Um die Mozartmania führt 2006 kein Weg herum. Sogar das 16. Kammermusikfest Lübeck, das sich eigentlich der Epoche von 1870 bis 1918 widmet, konnte dem Sog der Gratulationen zum 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart nicht widerstehen. Allerdings, wie bei diesem Festival immer zu erwarten, mit eigensinnigen Pointierungen, nämlich der Ouvertüre zur Oper „Die Zauberflöte“, die Alexander von Zemlinsky für Klavier zu vier Händen arrangiert hat. Ein entzückendes Bonmot für das Duo Sontraud Speidel und Evelinde Trenkner, zumal es zum romantischen Augenzwinkern von Edvard Griegs frei hinzukomponiertem zweiten Klavier bei der „Sonate G-Dur“ von Mozart passte.
Solides Niveau in unkonventioneller Façon bietet dieses unerschöpfliche Programmfestival. Wozu auch die Moderationen von Hermann Boie gehören, der in diesem Jahr (entgegen den Trends bei anderen Festivals) zufrieden feststellte, dass das Durchschnittsalter des Publikums und der Beteiligten erheblich gesenkt werden konnte, weil erstens eine Schulklasse aus Berlin eingeladen war und zweitens auch die Künstler nicht alle aus der Seniorengeneration kamen. So das Pianopaar Lucille Chung und Alesio Bax aus Dallas (USA), die mit Bravur die vertrackten Rhythmen des kompletten Petruschka-Balletts meisterten; Igor Strawinsky hatte es selbst 1911 für Klavier zu vier Händen bearbeitet. Auch die Violinistin Azadeh Maghsoodi, gerade 16 Jahre alt, war erstaunlich souverän bei den virtuosen „Zigeunerweisen“ von Pablo de Sarasate und „La Campanella“ von Niccolo Paganini, Werke, bei denen sie Jacques Ammon am Klavier perfekt begleitete.
Von der Klassik-Prominenz war Natalia Gutman da. Die Cellistin hatte mit Sviatoslav Moriz (Violine), Dimitri Vinnik (Klavier) und Olga Dyachkovskaja die „Sieben Romanzen nach Worten von Alexander Blok“ vorbereitet und makellos gespielt. Ein Werk, bei dem Dmitrij Schostakowitsch das Klaviertrio neu definierte, indem er den Gesangspart mit wechselnden Besetzungen umrahmte. Das Leipziger Streichquartett, seit fast 20 Jahren auf Erfolgskurs in allen Disziplinen des Repertoires hatte das selten aufgeführte „Streichquartett c-Moll“ von Anton Bruckner mitgebracht, ein klangschönes Jugendwerk ohne Komplikationen. Doch Leoš Janáceks tragisches „Streichquartett Nr. 1 – aus Anlass der Kreutzersonate von Leo Tolstoi“ interpretierten die vier Männer aus der Gewandhaustradition mit solch maximaler Empfindsamkeit, dass es wie eine Katharsis seelischer Erschütterung wirkte.
Erschüttert wurde das Publikum dann nochmals, aber durch Lachsalven, als Studierende der Musikhochschule, geleitet von Gerd Müller-Lorenz, das „Konzert für Violoncello und Blasorchester“ von Friedrich Gulda präsentierten. Kein Klamauk, sondern eine gepfefferte Satire, die der Solist Troels Svane für extravagante Kadenzeskapaden nutzte.
Diese Kombination von jugendlichem Schwung und gereifter Nachdenklichkeit, exzellentem Standardrepertoire und erlesenen Raritäten gibt den drei Tagen am Himmelfahrtwochenende in Lübeck ein unvergleichliches Flair. Hier bewährt sich beharrlicher Optimismus im ausverkauften Saal.