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I Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller. Foto: © Jan Versweyveld

I Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller. Foto: © Jan Versweyveld

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Sandra Hüller rockt die Eröffnung des ersten Ruhrtriennale-Jahrgangs von Ivo van Hove

Vorspann / Teaser

Während die Edelfestivals in Bayreuth und Salzburg (und auch anderswo) noch ihre Programme abspulen, startete die 22 Jahre junge Ruhrtriennale. Konzept und künstlerische Strahlkraft dieses Festivals, das auf seine Weise das Sprichwort vom neuen Wein in alten Schläuchen aufgreift, hat sich genau deshalb bewährt: Die alten Industriebauten der Region leben als Orte kreativer Kunst neu auf. Alle drei Jahre erfindet sich dieses Festival quasi neu, weil dann eine neue Leitung übernimmt. 

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Aktuell ist es der belgische Regisseur Ivo van Hove, der auf Barbara Frey folgt und bis 2026 das Programm des größten Kulturfestivals in Nordrhein-Westfalen bestimmen wird. Sein Motto: Longing for tomorrow. „Sehnsucht nach morgen“. Das klingt nach Kampfansage an eine düstere Gegenwart. Und dürfte es wie jede ambitionierte Kunstanstrengung auch werden.

Die Eröffnung hat der Dreijahresintendant jetzt in der Jahrhunderthalle in Bochum selbst übernommen. Obwohl dabei Schauspielerin Sandra Hüller im Zentrum steht, ist es kein Schauspiel. „I Want Absolute Beauty“ ist ein inszeniertes Rockkonzert, bei dem Hüller eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass sie das auch noch kann: singen! Und das Anderthalbstunden mit einer Wucht und Kondition, dass einem schon als Zuschauer die Luft wegbleibt. 

Sie bewege sich damit nicht in ihrer Komfortzone sagte die 1978 im thüringischen Suhl geborene Schauspielerin, die in der letzten Zeit einen Lauf hatte, der sie vom Toni Erdmann-Erfolg bis zur Oscar-Nominierungen für Anatomie eines Falls führte. Bei ihrem Programm freilich muss auch ein Teil des Publikums seine Komfortzone verlassen. Zumindest, wenn es auf eine, wenn auch eher unkonventionelle Theater- oder Musikperformance aus war. Diesmal geht es im Hardrock-Sound zur Sache.

Ivo Van Hove hat aus 26 Songs von Sängerin und Songwriterin PJ Harvey eine Art Geschichte gebastelt, in deren Mitte Sandra Hüller steht. Sie haucht den Songs mit ihrer imponierend sicheren, wandlungsfähigen Singstimme einer Schauspielerin Leben ein; sie legt aber auch durchschlagkräftig los, spielt und tanzt zum Teil auch gemeinsam mit neun Tänzern von (La)Hore aus Marseilles eine Geschichte aus vielen kleinen Geschichten. Choreographiert haben das Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel. Jan Verweyveld hat die mit Erde bedeckte Spielfläche links und rechts mit Laternen flankiert und hinten mit einer Spiegelwand begrenzt. Beides gaukelt eine zusätzliche Tiefe vor. Hier ist man quasi on the road ins Innere von Abgründen, Wünschen und Obsessionen. Im Hintergrund absolviert die Rockband (Neil Claes, Alban Sarens, Liesa Van der Aa, Anke Verstype) ihren Dauereinsatz. Dazu eine Breitbandleinwand für atmosphärische Videos und live gedrehte Großaufnahmen von Hüller und ihren exzessiven Partnern auf der Spielfläche.

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I Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller, (LA)HORDE. Foto: © Jan Versweyveld

I Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller, (LA)HORDE. Foto: © Jan Versweyveld

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Die Titelliste gibt die Richtung einer Reise in vier Teilen vor: Die 26 Songs sind gruppiert unter den Stichworten „Grow“, „Love and Personal and Political Disappointments“, „Big Exit“ und „Back Home“. Es sind Stationen einer Frau, die sich behauptet, auch gegen Gewalt, die kleine häusliche und die große kriegerische. Sie führt in Harveys Heimat, Grafschaft Dorset an der englischen Kanalküste, ins Londoner Rotlichtmilieu, nach New York und wieder zurück an die heimatliche Küste. Es geht um Träume und Hoffnungen, um Ängste und das Aufbegehren. Nicht als durcherzählte Geschichte, sondern als eine Collage einzelner Assoziationen. Pina Bausch lässt grüßen. Es gibt aber auch Szenen von Übergriffigkeiten und Gewalt, mit exzessiven Griffen in den Mund oder in den Schritt. Und Hüller immer mittendrin. Auch als Rockstar immer als sie selbst. Genau das ist ihr größtes Pfund. Mit dem wuchert sie. Und dann erscheint auch noch Isabelle Huppert im Video als junge Großmutter. (Sie wird auch noch selbst zur Ruhrtriennale kommen.)

Der Abend ist imponierend und die Hüller überwältigend. Auch dann, wenn man sich bei dem Gedanken erwischt, was denn wäre, wenn sie diesen angloamerikanischen Ausflug in die Untiefen von Seelenlandschaften irgendwann mal mit einem heimischen Liedermacher (oder -in, versteht sich), wiederholen würde. Auch das würde bei ihr vermutlich zu einem Volltreffer werden.

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