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Siemenspreis für Lachenmann

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Auszeichnung für einen „nicht Preisverdächtigen“
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Beim diesjährigen, insgesamt etwas hölzern verlaufenen Festakt zur Preisverleihung der Ernst von Siemens Stiftung - insgesamt wurden Preise in der Höhe von 900 000 Mark verliehen - wurde der Komponist Helmut Lachenmann mit dem Musikpreis in der Höhe von 250 000 Mark ausgezeichnet. Die Komponisten Moritz Eggert, München, und der Spanier Mauricio Sotelo erhielten Förderpreise, der Rest der Summe unterstützt weitere musikalische oder musikwissenschaftliche Projekte. Nur wenige wohl haben es so verdient, mit dem Preis der Ernst von Siemens Stiftung ausgezeichnet zu werden, wie Helmut Lachenmann. Ebenso ist das Faktum überraschend. Denn Lachenmann ging einen kompositorischen Weg, der im Grunde nie preisverdächtig war. Seine eben in Hamburg nach langen Geburtswehen uraufgeführte Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhöslzern“ zum Beispiel bedenkt das Schicksal von Gudrun Ensslin mit, die als RAF-Mitglied im Gefängnis Stammheim - wie auch immer - ums Leben gekommen war. Konzerne wie Siemens freilich standen auf der Liste der kapitalistischen Institutionen, die es zu bekämpfen galt, bei der RAF ganz an oberer Stelle. Die Geschichte macht gleichsam einen Knoten und Lachenmann übersah Verschränkungen dieser Art selbstverständlich nicht. Ideologisch steht er gewiß nicht mit den Vorstandsetagen von Siemens auf einer Linie, von wo er nun den stattlichen Betrag (freilich begreift sich die Werner von Siemens Stiftung als unabhängig) überwiesen bekommt. Das macht die diesjährige Preisverleihung zu einer außergewöhnlichen. Gewiß war es Genugtuung, daß auch das Widerständige, das Rebellische in unserer Gesellschaft nicht einfach an den Rand zu drängen ist: Freilich nur dann, wenn es sich nicht allein aufmüpfig agitatorisch äußert, sondern wenn der Anspruch ans eigene künstlerische Tun keinerlei Konzessionen zuläßt. Lachenmann begriff sein Komponieren stets als Verteidigung des Tons, der klingenden Materie vor einer Inbeschlagnahme durch desensibilisierende Mechanismen, von denen unser Musikbetrieb übervoll ist. Dieses Wirken dient letztlich dem Überleben der ganzen Menschheit, die von einer geistigen Austrocknung in bisher kaum geahnten Maße bedroht ist. Daß Lachenmann mit dem Werner von Siemens Preis ausgezeichnet wurde, darf darum als Chance gewertet werden, die über den bloßen Akt (wir wissen überdies von den Zufälligkeiten der Juryentscheidungen) weit hinaus weist. Der Komponist nahm den Preis denn auch ganz trocken an (1996 gab Pollini die Summe an junge Komponisten weiter; ein bemerkenswerter Schritt, der allerdings in der Folge, zumindest was die öffentliche Information betraf, im Sande verlief). Verschmitzt erklärte er, daß er auf die Frage, was mit dem Geld geschähe, nur lügen würde. Wie in seinen Kompositionen, wo er häufig einen Klang pur, als selbständiges Wesen hinstellt und den Hörer mit den aus dieser Setzung resultierenden neuen Konstellationen konfrontiert, begreift Lachenmann die Verleihung als gesellschaftliches Symptom, das zunächst nicht kommentiert werden solle. Vielmehr könne es als Zeichen wirken: wohl nicht dafür, daß sich alle Widersprüche in konfliktfrei wohlgefälliges Miteinander auflösen, sondern für ein deutlicher sich ausprägendes Bewußtsein, daß der Weg der Anpassung, des standardisierten Denkens für die gesamte Gesellschaft in eine Sackgasse führt. Wird ein solches Verständnis ausgebaut - der Siemens-Preis an Lachenmann hätte hier Signalcharakter - dann wäre ein Schritt getan, die Grabenkämpfe um Avantgarde und Postmoderne, Elfenbeinturm und breite Akzeptanz aufzubrechen.

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