindischen Provinz Rajasthan und wurde als Heilige verehrt. Als der junge Erbprinz des Fürstenhauses der Bikaner starb, stürzte das Familie und Volk in tiefste Trauer. Die Heilige bat daher den hinduistischen Totengott Yama, dem Knaben das Leben zurückzugeben. Der Herr der Unterwelt aber ließ sich nicht erweichen. Da erwirkte Karni Mata bei Durga, der Schutzgöttin der Pestkranken, Soldaten und Verfallenen aller Art, dass kein Mensch des Landes je wieder das Totenreich betreten solle, weil alle gleich als Ratten inkarniert und dann – ohne mühseliges Durchlaufen der kompletten Stufenleiter – direkt als Charans, als Musiker, Sängerinnen, Barden wiedergeboren werden. Doch warum ausgerechnet Ratten als Zwischenstation? Warum nicht nette Kaninchen? Oder genretypische Singvögel? Vielleicht weil sich Musikschaffende wie die Nager durchzubeißen wissen? Weil beides Überlebenskünstler sind, zäh, beharrlich, erfindungsreich, ebenso hoch verehrt wie schlecht beleumundet?
Ratten- und Musikvolk
Inzwischen wird Karni Mata schon seit sechshundert Jahren im Tempel der kleinen Stadt Deshnok verehrt. Der heilige Bezirk beherbergt schätzungsweise zwanzigtausend Ratten. Diese bekommen von den Gläubigen Speisen, Milch und Wasser in silbernen Schalen serviert, von denen dann auch die Anhänger der Karni Mata essen und trinken. Mit besonderen Spezereien versucht man seltene weiße Ratten anzulocken, weil der Kontakt zu diesen besonders segensreich wirkt. Wem eine Ratte über die nackten Füße läuft, dem bringt das Glück. Die verehrten Tiere gelten außerhalb des Tempels als Schädlinge, die man verjagen, fangen und weit entfernt wieder aussetzen, nicht aber töten darf. Denn schließlich waren vermutlich die meisten schon im vorherigen Leben Musikerinnen und Musiker und werden es auf jeden Fall alle im nächsten Leben. Längst dürfte die gesamte Bevölkerung Rajasthans nur noch aus Chören, Ensembles und Orchestern bestehen.
Eine andere Form der Wiederauferstehung feiern verstorbene Komponisten in einigen anstehenden Uraufführungen. In der evangelischen Haupt- und Bischofskirche St. Matthäus in München kann man am 13. Juli die Reinkarnation von Schumanns Liederzyklus „Dichterliebe“ in Johannes X. Schachtners „Vorfrühling“ für Bariton, Chor und Klavier vierhändig erleben. Derselbe Komponist präsentiert am 3. August in St. Michael in Passau das Puccini-Arrangement „Sei canti piccoli“ für Stimme und Orchester. Bei der Sommerakademie für Gegenwartsmusik der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig hat am 25. Juli Claus-Steffen Mahnkopfs „Kurtág-Cantus III“ für Violine Premiere. Und zur Eröffnung der erstmalig von Intendant Ivo Van Hove geleiteten Ruhrtriennale am 16. August erfahren einige Songs der britischen Singer-Songwriterin PJ Harvey eine Wiedergeburt im Rahmen des Musiktheaters „I Want Absolute Beauty“.
Weitere Uraufführungen:
- 04.07.: Jüri Reinvere, Prospekt Mira. Streichquartett Nr. 4, Klosterbibliothek Fürstenzell
- 08.07.: Steffen Krebber, neues Stück für Schlagzeug und Klavier, Studio Musikfabrik Köln
- 27.07.: Ondrej Adámek, Unmögliche Verbindung, Musiktheater mit Ensemble Modern, Bregenzer Festspiele
- 30.07.: Anna Clyne, The Gorgeous Nothings für Swingle Singers und BBC Philharmonic, BBC Proms Royal Albert Hall London
- 10.08.: Hankyeol Yoon, Grium (Sehnsucht) für ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Salzburger Festspiele
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