Wagners „Tannhäuser“ hat Katharina Wagner schon in Spanien inszeniert – das war 2009 auf Gran Canaria. Jetzt folgt im katalanischen Barcelona ihr zweiter Lohengrin. Den hatte sie sich schon einmal 2004 in Budapest vorgenommen. Als Inszenierung eines politischen Machtkampfes und überzeugende Talentprobe einer Jungregisseurin. Mittlerweile ist sie als Regisseurin und als Nachfolgerin ihres Vaters an der Spitze der Bayreuther Festspiele mit reichlich eigenen Erfahrungen ausgestattet. Und auch mit einem Selbstbewusstsein, das es ihr erlaubt, selbst den „Lohengrin“ auf links zu drehen. Sprich: der Gloriole des strahlenden Ritters ebenso zu misstrauen wie dem Intrigantenimage, das Friedrich Telramund und seiner Gattin Ortrud nun mal anhaftet.

Wagners „Lohengrin“ in Barcelona. Foto: David Ruano
SOKO Telramund im Einsatz – Katharina Wagner inszeniert „Lohengrin“ in Barcelona
Dabei hatte es diese jüngste Inszenierung der Komponisten-Urenkelin nicht leicht. Sie war schon fast fertig, da machte Corona der Premiere einen Strich durch die Rechnung und bugsierte das Unternehmen in die Warteschleife, die so viele Inszenierungen traf. Damals war Irene Theorin als Ortrud vorgesehen und vom Liceu verpflichtet. Dort bestand man darauf, dass es dabei bleibt, Katharina hatte in der Zwischenzeit andere Erfahrungen mit ihr gemacht und mit der Finnin Miina-Liisa Värelä eine andere, inszenierungskompatiblere Favoritin für diese bei ihr tragende Rolle. In der Presse vor Ort gab es darum einigen Wirbel. Man einigte sich auf den Kompromiss, dass die Finnin die Premiere übernimmt und ihre schwedische Kollegin die übrigen Vorstellungen bestreitet. Es kann gut sein, dass ein Teil der Buhs für das Regieteam aus dieser speziellen Vorgeschichte resultiert.
Auf der Bühne des Gran Teatre del Liceu in Barcelona gibt es jetzt einen mechatronisch gesteuerten Schwan. Der ist aber nicht schneeweiß, sondern rabenschwarz. Und nicht nur er kommt anders als erwartet daher, hat allerhand zu tun und lebt gefährlich. Am Ende wird er von Lohengrin sogar abgestochen. Der Schwan ist diesmal Zeuge eines Mordes und Ortrud sorgt am Ende dafür, dass der ans Licht kommt. Lohengrins Frageverbot hat es hier tatsächlich in sich. Die Geschichte seines Rettungsauftrages, den ihm der Gral erteilt hat und die Klaus Florian Vogt mit gewohnter Schwanenritter-Extraklasse formvollendet zum Besten gibt, ist zwar ziemlich extravagant (und man kann sie glauben oder auch nicht), aber sie hat an sich nichts Kriminelles.
Diesmal aber muss er sich mit dem Frageverbot schlicht und einfach vor einer Mordanklage schützen; diesmal ist das Frageverbot für ihn überlebenswichtig. Schon während des Vorspiels sieht man, wie er sich an die beiden vom Spielen müden und eingeschlafenen Geschwister Elsa und Gottfried heranmacht, Gottfried aufweckt, zum Spielen verführt und ihn dann im Teich ertränkt. Die Krone, mit der der Junge gespielt hat, versteckt er, das Wappen von seiner Jacke wirft er weg. Hier will einer skrupellos die Macht in Brabant an sich reißen.
