Hauptbild
Reihe 9 im Martin-Hornung-Saal, Congress Centrum Heidenheim. Foto: mku

Reihe 9 im Martin-Hornung-Saal, Congress Centrum Heidenheim. Foto: mku

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Reihe 9 (#92) – 40 | 60 | 240

Vorspann / Teaser

Zahlenmystik ist eine Sache mittelalterlicher Schriften, harmonische Proportion die der Renaissance. Manchmal begegnet man beiden aber auch im 21. Jahrhundert – meist unversehens. Wie in Heidenheim an der Brenz. Dort feiert heuer die Musikschule ihr 40-jähriges Bestehen, und die Opernfestspiele gingen in ihre nun schon 60. Sommer-Saison. Aber ist es wirklich Zufall, dass im Kunstmuseum und der aktuellen Ausstellung „Klangkörper“ neben vielen anderen inspirierenden Klangskulpturen auch das Lithophon von Tina Tonangel (Köln, 2020) mit seinen exakt 240 Schieferplatten zu sehen und zu hören ist? Wer hier eine weitere Null anhängt, darf sich einer runden Gleichung erfreuen. Doch auch die musikalischen Faktoren scheinen sich in Heidenheim zu multiplizieren …

Autor
Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Erstklassig ist Heidenheim nicht nur in der Voith-Arena. Richtig international geht es auch bei den Opernfestspielen zu, die seit einigen Jahren mit ihrem griffigen Signet OH! und einer stringenten, in die Zukunft blickenden Programmatik auch für überregionale Aufmerksamkeit sorgen. – Ja, wenn nicht das Wetter wie in den vergangenen Jahren für anhaltende Unsicherheit sorgen würde! War es 2023 für die Instrumente beim abendlichen Ope(r)n Air vielfach zu kalt (!), so ergingen nun am letzten Festivalwochenende amtliche Unwetterwarnungen. In Gefahr bringen will sich da niemand – zumal nur wenige Schritte um die Ecke des offenen, fragmentarischen Rittersaals von Schloss Hellenstein das CCH (Congress Centrum Heidenheim) ein sicheres Dach und eine beachtliche Akustik aufweist. 

Und doch wurden von erfahrenen Ortskräften hinter der Hand und auf offener Bühne Zweifel an der Prognose geäußert: „Ich glaube ja nicht, dass es so kommen wird.“ Mit wertvollen Instrumenten und Hunderten Gästen „an Bord“ sollte man freilich nicht leichtfertig „auf Sicht“ den richtigen Kurs überlegen – auf hoher See ebenso wenig wie am nordöstlichen Ende der Schwäbischen Alb. Wirklich stabile Wetterlagen haben in diesem Sommer Seltenheitswert.

Tatsächlich schien es dem Publikum weitgehend einerlei, wo sich nun Madama Butterfly einmal mehr in ihr Schicksal ergab – es war hier wie anderswo eine wahrhaft traurige Geschichte mit bekanntem Ausgang. Da bleibt dann Zeit, sich auf die Inszenierung und das Bühnenbild einzulassen – mit interessanten Perspektiven und in die schwarze Bühnenrückseite eingelassenen, rahmenlosen Rundfenstern, in denen sich tanzende Mädchen wie lässige Bond-Girls aus einer anderen Zeit anbieten. Dass am Ende der amerikanische Leutnant Pinkerton sich seinen Sohn Dolore („Schmerz“) einfach unter den Arm klemmt und abgeht, ist angesichts der von Puccini musikalisch entfalteten Psychologie drastisch, vielleicht auch billig – auf jeden Fall aber „creepy and weird“

Text

Hängt bei solchen Dauerbrennern die Messlatte in geradezu olympischen Höhen, werden gewissenhafte Inszenierungen unbekannter Partituren eher dankbar oder auch nur beiläufig aufgenommen. Nicht so bei den OH!, die unter der musikalischen Leitung von Marcus Bosch seit einigen Jahren einen chronologischen Zyklus durch Verdis Opern auf dem Plan haben, der in jeder Folge herausfordernd ist und bleibt. Dieses Mal mit Alzira (1845), die Verdi später als „wirklich hässlich“ bezeichnete, die aber in fast jedem Takt den Meister durchblicken lässt (das eiligst hingeschriebene Vorspiel wurde in Heidenheim allerdings dramaturgisch geschickt als Entr’act platziert).

Der differenzierte Schlussapplaus zeigte deutlich, dass die Opernfestspiele ein versiertes Stammpublikum haben – wie auch neben den wieder sehr gut zusammengestellten Solistenensembles eine aus der Cappella Aquileia (Verdi), den Stuttgarter Philharmonikern (Puccini) und dem Philharmonischen Chor Brünn bestehende Stammbesetzung, die draußen wie drinnen bei jedem Wetter passt.

Artikel auswählen
Text

Über Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!