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„Das Rheingold“ in Paris. Foto: Herwig Prammer / OnP

„Das Rheingold“ in Paris. Foto: Herwig Prammer / OnP

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Ringstart in Paris – Abstieg mit KI Ausrüstung zur Herstellung von Humanoiden in Wotans Lampenladen

Vorspann / Teaser

An der Pariser Opera Bastille startete mit dem „Rheingold“ der neue Nibelungen-Ring, den Calixto Bieito und Pablo Heras-Casado schmieden.

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Die Bastille-Oper ist äußerlich eine Zitadelle der Hochkultur. Sie wurde als zweites Haus für die Nationaloper neben dem Palais Garnier 1989 eröffnet. Außen ist zwar auch schon mal das eine oder andere Fassadenelement abgefallen. Auch ist das Personal streikfreudiger, als dem Genre guttut. Dennoch ist die Pariser Oper nach wie vor eine der Wichtigsten in der Welt. Was hierzulande in der ganzen Republik verteilt ist, als Erbe der Kleinstaaterei geschätzt wird und auch von der Kulturpolitik bislang nicht totzukriegen ist, strahlt in Paris mit der geballten Potenz eines Zentralstaates. Der 2800-Plätze-Saal der Bastille ist einer der größten seiner Art auf der Welt und sollte Oper für jeden, der es will, zugänglich machen. Das hat im Grunde auch funktioniert, denn viele gehen hier tatsächlich nach der Arbeit oder dem Einkaufen hin. Auch schon mal mit Mantel und Taschen (und wenn es sein muss mit Stockschirm) bis in die eh schon engen Reihen. Obwohl es kostenlose Garderoben gibt. So unterläuft eine etablierte Unsitte augenzwinkernd und unbewusst die Gigantomanie dieses Hauses.

Allein wegen seiner Dimension ist dieses Haus für die Werke des Musikgiganten Richard Wagner prädestiniert. In Frankreich hat der deutsche Überkomponist schon immer eine eingeschworene Gemeinde. Und weil die Welt der Oper eh international ist, hat den letzten Nibelungen-Ring 2011 mit Günter Krämer auch ein Deutscher inszeniert. Der geplante Start einer fälligen Neuinszenierung der Tetralogie war für 2020 geplant – die Pandemie kam dazwischen. So gab es erst jetzt den Auftakt mit dem „Rheingold“. Was Wagner selbst Vorabend genannt hat, ist der mit zweieinhalb Stunden vergleichsweise kurze Anfang vom Ende. Denn um nichts weniger als das Ende einer bzw. der Welt geht es ja im „Ring“.

Das „Rheingold“ liefert erstmal die Vorgeschichte jenes Rings, der aus geraubtem Gold geschmiedet wurde, für Macht steht, ausführlich verflucht wird, schon hier zweimal den Besitzer wechselt und einen Erschlagenen hinterlässt. Um Alberich den hier monströsen Hals-Ring abzuluchsen, müssen Wotan und Loge in dessen Frankensteinsches Gruselkabinett mit KI Ausrüstung zur Herstellung von Humanoiden absteigen. Als Alberich kriecht der durchweg kultiviert singende Brian Mulligan gleich zu Beginn mit einem Wust von Kabeln auf dem Rücken an der Rampe vor den wallenden Vorhang und trifft dort auf die drei Rheintöchter. Margarita Polonskaya, Isabel Signoret und Katharina Magiera stecken als Woglinde, Wellgunde und Flosshilde in Taucheranzügen. Wenn Alberich ihnen das Gold entwendet bzw. den großen Vorhang heruntergerissen und mitgenommen hat, halten sie die Sauerstoffflaschen ihrer Ausrüstung in den Armen, als wären es Kinder, die man schützen müsse. Optisch bleibt der Auftakt etwas matt. Auch Marie-Nicole Lemieux kommt und geht für ihren raunenden Auftritt als Erda mehr oder weniger einfach so. Am Ende hat der Riese Fafner den Ring. Neben dem Anzugträger Fasolt (mit bewährter Seriösität: Kwangchul Youn), ist Mika Kares ein Fafner, der mit seinem Cowboyhut betont großkotzig auftritt und sogar Wotans Frau Fricka einfach angrabscht.