Ein aparter Clou der Inszenierung ist der schwarze Schwan. Im düsteren Wald von Marc Löhrer wird der von seinem Hügelplatz aus nicht nur Zeuge des Verbrechens, er hilft auch aktiv bei dessen Aufklärung, kann er doch mit dem Kopf nicken und mit den Flügeln schlagen. Er verweist immer wieder auf den Tatort Teich. Bei der Aufklärung übernimmt Ortrud die Hauptrolle. Sie hat einerseits (wie immer) ihre eigene Machtagenda. Sie will lieber mit ihrem Mann über die Brabanter herrschen, als sie für König Heinrich gegen den Feind, der sie noch nie bedroht hat, in den Krieg ziehen zu lassen. Es ist schon beeindruckend, wie sie den Brabantern, die sich nach anfänglichem Zögern, die Uniformen des Königs haben aufzwingen lassen, wieder vom Leib zu reißen versucht. Sie wird hier auch „beweisen“, dass sie es nicht war, die Gottfried verschwinden ließ. Hier bilden die beiden Telramunds eine Soko, die ganze Aufklärungsarbeit leistet.
In der Brautgemachszenen überzeugen Telramund (der offenkundig sowieso eine Schwäche für Elsa hat) und Ortrud die Braut mit den gesammelten Indizien (die versteckte Krone des Opfers, das Wappen des Täters) davon, dass Lohengrin Gottfried auf dem Gewissen hat und sie ihn nur noch mit einer direkten Frage zum Geständnis zwingen muss. Geahnt hat sie das von Anfang an. Elisabeth Teige ist nicht nur eine lyrisch kraftvoll aufstrahlende Elsa, sie spielt auch durchweg überzeugend die junge Frau, die erst bedroht und dann in eine Ehe gezwungen wird. Mit einem Mann, der ihr von Anfang an irgendwie verdächtig ist und sie geradezu an seine Seite zwingt. Klaus Florian Vogt überrascht geradezu damit, dass er auch den Bösewicht glaubwürdig spielen kann, während er gleichzeitig demonstriert, dass er der Lohengrin-Sänger ist, an dem sich heute immer noch jeder messen lassen muss.
In dieser Inszenierung zwischen düsterem Wald mit Teich und Hügel und den drei von oben einschwebenden, steril weißen Schlafzimmerboxen in der Höhe kommt es besonders auf Ortrud und Telramund an. Der Isländer Ólafur Sigurdarson fügt der exzellenten Diktion seiner Charakterstimme als Friedrich eine differenzierte innere Zerrissenheit hinzu. Ihm passt schon die Anklage Elsas vor dem Gottesgericht nicht wirklich, aber er steht da noch voll unter der zupackenden (auch erotischen) Dominanz seiner Frau. In dieser Rolle ist Miina-Liisa Värelä tatsächlich eine Sensation. Mit auftrumpfender vokaler Vehemenz und darstellerischem Charisma samt glaubwürdiger Wandlung, wenn sie die eigenen Machtambitionen mit echter Hilfe für Elsa verbindet. Mit gezücktem Messer ist sie es, die Lohengrin am Ende vor den König führt, wo er erst in den Wahnsinn (der hier phantasierten Grals-Story) und dann in den Selbstmord flüchtet. Er kann noch die von Ortrud als letzten Beweis herbeigeschaffte Wasserleiche Gottfrieds geradezu zynisch zum Schützer von Brabant erklären, bevor er stirbt und Ortrud dem König herausfordernd die Stirn bietet.
Das Protagonistenensemble wird von Günther Groissböck als dezidiert um herrischen Auftritt bemühten König Heinrich und Jürgen Terkel als Heerrufer ergänzt. Die Katalanen übersetzten seine Rolle mit Herold – auf der Bühne gibt er leider wirklich nur noch den Rufer. Imponierend sind die Präzision und Wucht der Chöre, die naturgemäß auch hier auch mal so aufmarschieren, dass man mühelos die Truppenstärke von 80 Köpfen erfassen kann. Josep Pons leitet das Orquestra Simfònica del Great Teatre del Liceu betont präzise, unterschlägt aber auch den silbrigen Glanz etwa des Vorspiels oder die Romantik vor und während Elsas „In lichter Waffen Scheine“ nicht. Hier steigt ein betont zupackender Lohengrinklang aus dem Graben auf, der zu der spannenden Inszenierung und der detaillierten Personenregie gut passt. Und das Pro und Contra für eine ambitionierte Regie gehört bei Wagner eh dazu. Da geht es Katharina nicht anders als es Richard ging.
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