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Strukturwandel in Berlins Orchesterlandschaft

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Zum bevorstehenden Weggang von Christian Thielemann sowie der Intendanten Rexroth und Weingarten
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Umso mehr überraschte am 19. November seine Entscheidung, diese Tätigkeit im Jahre 2001 gleichzeitig mit Götz Friedrich zu beenden. Auslöser war der Vertrag, den Berlins Kultursenator Peter Radunski mit dem künftigen Opernintendanten Udo Zimmermann abschloss, ohne zuvor Thielemann gehört zu haben. Zimmermann warf dem jetzigen Generalmusikdirektor inzwischen mangelnde Teamfähigkeit vor. Unausgesprochen steht im Hintergrund aber immer noch der angebliche „Konservatismus" des Dirigenten. Obwohl das Ganze auf einem Missverständnis beruht, ausgehend von einem lange zurückliegenden Gespräch mit René Kollo über Dirigenten in Bayreuth, wurde die Fama weitergesponnen, als sich Thielemann in Nürnberg für Musik Hans Pfitzners einsetzte. Fälschlich schloss man so aus dem Repertoire auf die politische Haltung des Dirigenten. Für ihn ist aber „Palestrina" eine ebenso gute Oper wie Schönbergs „Moses und Aron", die er kürzlich nach zwanzig Proben am eigenen Haus dirigierte.

Wie die Bilder sich unterscheiden: auf das Cover ihres Bildbandes „Music People" rückte die kalifornische Avantgarde-Mäzenin Betty Freeman den Dirigenten Christian Thielemann ins Zentrum, umrahmt von Boulez, Kurtag, Ligeti, Rihm, Schnittke und Stockhausen – der inzwischen 40-jährige Dirigent also als Partner bekannter zeitgenössischer Komponisten. Ein ganz anderes Thielemann-Bild spukt dagegen immer noch in einigen Köpfen: das des engstirnigen und konservativen Pfitzner- und Wagner-Spezialisten. Christian Thielemann, einer der wichtigsten Künstler seiner Generation, der einzige Dirigent mit einem Exklusivvertrag der Deutschen Grammophon, ist heute offener und vielseitiger als in seinen Anfängen. Als er zur Saison 1997/98 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin wurde, war er sofort bereit, mit dem Intendanten Götz Friedrich repräsentatives und avantgardistisches Theater zugleich zu machen – Wagner und Strauss, aber auch Schönberg und Henze. Umso mehr überraschte am 19. November seine Entscheidung, diese Tätigkeit im Jahre 2001 gleichzeitig mit Götz Friedrich zu beenden. Auslöser war der Vertrag, den Berlins Kultursenator Peter Radunski mit dem künftigen Opernintendanten Udo Zimmermann abschloss, ohne zuvor Thielemann gehört zu haben. Zimmermann warf dem jetzigen Generalmusikdirektor inzwischen mangelnde Teamfähigkeit vor. Unausgesprochen steht im Hintergrund aber immer noch der angebliche „Konservatismus" des Dirigenten. Obwohl das Ganze auf einem Missverständnis beruht, ausgehend von einem lange zurückliegenden Gespräch mit René Kollo über Dirigenten in Bayreuth, wurde die Fama weitergesponnen, als sich Thielemann in Nürnberg für Musik Hans Pfitzners einsetzte. Fälschlich schloss man so aus dem Repertoire auf die politische Haltung des Dirigenten. Für ihn ist aber „Palestrina" eine ebenso gute Oper wie Schönbergs „Moses und Aron", die er kürzlich nach zwanzig Proben am eigenen Haus dirigierte. Bevor Zimmermann im Mai dieses Jahres überraschend als Nachfolger von Götz Friedrich ins Rennen kam, hatte sich der mit Thielemann befreundete Peter Ruzicka für diese Position interessiert. Einen Vorgeschmack dieser Partnerschaft hatte man erleben können, als Thielemann an der Hamburgischen Staatsoper die Berghaus-Inszenierung des „Tristan" dirigierte. Dem Dirigenten zufolge ist dieses von ihm erhoffte Kooperationsmodell beim Senat gescheitert, weil beide darauf beharrt hatten, dass die Deutsche Oper und die Staatsoper Unter den Linden gleichrangig behandelt würden.

Einigung und Konflikte

Dennoch verlief das erste Treffen mit Zimmermann im Mai produktiv. Beide konnten sich über das Repertoire der ersten Saison einigen, wonach Thie-lemann neben „Intolleranza" die „Schweigsame Frau" übernehmen sollte. Zu Konflikten kam es jedoch, als der künftige Intendant, auf seinem Letztentscheidungsrecht beharrend, die ohnehin begrenzten Kompetenzen des Generalmusikdirektors noch weiter einschränken wollte. Es ist nur zu verständlich, dass dieser damit nicht einverstanden war. Schon mehrfach hatte er attraktive internationale Angebote zugunsten der Deutschen Oper abgelehnt. Ihm war es wichtig, trotz der im Vergleich zu München bescheidenen Honorierung sechs Monate im Jahr in Berlin zu sein, um dort wirklich zu arbeiten. In der Tat ist das Orchester der Deutschen Oper inzwischen wieder zu dem hohen Standard zurückgekehrt, den es unter Ferenc Fricsay und Lorin Maazel schon einmal hatte. Tief enttäuscht ist Thielemann nicht nur über Udo Zimmermann, der nach dem Gespräch im Mai nicht mehr persönlich mit ihm zusammentraf. Enttäuscht ist er auch über den Kultursenator, der ohne das versprochene Dreiergespräch einen für Thielemann inakzeptablen Intendantenvertrag abschloss. Hintergrund ist wahrscheinlich das „Kreise-Papier" des Senators, wonach die Lindenoper das repräsentative Haus sein solle, die Deutsche Oper dagegen eher das experimentelle, moderne Musiktheater. Dazu Thielemann: „Mir tut es in der Seele weh. Ich hänge an diesem Haus. Gerade komme ich von einer Orchesterprobe: Sie spielen hingebungsvoll. Dass das kaputtgemacht wird durch eine solche Entscheidung!"

