Erich Kästners Texte sind „Musik-affin“: Chansons mit seinen Gedichten zeugen davon; viele Passagen in den Romanen sind so luftig leicht und kess-frech, dass sie nach Vertonung „schreien“. Vor über zwei Jahren gab Intendant Josef Köpplinger dem mehr als Genre-erfahrenen Thomas Pigor den Auftrag zu einer Revue-Operette im Stil der 1920-30er Jahre. Das Endergebnis wurde nun einhellig bejubelt.
Der millionenschwere Industrie-Tycoon Tobler, der als „Herr Schulze“ ein luxuriöses Tiroler Berghotel einmal „von unten“ erleben will, was Tochter, Hausdame und Butler unmöglich finden; das arbeitslose Multitalent Dr. Hagedorn, das für einen Werbespruch zwei Urlaubswochen im gleichen Hotel gewonnen hat und für den Millionär gehalten wird; der Butler, der als „reicher Reeder“ doch in der Nähe Toblers bleiben soll; der mit Hilfe von viel Cognac gebaute Schneemann Kasimir wird zum Stifter der engen Freundschaft der Drei; dazu eine arrogant-dumme Hotelleitung, abenteuersüchtige und dümmlich-reiche Damen und Herren jeden Alters, Hotelboys und Zimmermädchen – Kästners 1934 in Zürich als Beispiel für die umstrittene „Innere Emigration“ erschienener Roman funkelt dennoch vor Witz und kleinen Seitenhieben, dass Verfilmungen und Hörspiele folgten.
Als Librettist hat Thomas Pigor viel davon beibehalten, auch Bissiges wie Hagedorns „Man gibt Almosen statt ein Amt“ oder Schulze-Toblers Statement „Armut ist also doch eine Schande“. Aus der bei Kästner nur trotteligen alten Hausdame hat Pigor die auf Stil achtende heimliche Lebensgefährtin Toblers gemacht, die per Telefon alles verhindern will und alle Verwechslungen auslöst; der Butler hat mit dem Skilehrer sein „Coming out“; Toblers Tochter Hilde steht als Swing tanzende Blondine resolut für die selbstwussten jungen Frauen der „Goldenen Zwanziger“ und den „2.Mann“ in Toblers Konzern – die Hagedorn aber für eine arrogante „Subalterne“ hält. Pigors oft pointierte, kleine Dialoge verbinden insgesamt 26 Musiknummern, für die Pigor selbst, sein langjähriger Kabarett-Partner Benedikt Eichborn, Christoph Israel und Konrad Koselleck Texte und schmissig eingängige Musik geschrieben haben: Weills Song-Stil, Walzer, Schlager, Tango, grässlich ironische Jodl- und Zither-Einlagen, Foxtrott und Charleston – all das servierte Dirigent Andreas Kowalewitz mit dem um eine Jazz-Band erweiterten Gärtnerplatzorchester so vibrierend und animierend, dass wiederholt mitgeklatscht wurde. Nicht nur die von Adam Cooper stupend choreographierte Stepp-Nummer „Skifahr’n im Schnee“ auf Holzskiern, auch der quirlige Galopp „Drei Männer im Schnee“, die Ensemble-Nummer über den Berg „Fragen wir doch einfach mal den Wolkenstein“, schließlich das nach vielen Kratzbürstereien, erst nach gemeinsamer Todesangst in der Gewitter-umtosten Berggondel doch mögliche Liebesduett „Komm unter die Laterne, süße, kleine Subalterne“ zwischen Hagedorn und Tobler-Tochter Hilde – diese Nummern haben Hit-Qualitäten.
Nummern haben Hit-Qualitäten
Für all die Täuschungen und Turbulenzen hat Rainer Sinell auf der Drehbühne ein schickes Hotel-Foyer und eine Schneelandschaft davor gebaut; hoch- und wegfahrende Hänger ermöglichen auch kurz eine weihnachtliche Betriebsfeier, den Abschied in der Tobler-Villa, später allerlei erotisch falsche Zimmerbelegungen nach dem wilden Silvester-Ball und ratz-fatz ist auch eine schwankende Bergbahngondel zwischen auf- und abfahrende Bergwandprojektionen aufgebaut. Regisseur-Intendant Josef Köpplinger beherrscht das temporeiche Spiel und forderte seine Solisten bis zur köstlichen Hausdame von Dagmar Hellberg entsprechend: die zunächst rothaarige, liebeshungrige Frau Calabré von Sigrid Hauser gurrte „Ich pass mich an“, wurde von Hagedorn abgewiesen und erblondete germanisch-arisch für ihren NS-Kollaborateur; Julia Klotz überzeugte als selbstbewusste Konzerntochter Hilde, für die Liebende klang ihr Sopran zu wenig lyrisch; Armin Kahl glaubte man den vielfach Begabten, der nach über einem Jahr endlich eine Anstellung – und sein Glück bei Hilde findet; sie alle überragte Erwin Windeggers Tycoon Tobler, der durch alle Schikanen der Hotelleitung hindurch hübsche Alltagserfahrungen macht und in Hagedorn einen Freund findet.
Prompt besaß der Abend ski-gerechte „Schussfahrt“ – mit so kleinen Stopps: Zum „Silvesterball 1932 auf 33 mit Maskenzwang“ kommen drei SA-Leute („Des is unsa Kostüm“), die der Direktor nicht einlassen will, bis der Portier feststellt „Ka SA, des san alles Österreicher“ – und am Ende steckt eines der Kinder dem Schneemann eine kleine Hakenkreuzfahne an. Kästners „Ausflucht-Roman“ als pulsierend witzige Revue-Operette im Stil jener kulturell überbordenden Weimarer Jahre: das Staatstheater am Gärtnerplatz hat ein Werk etabliert, das das Zeug zum Repertoire-Klassiker hat.