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Ina Kringelborn (Rusalka) und Agnes Zwierko (Hexe Jezibaba). Foto: Monika Rittershaus (Komische Oper Berlin)
Ina Kringelborn (Rusalka) und Agnes Zwierko (Hexe Jezibaba). Foto: Monika Rittershaus (Komische Oper Berlin)
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Rusalka an der Angel und auf dem Seziertisch – Barrie Koskie inszeniert Dvořáks Lyrisches Märchen an der Komischen Oper Berlin

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Bereits David Pountney inszenierte Antonín Dvořáks „Rusalka“ im Jahre 1982 an der English National Opera als Verkrüppelung des Realitätssinns in einem Kinderzimmer, und Martin Kusej sorgte im Herbst vergangenen Jahres an der Bayerischen Staatsoper für einen Skandal, indem er die Opernhandlung dem jüngsten österreichischen Inzestdrama einer 24jährigen im Keller ihres Elternhauses anglich und obendrein auf der Bühne ein Reh häuten ließ.

Auch Barrie Koskie, ab 2012/13 Intendant der Komischen Oper Berlin, wählte einen hermetischen Einheitsraum, ließ Fischen ihre Innereien entnehmen und erfand zur Hexe Jezibaba einen verkrüppelten Sohn, der Rusalka den gewaltigen Fischschwanz häutet. Dazu leitete Patrick Lange mit romantischem Aplomb das bestens disponierte Orchester und ein beachtliches Solistenensemble.

Antonín Dvořáks letzte, 1901 in Prag uraufgeführte, Oper ist auf den Spielplänen beständiger als die deutschen Pendants des selben Stoffes, von der „Undine“ E. T. A. Hoffmanns und der von Albert Lortzing, bis hin zur „Melusine“ von Aribert Reimann. In Jaroslav Kvapils „Rusalka“-Libretto verliebt sich die junge Nixe in einen Prinzen, verliert aber für den Preis der Erlangung ihrer Seele ihre Stimme. Ihr Geliebter verfällt am Hochzeitstag den Reizen einer Fürstin, und Rusalka wird zum Irrlicht, das den Prinzen in den Tod lockt. Kein „Liebestod“, wie zum ersten Mal in der Operngeschichte bei Hoffmann, sondern Undine bleibt allein zurück.

In der Komischen Oper Berlin fügt sich ein kurzer, knapper Einheitsraum scheinbar originär in das Bühnenportal des 1892 erbauten Theaters und verschließt auch die Öffnungen der Proszeniumslogen. Eine zentrale Tür ist einziger Ein- und Ausgang, neben einer Bodenklappe unter einer sich an die rechte Wand schmiegenden Wartebank (Bühnenbild: Klaus Grünberg).

Für den Zaubertrank, den Jezibaba der Rusalka mit einem Trichter einflößt, opfert die Hexe (ausdrucksstark: Agnes Zwierka) den von ihr besungenen schwarzen Kater. Der Tausch des imposanten lebenden Tieres gegen das dann zerhackte Requisit besorgt der sich in spastischen Krämpfen windende Sohn der Hexe (Michel Podwojski), – vom Publikum ebenso mit Heiterkeit aufgenommen, wie die zuckenden Fische in ihrer Zubereitung für die fürstliche Tafel. Die Konfrontation der stummen Rusalka mit dem Hof, hier einzig repräsentiert durch die Pfeife rauchende Fremde Fürstin (Ursula Hesse von den Steinen), gemahnt an Gombrowiczs „Yvonne, Prinzessin von Burgund“. Die Fischgräte, die Yvonne dort zu Tode bringt, ist hier eines der wichtigsten Requisiten, als übergroße Ingredienz der Fischweiber Rusalka und ihrer Schwestern (Komparserie). Der ausgezeichnete Chor (Einstudierung: André Kellinghaus) ist mit den häufig oratorischen Chorsätzen nur aus dem Off zu vernehmen, der Wassermann (stimmgewaltig: Dimitry Ivashchenko) singt häufig und der Jäger (Matthias Siddharta Otto) ausschließlich aus dem Zuschauerraum. Die drei Elfen sind quirlig liebestolle, schwarz gewandete Gören (Julia Giebel, Anne Sophie Müller und Silvia Hauer).

In die sehr gut gelungene heutige Übertragung der tschechischen Sprachmelodie (Übersetzung: Bettina Bartz und Werner Hintze) hat der Regisseur zwischen dem ersten und zweiten Akt einen vom Prinzen mehrfach gesprochenen Satz eingefügt: „Wenn du auch stumm bleibst, find’ ich doch die Antwort in deinem Kuss“. Aber die kalte Rusalka ist nicht bereit, ihren Liebsten zu küssen. Während der Polonaise hüllt der Prinz sie in ein prachtvolles Jugendstilkleid (Kostüme: Klaus Bruns) und schminkt ihr die Lippen. Aber vergeblich bemüht er sich, ihr das Walzertanzen beizubringen und verdrischt sie dann vor Verzweiflung. Der Prinz (unterkühlt bis souverän Timothy Richards) trägt Frack und Gehrock, seine von der Jagd des weißen Rehs blutigen Hände wischt er an der Panzertür ab und hat im dritten Akt einen Déjà-vu-Auftritt.

Im ersten Teil des fast dreieinhalbstündigen Abends bietet die Versuchsanordnung des „klaustrophobischen Raums“ (Koskie) wenig Überraschungen. Nicht zum ersten Mal an der Komischen Oper Berlin erfolgt eine Veränderung des Raumes dann durch verzerrte Projektionen eben dieses Raumes. So bewegt sich die Szenerie im dritten Akt gummizellenartig. Hierin treten die bisherigen Protagonisten erneut als schwarze Witwen, angereichert um zwei Tödinnen, in Erscheinung und sorgen für skurrile Momente.

Dvořáks Partitur integriert in den Szenen des Wildhüters und seines Neffen, des Küchenjungen volkstümliches Kolorit; hier stehen dafür ein einarmiger Chefkoch (hervorragend in der Textpräsenz: Peter Renz) und seine Nichte (eindrucksvoll: Christiane Oertel), szenisch dem bedrohlichen Ambiente angepasst: unter dem verdreifachten Seziertisch, auf dem Rusalka zuvor zur Frau operiert worden war, lauscht sie den Gesprächen der Bediensteten beim Köpfen der Aale und beim Ausnehmen der Fische.

Ina Kringelborn füllt das Psychogramm der Titelpartie stimmlich bravourös und darstellerisch überzeugend, bis hin ins Spiel ihrer Fußzehen. Das traurige Ende erhält eine versöhnliche Note, da Rusalka ihrem untreuen Geliebten gleichwohl verbunden bleibt: sie beißt willentlich in den Haken jener Angel, die der irre gewordene Prinz im Tode umklammert hält.

Ist auf der Szene alle Märchenhaftigkeit zugunsten eines nihilistischen Traums vermieden, so sorgt bei klinischer Helle Dirigent Patrick Lange für nächtlich flimmernde Stimmungen und schwelgerische Momente einer verklingenden Spätromantik des frühen 20. Jahrhunderts.

Starker Jubel des Publikums, in den sich, beim wiederholten Verbeugen des Regieteams, sehr verhalten auch einige Missfallensbezeugungen mischten.

Weitere Vorstellungen:
26. Februar, 3., 13., 17. März, 9., 28. April, 1. und 13. Mai 2011.

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