Zimmermann, der einst Thielemann hatte nach Leipzig engagieren wollen, hat dessen Rückzug merkwürdig gelassen kommentiert. Er sehe in dieser Entwicklung, so ließ er verlauten, die Chance für einen wirklichen Neuanfang. Als mögliche Thielemann-Nachfolger nannte er bereits Kent Nagano sowie Esa-Pekka Salonen. Es lässt sich jedoch bezweifeln, ob ein international tätiger Dirigent bereit ist, sich unter den gegenwärtigen Vertragsbedingungen an die Deutsche Oper zu binden. Wenn der künftige GMD aber nicht wie sein Vorgänger sechs Monate pro Jahr mit dem Orchester zusammenarbeiten kann, ist der Niveauverlust schon vorprogrammiert. Während man um die Zukunft Christian Thielemanns nicht bangen muss – zu seinen nächsten Projekten gehören „Die Frau ohne Schatten" an der Met, „Rosenkavalier" und „Meistersinger" in London, mehrere Aufgaben in Bayreuth und der „Tristan" in Wien – kommen auf Udo Zimmermann und den neuen Kultursenator schwierige Aufgaben zu.

Wenn es nach den bisherigen Plänen des Regierenden Bürgermeisters geht, soll der angesehene Soziologe Rolf Lepenies dieses Amt übernehmen. Lepenies hat bislang als Direktor des Wissenschaftskollegs durchaus Offenheit für Musik, auch für Zeitgenössische, bewiesen. So gehörten Luigi Nono, Luca Lombardi, Wolfgang Rihm, György Kurtag und Walter Levin zu den Gästen dieser renommierten Einrichtung. Wer immer der neue Kultursenator ist – er wird ein Wort mitzureden haben auch bei der Wahl des Philharmoniker-Intendanten. Bekanntlich wird die bisherige Position Elmar Weingartens im Jahre 2001 vakant. Wie man hört, ging es auch hier um Machtfragen.

Schwache Position

Anders als an der Deutschen Oper hat der Intendant des Berliner Philharmonischen Orchesters eine ausgesprochen schwache Position. Eingeengt wird er durch Befugnisse des Orchestervorstands, der wiederum beeinflusst wird durch Begehrlichkeiten der Medienrepräsentanten. Dabei wäre eigentlich eine gründliche Strukturreform nötig, um die Philharmonie besser als bisher zu einem durchgehend geöffneten Kommunikationszentrum zu machen und so besser in das Kulturforum zu integrieren. Modellbeispiele sind etwa die Kölner Philharmonie oder die Royal Festival Hall in London. Beim Orchestervorstand gibt es bereits Überlegungen, dazu das Orchester und die beiden Säle der Philharmonie in eine Stiftung zu verwandeln. Zugleich müsste aber die Programmkompetenz des Intendanten gestärkt werden. Solche Neuordnungen sollten möglichst vollzogen sein, bevor Simon Rattle im Jahre 2002 die Abbado-Nachfolge antritt.

Zum Intendantenwechsel kommt es demnächst auch bei der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH, nachdem der zum Jahreswechsel auslaufende Vertrag von Dieter Rexroth nicht verlängert wurde. Die GmbH war 1994 gegründet worden, um die Ensembles der Rundfunksender aus Ost und West zu retten und zusammenzuführen. Seitdem sind das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO), das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), der Rundfunkchor Berlin, der Rias-Kammerchor und die Rias Big Band unter einem Dach vereint. Rexroth hatte mit der Leitung dieser GmbH wahrlich keine leichte Aufgabe übernommen, zumal damit zugleich die künstlerische Leitung des DSO verbunden war. Diese merkwürdige Konstruktion, wegen der bereits Vladimir Ashkenazy seine Chefdirigentenposition beim DSO aufgegeben hatte, erschien ihm selbst problematisch. Nicht einfacher wurde es, als ihn die vier Gesellschafter DeutschlandRadio, Bund, Land Berlin und SFB angesichts des Spardrucks der öffentlichen Hand um die Entwicklung eines tragfähigen Zukunftskonzepts baten.

Ein Abbau der derzeit etwa 200 Orchesterstellen schien unvermeidlich. Dabei hat das DSO nach der Ernennung von Kent Nagano zum Ashkenazy-Nachfolger die besseren Karten, obwohl Rexroth mit Thomas Schmitt-Ott inzwischen einen neuen Orchesterdirektor fand und damit seine problematische Doppelexistenz preisgab. Das schon auf die 20er-Jahre zurückgehende Rundfunk-Sinfonieorchester, seit dem Rücktritt von Rafael Frühbeck de Burgos ohne Chef, konnte mit dem DSO qualitativ nie ganz mithalten.

Kein Wunder, dass es um seine Existenz fürchtete und alle Pläne des Intendanten mit besonderem Misstrauen betrachtete. Entsprechend reagierte es auf seinen Abgang mit einer gewissen Erleichterung. Als möglicher Nachfolger Rexroths wurde bereits Thomas Albert, der Gründer des Bremer Musikfests und der dortigen Akademie für Alte Musik genannt. Albert ist überzeugt, durch eine inhaltliche Umstrukturierung auch ohne Stelleneinsparungen den erwünschten Spareffekt erbringen zu können. Wenn ihm die Auflösung dieses gordischen Knotens gelänge, könnte man ihn beglückwünschen.

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