Verdis „Maskenball“ in der Regie von Johannes Erath und unter der Leitung von Zubin Mehta an der Münchner Staatsoper hat bei unserem Kritiker zwiespältige Eindrücke hinterlassen. Juan Martin Koch berichtet:
Maskenball, zweiter Akt: Da sitzt das Liebespaar Amelia-Riccardo nun also auf der Bettkante. Soeben hat man sich seiner gegenseitigen Zuneigung versichert. Alles gut eigentlich, nur leider liegt unter der Bettdecke der rechtmäßige Gatte Renato als Unsichtbarer Dritter…
Das könnte eine ganz amüsante Ausgangslage für eine frivole Komödie sein, doch leider ist es Regisseur Johannes Erath bitter ernst damit. Es handelt sich nämlich um das Einheitsbühnenbett, in dem zu Beginn der Oper schon Riccardo gelegen hatte, todestrunkenen Träumen sich hingebend. Ansonsten wird der Raum, auf den wir den ganzen Abend über blicken, von einer elegant geschwungenen Freitreppe dominiert. An einer horizontalen Achse gespiegelt, setzt er sich nach oben hin fort, das Bett klebt (später mit einer Riccardo-Leichenpuppe) unheilvoll an der Decke.
Auch zu Beginn des zweiten Aktes räkelt sich als Todesengel die Wahrsagerin Ulrica mit blonder Luxusmähne über die Bettkante (großartig zwischen Kino-Vamp und Wagners Erda changierend: Okka von der Damerau). Amelia kann sich in ihrem Ansinnen, den schlafenden Gatten mit einem Kissen zu ersticken, gerade noch einmal zurückhalten. Damit diese Szene irgendwie funktioniert, muss Renato also erst einmal aufwachen, abgehen und dann wieder auftreten, um an deren Ende dann den tief getroffenen Ehemann zu geben. Das sieht dann auf der Bühne ebenso unbeholfen aus, wie es sich anhört, und die Sänger, die das glaubhaft darstellen sollen, können einem nur leid tun.
Optisch ist das Ganze recht ansehnlich im Boston der Roaring Twenties angesiedelt (Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm). Der düstere Glamour eines Hollywood-Melodrams in Schwarz-Weiß durchweht die Szenerie ganz so wie der Wind, der bedeutungsschwer durch die Vorhänge bläst. Leider vermag Johannes Erath daraus kaum dramatische Funken zu schlagen und weiß mit dem Raum, bis auf den gekonnt in Bewegung gesetzten Chor, wenig anzufangen. Die hübsche Idee, dem Pagen Oscar (wunderbar wendig: Sofia Fomina) eine Art Bauchrednerpuppe seines Herrn Riccardo in die Hand zu drücken, bleibt ebenso blass wie die Doubles, die bisweilen als Schatten der Hauptfiguren über die Bühne geistern. Der Überraschungsmoment, als Oscar sich beim finalen Ball als Frau outet, bleibt ein isoliertes, den Fortgang nicht weiter beeinflussendes Ereignis.
Einmal mehr erwies es sich als Fehlschluss, dass eine bloß dekorative, die Sänger darstellerisch sich selbst überlassende Regie der Musik den nötigen Entfaltungsraum ließe. Kein Zweifel, hier war neben dem glänzenden Staatsopernchor ein bis in die kleinsten Rollen exzellentes Ensemble zu hören, deshalb seien hier einmal ausdrücklich genannt: Andrea Borghini als Silvano, Anatoli Sivko als Samuel, Scott Conner als Tom, Ulrich Reß als Oberster Richter und Joshua Owen Mills als Diener Amelias. Doch blieb der sängerische Wohlklang über weite Strecken oberflächlich, verkam ohne szenisch-dramatische Rückbindung immer wieder zum Selbstzweck.
George Petean lieferte als Renato seine große Arie im zweiten Akt mit vorbildlicher Vokalbehandlung ab, das darunter verborgene Psychogramm blieb er schuldig. Piotr Bezcala war optisch wie sängerisch ein fescher, schneidiger Riccardo, mit kerniger Mittellage und zunehmend freier, betörender Höhe, die merkwürdige, zwischen melancholischer Todesahnung und draufgängerischer Vergnügungssucht schillernde Ambivalenz dieser vielschichtigen Tenorpartie vermochte er aber nur streckenweise anzudeuten.
So war es einmal mehr Anja Harteros, von deren in jedem Ton erfüllter Verdi-Intensität alle zehrten. Es ist schon bewundernswert, mit welcher sängerischen Disziplin und Hingabe sie ihre Rollenporträts (in diesem Fall ihr Amelia-Debüt) zu erfüllen weiß. Dabei waren es nicht nur ihre beiden grandiosen Soloarien, in denen sie alle Aufmerksamkeit auf sich zog, auch die dynamisch fein ausbalancierten Duette und Ensembles kulminierten in ihren strahlenden, innig erfüllten Spitzentönen.
Die perfekte Begleitung für diese chicke, aber nur stellenweise packende Schwarz-Weiß-Gala schöner Stimmen lieferte das glänzend aufgelegte Staatsorchester unter der Leitung Zubin Mehtas. Überraschende Akzente gingen von seinem abgeklärten, den Sängern Freiräume lassenden Dirigat nicht aus. Deren Dank war ihm ebenso sicher wie der Beifallssturm des Publikums, in den sich deutliche Buh-Rufe für das Regieteam mischten.
Am 18. März ist die Produktion ab 22.10 Uhr auf Arte und unter www.staatsoper.de/tv zu sehen und dann eine Woche lang auf Abruf verfügbar.