Hauptbild
Pelleas et Melisande an der Semperoper Dresden. Foto: Semperoper Dresden
Pelleas et Melisande an der Semperoper Dresden. Foto: Semperoper Dresden
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Semperoper geht baden: Alles plätschert bei „Pelléas et Mélisande“

Publikationsdatum
Body

Wer Maurice Maeterlinck liest und Claude Debussy hört, wird unweigerlich ein Gespür dafür bekommen, was mit dem Begriff vom künstlerischen Symbolismus gemeint ist. Flucht vor der Realität ist sicherlich nur ein Aspekt dieser Kunstwelt, wie sie in der 1902 uraufgeführten Oper „Pelléas et Mélisande“ geradezu kulminiert. Es werden Konstrukte sinnlicher Scheinuniversen erzaubert, die einzig in den Köpfen hausen, von dort aus aber – im günstigsten Fall – ganz tief in die Herzen sprechen.

An der Sächsischen Staatsoper ist diese Art Repertoire etwas Rares, für die Sächsische Staatskapelle gilt das übrigens auch. Unter der musikalischen Leitung von Marc Soustrot und mit einer Inszenierung des katalanischen Künstlerkollektivs La Fura dels Baus als weiterem Hausdebüt wurde nun eine symboli(sti)sche Zäsur gesetzt, nachdem diese Debussy-Oper letztmals 1979 hier aufgeführt worden ist.

Mit enormem Aufwand sollte das Herangehensprinzip von La Fura, das musikalische Geschehen der Partitur auf der Bühne sichtbar zu machen, umgesetzt werden. Die Inselsituation des im Libretto Allemonde genannten Fleckens wurde zum gewaltigen Blickfang: Ein mächtiger schwarzer Fels erhob sich auf der komplett gefluteten Bühne. Ausgerechnet in der Stadt rasch aufeinanderfolgender „Jahrhundert“-Hochwasser ein ziemliches Sinnbild. Der riesige Block wirkte je nach Beleuchtungssituation und Drehung tatsächlich wie von naturhaftem Ursprung, nur die rechteckige Kantigkeit hat diesem Eindruck strikt widersprochen. Im Inneren war dieser Fels zerfurcht, gaben goldglänzende Höhlen Einblick in die Wohnräume einer aus der Welt und aus den Fugen geratenen Königsfamilie frei. Wie vorm Dornröschenschloss hing auch mal metallisch-haariges Gestrüpp undurchdringlich am Bühnenportal – doch hier irrte kein Glücksritter herum. Wen dieser Sumpf gefangen hat, den gibt er nicht frei.

Dabei ging mehrfach die Rede von Aufbruch und Weggang. Genauso gut könnte man auch auf Godot hoffen. Oder auf Manna. Am Hause von König Arkel ist die Zeit längst verschwunden, ein eigentümlicher Zauber hat ihren Platz eingenommen.

Für die Inszenierung ist das einerseits praktisch, weil ja auch die Logik größtenteils außer Kraft gesetzt ist. Doch selbst die eindrucksvollsten Bilder erschöpfen sich rasch, wenn bis auf die insulare Entrücktheit aller Aufwand kaum weiteren Sinn verfolgt. Da muss durch das Höhlenschloss gestiefelt werden, um im wabernden Becken trockenen Fußes kräftig zu plätschern. Die narzisstischen Spiegelbilder dabei sind reizvoll, verwässern aber beliebig. Andererseits steckt hier auch die Chance einer Vieldeutigkeit, wie sie Debussy mit seiner trotz aller hörbaren Wagner-Anleihen doch grandios neuartigen Oper bezweckt haben dürfte. Nicht Handlungsstränge und Abfolgen werden dargestellt, sondern das emotionale Chaos einer in sich geschlossenen Welt.

Die rothaarige Mélisande ist in einem zerstörerisch kranken System gefangen, sie wird diesen wie von weißen Spinnweben umflorten Gestalten nicht entkommen. Dass von Großvater Arkel über die Halbbrüder Golaud und Pelléas bis hin zum Halbwaisen Yniold alle Generationen dieses fast hüftlange Schleierhaar tragen, wirkt geradezu inzestuös. Arkel hofft längst vergebens, dass diese Fremde Licht und Freude in seinen modernden Palast bringen mag. Dass er ihr gegenüber auch noch übergriffig werden muss, ist eine der billigsten Regieeinfälle gewesen. Die Seelenverwandtschaft zwischen Pelléas und Mélisande kann nicht gelebt werden, Golaud bringt den vermeintlichen Rivalen um, seine Frau stirbt an Herzeleid, das eben geborene Kindlein müsste schon sehr überlebensstark sein, um dieser infizierten Welt entfliehen oder sie gar retten zu können.

Debussys Oper hat Längen, von denen er die schönsten als Zwischenspiele für die seinerzeit in Paris notwendigen Bühnenumbauten komponiert hat. Die nun an der Semperoper in Dresden realisierten inszenatorischen Einfälle von Àlex Ollé erschöpfen sich in diesen Längen mitunter, wobei eine der stärksten Szenen einiges Plätschern wieder wettmacht: Wenn die Mutter von Pelléas ihren toten Sohn aus dem schwarzen Wasser hievt, ist der abstrakte Symbolismus am Ende und wirkt sehr real. Sein Mörder hingegen mimt unfreiwillig einen tapsig brutalen Gérard Depardieu für Anfänger. Dass Mélisande in ihrer Sterbeszene gedoubelt wird, weil sie dieser Enklave innerlich schon längst entflohen ist, ist allerdings schlüssig.

Bekanntlich illuminiert der Orchesterpart die Personage dieser Oper, insbesondere bei der ihren schlanken Sopran betörend disponierenden Camilla Tilling als Mélisande gelingt das dem Streicherapparat ziemlich perfekt. Dass insbesondere den Blechbläsern bei dieser Premiere einige Stolpereien widerfuhren, hat überrascht. Wobei Soustrot aber überhaupt viele Passagen dahinplätschern ließ, als wollte er die gar nicht so leicht aufblühenden Momente dieses Abends als packende Krönung herausstechen lassen.

Nichts geschenkt haben sich Phillip Addis und Oliver Zwarg als Pelléas und Golaud. Der eine mit tenoral starkem Bariton, der andere mit beherrscht schwarzem Bassbariton, der auch in höheren Lagen absolut trittsicher ist. Tilmann Rönnebeck als Arkel dominierte wesentlich tiefer grundiert mit Noblesse, während Christa Mayer eine in sich ruhende Mutter der ungleichen Brüder gab und dafür mit ihrem hellen Alt überzeugte. Anrührend schön sang Elias Mädler vom Tölzer Knabenchor den recht diffizilen Part des kleinen Yniold.

Das wirkungsmächtige Bühnenbild von Alfons Flores ist angesichts von erst einmal nur fünf Folgevorstellungen sowie einer nicht ausverkauften Premiere nahezu überdimensioniert. Die sinnbildlich illustrierenden Kostüme von Lluc Castells sind darin – trotz Stiefelzwang wegen des Wassers – ein reizvoller Kontrast. Was aber ein flimmernde Uralt-Fernseher in der Wohnhöhle soll, scheint sich symbolisch nicht entschlüsseln zu lassen: Keine Verbindung zur wirklichen Welt? Das wussten wir schon, siehe oben, dank Debussy und Maeterlinck.

  • Termine: 26.1. sowie 1., 5., 8., 11.2.2015

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!