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Bild aus der Performance „A Taste of Gramophotism“ von Kirsten Reynolds und Projekt Dark. Foto: EZdK Hellerau
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Sinnverbindende Reisen in die Welt von Musik und Film

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Die 22. Tage der zeitgenössischen Musik in Udo Zimmermanns letztem Jahrgang
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Die Zeichen stehen auf Abschied in Hellerau. Udo Zimmermann, der Dresdner Komponist und Gründer des Zentrums für zeitgenössische Musik, veranstaltete im Oktober letztmals als Intendant des nunmehr Europäischen Zentrums der Künste die 22. Tage der zeitgenössischen Musik. Sie trugen das Thema „Musik und Film“ und taugten zu einem kleinen Publikumsrekord.

Vor den Toren von Dresden ist das nicht selbstverständlich. Die einstige Vorzeige- und Gartenstadt Hellerau hat es nach wie vor schwer, in ihrer Randlage angenommen zu werden; wie dann erst bei explizit Neuer Musik? Doch das diesjährige Programm, mit dem sich Zimmermann in den unglaubwürdigen Ruhestand verabschiedet (als Präsident der Sächsischen Akademie der Künste wird er schon noch für Bewegtheit sorgen), bot eine ganze Reihe von Angeboten, die zu Recht für Zustrom sorgten. Schlagzeilenträchtige Titel etwa wie die Uraufführung „Colorful Penis“, bekannte Namen wie die der Filmkomponisten Charlie Chaplin und Nino Rota, längst etablierte Schöpfer wie Hanns Eisler und Hans Werner Henze, Publikumslieblinge wie Darius Milhaud und Astor Piazzolla sowie Jubilare wie Olivier Messiaen und Karlheinz Stockhausen sorgten mit für die gute Bilanz.

Die konnte von Einzelveranstaltungen mit geringerer Akzeptanz nicht getrübt werden, das ist gut so. Daher wurde das an jedem Abend in andere Lichtfarben getauchte Festspielhaus mit – laut Veranstalter – insgesamt zweieinhalbtausend Gästen denn auch besser als in früheren Jahrgängen besucht.

Freilich, „Musik und Film“ klingt vieldeutig und ist populär. Spannend waren die sinnverbindenden Reisen in die filmische Frühgeschichte sowie gen Hollywood allemal. Wann und wo werden cineastische Klangmeister wie Chaplin, Rota, David Sawer und John Williams schon mal derart gebündelt gewürdigt, sind Stummfilmklassiker mit Neukompositionen verbunden oder findet ein hochinteressanter Vortrag zur audiovisuellen Filmgeschichte so zahlreich offene Ohren?

Für Altmeister Olivier Messiaen, dessen 100. Geburtstag im Dezember bevorsteht, gab es als Novum in Form einer Kooperation zwischen Europäischem Zentrum und Dresdner Philharmonie eine Aufführung seines so klangstarken wie kompliziert zu bändigenden Orchesterstückes „Des Canyons aux Étoiles“. Dem Vorzeigeorchester unter Stefan Asbury gelang es, diesem anspruchsvollen Werk adäquate Entfaltung zu bescheren.
Karlheinz Stockhausen, vor nicht allzu langer Zeit noch vom Traum beseelt, seinen gewaltigen Zyklus „LICHT – Die sieben Tage der Woche“ einst komplett in Hellerau aufzuführen, wird dies nicht mehr erleben. Er starb im Frühjahr, einige Monate vor seinem 80. Geburtstag, der nun nachträglich mit „Michaels Reise“ aus dem „Donnerstag“ begangen worden ist. Die Produktion des Ensembles La Fura dels Baus entführte mit fantasievollen Ideen aus dem Orchestersaal in eine spielerische Fernwelt. Der Schöpfer des Ganzen hätte gewiss seine Freude daran gehabt.

Was hatte es nun aber mit dem leicht anzüglichen Uraufführungstitel auf sich? „Colorful Penis“ ging als „Sinnspiel“ und „Opernereignisstudie“ durch und war dem jüngst verstorbenen Mauricio Kagel gewidmet, der vor nicht allzu langer Zeit noch eine Eröffnungsfanfare für das einst von Heinrich Tessenow errichtete Festspielhaus von Hellerau komponiert hatte. Die Produktion war schnurvolles Theater, als hinge alles am seidenen Faden, und überzeugte mit ergreifender Musik zu einer märchen-, nein fabelhaften Episode aus dem Nonsens dieser Welt. Die faszinierende Umsetzung dieser Naturoper von Maria de Alvears durch VocaalLAB Nederland eröffnete den 22. Jahrgang der Neuen Musik mit Verve.

Und auch Stanley Kubricks Sience-Fiction-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“, mit dem das aktuelle Motto „Musik und Film“ wohl wortwörtlich genommen worden ist, brachte erneut Spannung zu einem ganz großen Namen nach Hellerau. Steht als Fazit also, dass mit einem Hauch popularisiertereProgrammgestaltung auch das wirklich Neue zu vermitteln ist. Um Bewahrenswertes der Nachwelt zu erhalten, zählte nicht zuletzt auch die festliche Eröffnung des Deutschen Komponistenarchivs im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau mit zum Abschiedsjahrgang von Udo Zimmermann, der diese feine Form der Kunst- und Wissensvermittlung immerhin schon 1986 ins Leben rief.

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