Diesmal führt Calixto Bieito das Inszenierungsteam an, bei dem Rebecca Ringst die Bühne, Ingo Krüger die Kostüme, Michael Bauer das Licht und Sarah Derendinger die Videos verantworten. Der Katalane gehört nicht nur in Deutschland noch immer zu den Stars der Szene. Wie der Zufall es will, hat in München mit Tobias Kratzer gerade ein anderer Spitzenregisseur mit seinem Ring begonnen. Beide werden erst in der nächsten Saison weiter schmieden. Interessant ist das, schon, weil Paris und München nicht auf die modische Aufteilung der Ringteile unter verschiedenen Teams ausweichen, sondern sich (wie Dmitri Tscherniakov und Stefan Herheim in Berlin und Valentin Schwarz in Bayreuth) dem Ausnahmewerk als Ganzem stellen.

Zunächst irritiert es durchaus etwas, dass sich Bieito bei seiner Götterburg (um deren Bezahlung es ja im „Rheingold“ geht) auf eine wuchtige Wand aus Dutzenden Lochblechelementen beschränkt. Ein wallendes Tuch davor steht für den Rhein und gleich noch für das Gold. Diffuse Videos imaginieren einen Blick ins Innere. Es wird aber klar, dass es ihm um Gegenwart und um Prinzipielles geht. Dafür sucht er nach Bildern, ohne detailliert eine „andere“ Geschichte zu erzählen.

Am Ende bietet er eine Pointe, die man in Paris kaum so wahrnehmen dürfte und die er vielleicht auch gar nicht im Sinn hatte. Wenn hinter der Fassade die Lichter angehen, dann erinnern die Lampen an den (auch wie Walhall untergegangenen) Palast der Republik in Berlin. In Paris gibt’s jetzt also nicht Erichs, sondern Wotans Lampenladen. Wotan und Fricka können sich mit Mühe in ihren neuen Bau schleppen und die herabgelassene Rampe hinaufziehen. Die beiden Götter Donner (Florent Mbia) und Froh (Matthew Cairns) stehen schon oben in der Höhe und liefern ihre Vorbereitung für den Einzug der Götter mit archaischer Pose mit freiem Oberkörper. Die für das ewige Leben und die Jugend zuständige Göttin Freia (Eliza Boom) ist da nicht dabei. Erst hatte Wotan sie (quasi als Sicherheit für den Kredit) an die Riesen verpfändet. Dann wurde sie von den beiden auf einer Plane weggeschleppt. Und nach ihrer Rückkehr und Auslösung schlicht und einfach vergessen. Sichtbar traumatisiert beschmiert sie sich mit einer schwarzen zähflüssigen Masse. Da die vermutlich brennbar ist und der Feuergott Loge (im Elon-Musk-Outfit: Simon O’Neill) mit gezündetem Feuerzeug langsam auf sie zugeht, ahnt man, was er vor hat. Das ist einer der düstersten denkbaren Schlusspunkte schon im „Rheingold“. Da der grandiose Gerhard Siegel hier der vom Bruder traktierte Mime ist, gibt es bei der Gelegenheit eine Lehrvorführung von brillanter Diktion bei vollem Körpereinsatz! Für die Zeichnung von Wotans Gewaltproblem oder Frickes hysterischem Aktionismus kommt Bieitos Fähigkeit für packende Personenregie voll zur Geltung. Iain Paterson und Eve-Maud Hubeaux gehen hier als Macho-Wotan und leicht überdrehte Fricka bis an die Grenze des Klamauks bei ihren Szenen einer Ehe, in der man schon mal aufeinander losgeht, aber nicht voneinander lassen kann.

Gesungen wird durchweg im Wagner-Spitzenstandard, aber ohne ausgestellte Kraftmeierei. Der Spanier Pablo Heras-Casado, der 2023 auch schon bei den Bayreuther Festspielen mit „Parsifal“ einen Wagner-Sensationserfolg verbuchen konnte, beweist mit seinem differenzierten, geradezu kammermusikalischen Dirigat einmal mehr, dass das Orchester der Pariser Oper (auch) ein vorzügliches Wagner Orchester ist. 

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