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Das Ensemble Modern mit Catherine Milliken und George Benjamin, hier beim Konzert in Frankfurt. Foto: Barbara Fahle
Das Ensemble Modern mit Catherine Milliken und George Benjamin, hier beim Konzert in Frankfurt. Foto: Barbara Fahle
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Sich überlagernde Energiesysteme

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Das Ensemble Modern mit Milliken, Mason, Dallapiccola und Benjamin
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Mit archaischen Geräuschen wie von Feuersteinen beginnt Catherine Millikens Werk „Bright Ring“. Jagdish Mistry und Giorgos Panagiotidis lassen ihre Bögen auf die Instrumente schnellen, als schlügen sie den Urfunken des Ensemble Modern aus ihren Violinen. Der Ton setzt sich über die Crotales fort und scheint leiser, aber immer intensiver zu werden.

Es ist die besondere Energie des Ensembles, dessen Mitglied sie selbst 26 Jahre lang als Oboistin war, die Milliken in ihrem Werk beschreibt. „Dieser Gedanke kam mir sofort, als meine früheren Kollegen mich baten, ihnen ein Stück zu schreiben. Wenn das Ensemble Modern exquisite und zuweilen hoch komplexe Kompositionen musiziert, dann fliegen die Musikerinnen und Musiker. Sie sind so gut, dass sie einfach alles spielen können, aber sie lieben die Herausforderung. Die so entstehende Energie ist voller Freude und Glück. ‚Brightness‘, leuchtend helle Energie kam mir in den Sinn.“

Im Internet stieß sie auf das Gedicht „Bright is the Ring of Words“ von Robert Louis Stevenson, das die fließende Energie von Sprache beschreibt und das gefiel ihr. Denn die Energie des Ensembles, fand die Komponistin, sollte nicht aus der Gruppe hinausgehen und sich erschöpfen, sondern sich aus der Musik selbst nähren. Dann entdeckte sie Sounddateien, die aus dem Orbit des Saturn stammen, dessen Ringe aus reflektierenden Eiskristallen bestehen. Körnige, aufwärts glissierende Klänge, ganz ähnlich denen, die sie bereits komponiert hatte. Cluster, die anschwellen zu fast bedrohlicher Lautheit, gefolgt von plötzlicher Stille. Faszinierenderweise scheinen die so entstehenden Skulpturen im Raum zu bleiben, auch wenn sie nicht mehr hörbar sind. „Ich wollte die Energie des Ensembles nicht nur nachformen, sondern sie auch nachklingen lassen. Die Momente eines Energie-Echos zu finden, hat mich fast noch mehr interessiert.“

Das Instrumentarium arrangiert die Komponistin in vier Trios: Flöte und zwei Klarinetten, Trompete und zwei Hörner, Viola und zwei Violinen, Kontrabass und zwei Violoncelli. Dabei hebt sie die Einzelinstrumente nicht solistisch heraus, denn die Gruppen funktionieren wie sich zuweilen gegenseitig überlagernde Energiesysteme. Die Komponistin nutzt das volle Register zwischen unter dem Steg gespielten Streichern und den tiefsten Tönen von Kontrabass und Bassklarinetten. „Ich wollte die unterschiedlichen Saturnringe erforschen. Das Faszinierendste war dabei, die Übergänge zu finden.“ Im Rahmen der Uraufführungstournee, von der Alten Oper Frankfurt in die Wigmore Hall und schließlich in den die feinsten Echos der Musik bis zu den letzten Zuschauerreihen reflektierenden Kammermusiksaal der Elbphilharmonie, scheint Catherine Millikens Abbild der Energie des Ensembles immer ähnlicher geworden zu sein.

Christian Mason beschreibt in „Layers of Love“ das Gefühl der Sehnsucht nach etwas Unsichtbarem, Unerreichbarem. Der heisere Hauch der tonlos gespielten Holzbläser und der tiefen Streicher scheint die noch im Raum befindliche Energie aus Millikens Musik aufzusaugen, während die Violinen ein hochfrequentes Duett beginnen. Klangschichten, die der britische Komponist übereinanderlegt, entstehen in der räumlichen Anordnung des Ensembles. Violine und Viola, im Halbkreis der Streicher außen stehend, senden sich schneller werdende Pulse zu, Das Flügelhorn kommt als einsamer Wanderer aus einer hinteren Ecke dem Ensemble immer näher, das wie ein schneller werdendes Uhrwerk den Klang verdichtet, ehe die Instrumente jedes für sich auf einem individuellen Grundton ausklingen.

Luigi Dallapiccolas „Piccola musica notturna“ greift das Nachlauschen auf, das die beiden vorangestellten Werke vorbereitet haben. Das zugrunde liegende Gedicht „Sommernacht“ beschreibt den Gang durch ein nächtliches Dorf, das sich als verlassen herausstellt. Klang gewordenes fahles Mondlicht scheint in leere Fensterhöhlen, gleißende Klangfiguren der Celes-ta tauchen wie Geister auf.

Das Hauptwerk des Abends, George Benjamins „Into the Little Hill“ nutzt Millikens Skulpturen als Kulisse und die Schemen Dallapiccola’s als stumme Zeugen der Gruselgeschichte vom Rattenfänger, der eine namenlose Stadt erst von einer Nagetierplage befreit und dann ihre Kinder unter die Erde in den kleinen Hügel lockt. Martin Crimps Textfassung der mittelalterlichen Sage ist brillant und sprachlich pointiert. Die finnische Kolloratursopranistin Anu Komsi verkörpert die ihr auf den Leib komponierte Partie der Unschuld und gleichzeitig der Verlockung im Timbre glockenklar, bis zu einem Joiken, einem finnischen engkehligen Hirtenruf, wenn sie konstatiert, dass die Wiederwahl des wortbrüchigen Ministers gelungen ist. Die holländische Altistin Helena Rasker leiht dem gesichtslosen Rattenfänger und auch dem habgierigen Minister ihre biegsame und stets perfekt akzentuierende Stimme. Sparsam, und dadurch jedem Ton Bedeutung verleihend, hat George Benjamin 2006 die Orchesterbegleitung gesetzt. Grauen und Ausweglosigkeit entstehen durch die Beiläufigkeit, mit der die Instrumente zum Einsatz zu kommen scheinen, umso markerschütternder die weinende Flöte und Klarinette am Schluss, begleitet von einem langen Klageton des Kontrabasses.

Vielleicht ist so der Schlüssel zum Energiephänomen entdeckt – vom beglückten Staunen über das schmerzlichste Mitgefühl reicht das, was das Publikum dem Ensemble Modern entgegenbringt.

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