Brodelnde Flächenklänge, die die Weite des Raumes erobern. Ein grollender Subbass, aus dem jähe Eruptionen hervorgehen, sei es fauchende Klaviercluster oder peitschende Perkussionsschläge. Sinustöne verändern sich, lassen Schwingungskurven mutieren. Ja, wir sind hier nah dran an der Ursubstanz von Klang. Rebecca Saunders will augenscheinlich „die Musik“ wieder auf derartige Zustände zurückbesinnen, wo nichts mehr zweck- oder formal-gebunden scheint. Die Konsequenz, mit der sie ein solches Anliegen mit einer sehr persönlichen „Handschrift“ aufzuladen weiß, hat die gebürtige Britin zur gefragten Gegenwartskomponistin werden lassen.
Und so wurde auch ein Portraitkonzert mit der schon lange am Nabel der Musikwelt in Berlin Lebenden zum Publikumsmagneten bei der Ruhrtriennale. Erfreulich: Fast 500 Menschen ließen sich auf ein sensibles, manchmal etwas introvertiertes Hörabenteuer ein. Allein das ist Leistung der Ruhrtriennale, wo einmal im Jahr die künstlerische Avantgarde zum Gesellschaftsereignis wird! Was letztlich auch dem Berliner Matthias Osterwold recht gibt, der seit diesem Jahr als Gastkurator die musikalischen Geschicke bei der Triennale mit viel Herzblut leitet.
Schauplatz ist das ehemalige Salzlager in der Kokerei Zollverein – eine Halle von riesigem Ausmaß. An diesem Abend läuft hier eine Klangfabrik an, deren Räderwerk denkbar geschmeidig geölt ist. Dies besteht aus einem Dutzend MusikerInnen des Ensemble Modern unter Leitung des 1988 in Zimbabwe geborenen Vimbayi Kaziboni, der seit seiner Zusammenarbeit mit der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) eng mit dem Ensemble verbunden ist.
Der energetischste Teil des Abends steht gleich am Anfang: „Fury 2“ ist ein „Solokonzert“ für Kontrabass, was sich auch furios genug gebärdet, um die riesige Halle zu füllen. Aber so kongenial vielgestaltig der US-Amerikaner Paul Cannon auch die Saiten seines Tieftöners beackert, so wenig steht er – konventionell gedacht – solistisch „im Zentrum“. Denn dafür sind die Rollenverteilungen, wie sie Rebecca Saunders Partitur vorsieht, viel zu subtil. Wenn der Amerikaner die Saiten zupft und streicht, wird dies zum mächtigen Gravitationszentrum und zur souveränen Schaltstelle, auf welche alles zuläuft. Ehrensache, dass im Ensemble Modern für ein solches Unterfangen die richtigen Charakterköpfe am richtigen Ort versammelt sind – hier unter anderem der Pianist Ueli Wiget, Jaan Bossier an den Klarinetten oder die Akkordeonistin Stefanie Mirwald. Spür- und hörbar ist: Sie und alle anderen sind denkbar vorbehaltlos drin in Saunders Ideenwelt.
Das Ensemble Modern versteht sich als basisdemokratisches Solistenkollektiv. Auch Rebecca Saunders „A visible Trace“ liefert dafür im folgenden allen nur denkbaren Entfaltungsraum mit seinen Prozessen von Wandlung, von Nähe und Ferne, von Mutationen des Klangereignisses und kaleidoskopartigen Assoziationsfeldern, für die Vimbayi Kazbonis Dirigat zuverlässig die Klangfarben mischt. Das alles hat durchaus etwas mit jenen Fantasiereisen zu tun, auf die jeder gehen kann, der Ilja Kabakovs begehbare Dauerinstallation „The Palace of Projects“ betritt, welche seit Jahren für jede Aufführung im Salzlager die Kulisse bietet.
Weil es um Fantasiereisen geht, verweigert sich Rebecca Saunders dem Anspruch, mit Musik etwas „sagen“ zu wollen. Daraus ergibt sich, dass auch in ihrem Werk „Skin“, die Singstimme zum gleichberechtigten Instrument wird und die fabelhafte Sopranistin Juliet Fraser im Kollektiv aufgeht – diesmal zusammen mit 13 Instrumentalisten. Aus der Stille löst sich die vokale Linie von Juliet Fraser, um dann umso furchtloser alle erdenklichen Wortspiele und Laute zu formen, welche sich spontan mit einzelnen Instrumenten vermählen und immer neue Schichten, wie in einer imaginären Haut freilegen. Und auch Juliet Fraser kapriziert sich nicht auf der solistischen Bühne, sondern wird zum sensiblen Epizentrum, um jene Regung filigran mit den Klangereignissen der 13 Instrumente zu verzahnen. Durchaus hätte man den Musikern phasenweise zurufen können, noch etwas extrovertierter, fordernder, vielleicht sogar eine Spur aggressiver aufzuspielen. Eine so große Halle wie das Salzlager verträgt dies gut, ja fordert dies sogar, weil sie eben alles andere als ein kammermusikalischer Rahmen ist.