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Ulf Paulsen (Boris Timofejewitsch Ismailov, Kaufmann), KS Iordanka Derilova (Ekaterina Ismailova), Foto: Claudia Heysel
Ulf Paulsen (Boris Timofejewitsch Ismailov, Kaufmann), KS Iordanka Derilova (Ekaterina Ismailova), Foto: Claudia Heysel
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Rattengift bleibt Rattengift –„Lady Macbeth von Mzensk“ auf hohem musikalischem Niveau am Anhaltischen Theater in Dessau

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Nein, sympathisch ist sie nicht diese Ekaterina Ismailowa aus dem Mzensker Bezirk. Sie mischt ihrem Schwiegervater Rattengift unter die Pilze. Was selbst dann nicht geht, wenn der ein ausgemachtes Miststück ist. Als sie von ihrem Ehemann mit ihrem Geliebten überrascht wird, muss auch der Angetraute dran glauben und wird im Keller entsorgt. Diese sprichwörtliche Leiche stinkt bei der Hochzeit mit ihrem Sergej so zum Himmel, dass selbst der versoffenste Knecht es bemerkt und die dämlichste Polizei aktiv werden muss. Als auf dem langen Fuß-Marsch in die sibirische Verbannung Sergej ihr die roten Wollstrümpfe für seine neue Flamme abluchst, muss auch die dran glauben und beim finalen Selbstmord mit ins Wasser, das so tief und dunkel wie ihre Seele ist.

Große Oper also auch zwischen eher kleinen Leuten. Von Shakespeares Lady Macbeth ist im Stück gar nicht die Rede – dieser Bezug kommt nur im Titel vor, den Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) seinem im zaristischen Russland spielenden Opern-Thriller gegeben hat. Natürlich schleicht sich dann doch Empathie ein mit der jungen Frau, die von ihrem Weichei-Ehemann sexuell (in Dessau sogar komplett) vernachlässigt und vom übergriffigen Schwiegervater bedrängt und gedemütigt wird. Die einfach ein Stück Helligkeit und Leben will, nur Dunkelheit und Ödnis bekommt und sich wehrt. Wenn auch mit den falschen Mitteln.

Die Oper wurde 1934 in St. Petersburg uraufgeführt und hatte einen durchschlagenden Erfolg im ganzen Land. Doch weil da offenbar mehr Wahrheit auch über das Leben im Reich des roten Zaren auf die Bühne kam, als der erlauben wollte, verschwand sie mit einem Paukenschlag in der Versenkung: Nachdem Stalin 1936 eine Vorstellung in Moskau besucht hatte, erschien kurz darauf eine Prawda-Kritik unter dem Titel „Chaos statt Musik“. Ein Schlüsseldokument stalinistischer Kulturdogmatik, das für den Komponisten Lebensgefahr bedeutete.

Zum Glück überlebten der Komponist und sein Werk. In Dessau gibt es jetzt diese raue, vitale und packende Musik. Wobei GMD Antony Hermus mit Erfolg darauf aus ist, das Orchester nicht nur zu entfesseln, sondern auch die zarten Passagen auszukosten oder etwa das geradezu an die Wucht der Gralsenthüllung im Parsifal erinnernde Orchesterzwischenspiel nach dem Tod des Alten mit einem sehr durchdachten, langen Crescendo-Anlauf zu entwickeln. Er knackt die Musik sozusagen von Innen und liefert ihre äußeren Knalleffekte dazu. Und nicht umgekehrt.

Das passt gut zu der in sich stimmigen Inszenierung von Regisseur und Ausstatter Hinrich Horstkotte. Der räumt nämlich fast alles beiseite, was auf die Enge des russischen Landlebens verweisen würde. Nur die Kostüme für den Chor sehen etwas arg nach Fundus oder Russlandklischee aus. Da er den aber bei seinen wichtigen Auftritten, wie der Vergewaltigung der Köchin oder beim Auspeitschen des in flagranti erwischten Sergej durch den Schwiegervater Katerinas stilisiert durchchoreographiert und nicht naturalistisch nachspielen lässt, ist das zu verkraften. Horstkotte setzt auf die imaginierende Kraft der Musik und nimmt das Ambiente so weit zurück wie Lars von Trier in seinem exemplarischen „Dogville“-Experiment.

Ein leerer schwarzer Raum mit einem Spielpodest, das an ein Bett erinnert wenn sich der Baldachin von oben herabsenkt. Der Rest ist zeichenhafte Andeutung. Bis hin zum Türöffnen. Ein paar Versatzstücke gibt’s aber dennoch. Wie den gewaltigen Pelzmantel für den alten Boris Timofejewitsch, eine Karl Marx Gestalt mit Pelzmantel unter der man Ulf Paulsen kaum vermutet, wenn man ihn nicht hören würde (an der Rampe bei seinen walzernden Jugenderinnerungen deutlich besser, als in der Tiefe des Raumes, der doch manches verschluckt). Ohne die Schüssel mit den vergifteten Pilzen und die roten Wollstrümpfe geht’s auch nicht. Auf der Polizeistation, die ein Musterbeispiel der Groteske ist, geistert natürlich ein Demonstrant mit dem obligaten Schluss-mit-dem-Sparwahnsinn-Theater-bleibt Plakat durchs Bild.   

Mit dieser bewusst reduzierten Ästhetik vertraut Horstkotte darauf, dass sich die opernunentbehrliche Empathie mit der Titelheldin über die psychologische Dynamik einer bewusst zelebrierten Versuchsanordnung einstellt. Die korrespondiert so konsequent mit der Musik, dass der Zuschauer die evozierten Bilder im Kopf vollenden kann.

Zur ambitionierten Inszenierung kommt eine grandiose Sängerdarstellerin im Zentrum: bei Iordanka Derilova treffen sich Wagnerpower und Gestaltungswille – ihre Katerina lässt keine Wünsche offen! Robert Künzli ist ein Sergej auf Augenhöhe (auf seinen Dessauer Siegmund darf man sich freuen). Vom übrigen Ensemble lässt sich André Eckert natürlich nicht das Kabinettstückchen als versoffener Pope entgehen. Rita Kapfhammer sorgt dafür, dass man bedauert, dass ihr Auftritt als neue Flamme von Sergej so kurz ist. Der Chor und das übrige Ensemble lassen sich mitziehen. Von einer Inszenierung, die mehr Zuschauer verdient, als sich zur Premiere eingefunden hatten. Dafür war der Beifall euphorisch!

 

 

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