Wie eiskalt ist der Wagner hier. Mit den ersten Takten der „Götterdämmerung“ in Chemnitz erleben wir ein Gefrieren aller Gefühle. Nicht etwa, weil die Robert-Schumann-Philharmonie unter ihrem spanischen Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo unterkühlt musizieren würde – im Gegenteil: hier wird heißblütig aufgespielt, dennoch ausgewogen klangstark, wohlbedacht dosiert und bestens begleitet. Eiskalt ist der Ort dieses Weltuntergangs-Szenarios von seinem Anfang bis zum frostigen Ende.
Damit ist der Chemnitzer „Ring“, der von vier Regisseurinnen inszeniert worden ist, nun ein weiblicher geworden. Freilich kein feministischer, das hätte sich mit der Wagner-Welt wohl auch kaum vertragen. In vorsichtigen Ansätzen haben ja schon Verena Stoiber („Das Rheingold“), Monique Wagemakers („Walküre“) und Sabine Hartmannshenn („Siegfried“) Themen wie Prostitution, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung in die Chemnitzer Tetralogie gesetzt; Elisabeth Stöppler nun, die mit ihrem Wagner-Debüt (!) der „Götterdämmerung“ den in nur zehn Monaten geschmiedeten „Ring“ krönt, hat dafür einen ebenso überraschenden wie berührenden Schlusspunkt gefunden.
Und sie hat von Anfang an in ihrer Inszenierung darauf hingearbeitet, angefangen mit den wissenden Nornen im Vorspiel. Dann wird die Dekadenz dieser Männerwelt deutlich gemacht, dieses durchtriebene Geifern um Ring und Tarnkappe, also um Macht und Besitz, das schon so lange keine Zukunft mehr hat. Ziemlich sensibel zeigt Stöppler den hinterhältigen Missbrauch von Frauen, über die ausschließlich von Männern bestimmt wird – bis ganz am Ende nur mehr Frauen auf der Bühne sind: Brünnhilde, Rheintöchter, Nornen, sogar Erda, die Erdgöttin, schaut aus „Rheingold“ und „Siegfried“ in stummer Versöhnung noch einmal herüber. Ganz weiblich und damit anrührend wie selten gerät dieses Finale: Siegfried, der große Held, ist tot, von Hagen erschossen, Brünnhilde trauert, sie und Gutrune haben begriffen, wie sehr sie mit ihrer jeweiligen Liebe männlichen Intrigen aufgesessen und zum Opfer gefallen sind. Alles wegen des verfluchten Ringes! Der Weltenbrand soll hier eine Selbstverbrennung werden, Brünnhilde hat einen Benzinkanister vor sich und ein Feuerzeug in der Hand. Auf diese Ausweglosigkeit fällt dicker Bühnenschnee – und doch ist diese leidgeprüfte Frau nicht so zerstörerisch wie all die Männer mit ihren Waffen, mit Drogen und reichlich Alkohol.
Berührend brutal? Brutal berührend
Die Gibichungenwelt bildet den Gegenpol zur an Caspar David Friedrich erinnernden Eiseskälte. Überwiegend am Bartresen und mit harten Drinks reichlich freigiebig, schmiedet Hagen seinen finsteren Plan, im Auftrag des Vaters den Ring zu erlangen. Dicke Heizflächen hängen an den hölzernen Wänden in dieses Ambiente, das die Gesellschaft dann allerdings doch in dicker Winterkleidung betritt. Später zur Jagd wird man Ledermäntel und lange Flinten tragen. Und auch auf dem Felsen glüht kein Feuerrot.
Vieles in dieser von Annika Haller (Bühne) und Gesine Völlm (Kostüme) ausgestatteten Inszenierung ist deutbar, manches auch fragwürdig. Manche Beinkleider zum Beispiel sind nicht immer ganz vorteilhaft für die Figuren. Doch wer je erlebt hat, wie ein Schlitten innig umschwärmt und betrauert werden kann, wird berührt und ergriffen sein. Dieser Schlitten symbolisiert Brünnhildes Pferd Grane. Das kann man als albern ablehnen, lässt sich dann aber einiges an Wirkung von diesem Sinnbild entgehen.
Wagners Männerwelt wird mit solchen Anspielungen als recht armselig entlarvt, ist gerade damit aber recht realitätsnah dargestellt, brutal und durchtrieben, bewaffnet und fast ohne Skrupel. So spiegelt sie auch aktuelle Gegebenheiten. Ob das mit Schusswaffen oder auch eine Spur diffiziler hätte umgesetzt werden können, sei dahingestellt. Spielerisch ist die Personage allemal bestens geführt, hier werden Charaktere deutlich dargestellt, selbst in den Chorszenen. Hagen etwa ist ein intriganter Finsterling (der übrigens schon als stumme Figur im „Siegfried“, da noch im Kindesalter neben Vater Alberich, eingeführt wurde), Siegfried ein heldischer Lüstling, durchaus des Nachdenkens fähig, und Brünnhilde eine ehrlich liebende Frau, in dieser Sicht das absolute Prinzip Hoffnung. Daher kann sie zum Schluss auch nicht die Welt in Brand setzen.
Dafür sorgt allerdings das Orchester, bei dem es lodert und zündet (schade nur, dass ab und an ein mal Horn einen Strich durch die Partitur machen muss), wogt und wabert, ohne aber je sinnfrei zu überborden. Der bekennende Wagnerianer Guillermo García Calvo hat mit diesem „Ring“ einmal mehr bewiesen, wie tief er diese Musik zu durchdringen weiß. Neben der großartigen Orchesterleistung besticht auch die sehr hörenswerte und zumeist gut textverständliche Besetzung. Als Siegfried wirkte wieder Daniel Kirch mit, ein starker, aber nicht kraftmeiernder Sänger-Darsteller. Als betörend wandelbare Brünnhilde mit voluminöser Stimmkraft agierte die ja bis zum Schluss heftig geforderte Stéphanie Müther (sie soll bei den zyklischen „Ring“-Aufführungen im kommenden Jahr alle drei Brünnhilden singen, was man ihrer kraftvollen und stets wohldosierten Stimme unbedingt zutraut). Aber auch Cornelia Ptassek als Gutrune und dritte Norn, Pierre-Yves Pruvot als Gunther, Jukka Rasilainen als Alberich und (mit Abstrichen in der Artikulation) Marius Bolos als finsterer Hagen sind exzellent; sehr fein auch Anne Schuldt als Waltraute – und selbst alle Nornen und Rheintöchter fügen sich hier mitsamt dem bestens aufgelegten Chor in einen musikalisch großen Abend.
Wagnerianer kommen in dieser Neuproduktion in Chemnitz musikalisch unbedingt auf ihre Kosten, und in dieser ausdeutbar ‚weiblichen‘ „Götterdämmerung“ hat Elisabeth Stöppler für reichlich Diskussionsstoff und Nachdenklichkeit gesorgt.
- Termine „Götterdämmerung“: 22. Dezember 2018, 26. Januar, 22. April und 10. Juni 2019, „Ring“-Aufführungen: 5. bis 26. Januar, 18. bis 22. April und 30. Mai bis 10. Juni 2019