Über die jüngste Staatsopernproduktion lässt sich viel erzählen, und das scheint sie aufzuwerten – dem gegenüber stehen die Eindrücke, welche der Zuschauer von der Bühne erlebt. Unser Kritiker Peter P. Pachl war Zuschauer.
Rimsky-Korsakow vertonte Fjodor Dostojewskis Dramolett „Mozart und Salieri“ wörtlich und schloss sich damit der um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert viel diskutierten Theorie der Vergiftung Mozarts durch seinen berühmten aber weniger genialen Zeitgenossen Salieri an. Angesichts der kammermusikalischen Orchesterbesetzung für nur 15 solistische Instrumente ist das 1897 uraufgeführte Zweipersonenstück auf internationalen Studentenbühnen durchaus beliebt. Mit Bezügen zu Kompositionen der besagten Konkurrenten geht diese Musik durchaus ins Ohr.
Der schwerwiegendste Nachteil der Oper liegt in ihrer Kürze von ca. 50 Minuten. Die Staatsoper im Schillertheater kombinierte und kompilierte Rimsky-Korsakow mit Texten, die im weitesten Sinn Bezug haben zu Puschkins dramatischer Vorlage und sorgte so fraglos für den originellsten Beitrag zu Mozarts 260. Geburtstag – am Abend danach.
Auf dem überbauten Orchestergraben, nach vorne gerückt, drei szenisch wenig inspirierende Spielflächen, in der Mitte eine Schräge. Mit projizierten Angaben, welche Musik oder welcher Text gerade verhackstückt wird, beginnt es noch recht humorvoll: Mozarts sechs Variationen über ein Thema von Salieri werden vom rot gewandet aufgedunsenen Mozart auf einem Kinder-Spielzeugflügel intoniert, bald abgelöst von Vibraphon, einem leicht verstimmten Klavier, Konzertflügel, Akkordeon für den vor seinem Metronom sitzenden, dem Publikum den Rücken kehrenden, hageren Salieri.
Bei der nachfolgenden Oper, dem Konversationsstück der kompositorischen Wiener Konkurrenten, vergleicht der Rezipient im Kopf die Bilder des auf dem Fußboden herumrutschenden Mozart ständig mit Miloš Formans Verfilmung von Peter Shaffers „Amadeus“ und registriert, wie viel raffinierter dort mit dem wissenschaftlich nicht haltbaren Ansatz umgegangen wird. Ein Einstein-Darsteller stört Kontrahenten, indem der „blinde Geiger“ seine Energie-Formel auf eine Tafel schreibt. Das weist voraus auf die nachfolgende Dramatisierung des Briefwechsels zwischen Einstein und Freud, den Angela Winkler teils melodramatisch rezitiert, während eine Violinistin in Einstein-Maske den 2. Satz von Mozarts B-Dur-Violinsonate KV 378 virtuoser exerziert als es der Violine spielende Physiker je vermochte.
Merklich dröger wird es dann mit dem Bogenschlag vom Briefwechsel „Warum Krieg“ zu Dostojewskis „Brüder Karamasow“. Unterstützt von Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8, in Überblendung mit der Streichorchesterbearbeitung, rezitiert und deklamiert Angela Winkler die abgeschlossene Episode zwischen dem Großinquisitor und dem im 16. Jahrhundert unvermutet wiederkehrenden Jesus. Die eindrucksvollen Fotos des Programmhefts verraten, dass diese Episode bis in die Schlussproben hinein auch mit den Hauptdarstellern bebildert wurde, mit Salieri als Großinquisitor und Mozart als verfolgtem Jesus. In der Presseankündigung hieß es noch: „sogar Stalin und Jesus treten auf“. Der ursprüngliche Ablaufplan ist im Programmheft abgedruckt – doch ein Einlegzettel benennt die geänderte Programmabfolge.
Zurück zu Mozart kehren am Ende des Abends die von David Robert Coleman klanglich übermalten Exzerpte aus Mozarts Requiem – zu einer Schallplatteneinspielung des Jahres 1941. Für optische Übermalung sorgt die Regisseurin Elisabeth Stöppler im Verein mit der Ausstatterin Annika Haller: mit Projektionen von Atombomben und einem finalen Helikopter, der seinerseits den Bogen zur Softwareversion von „Madama Butterfly“, dem Musical „Miss Saigon“ schlägt. Als Schlussgag rutscht der doch-nicht-Jesus Mozart bäuchlings die Schräge herab.
Der ambitionierte Versuch wäre in der Werkstatt des Schillertheaters besser angesiedelt gewesen als im großen Haus, wo es viele freie Plätze und halbe leere Reihen gab. Erfreuen konnten sich die Anwesenden an den beiden herausragenden Sängerpersönlichkeiten Stefan Rügamer als Mozart und Roman Trekel als Salieri, im Verbund mit der Schauspielerin Angela Winkler, an der von Max Renne geleiteten, durch chorische Streicher auf gut 30 Mann angewachsenen Orchesterformation der Staatskapelle Berlin, inklusive Streichquartett und der auch darstellerisch spielfreudigen Violinistin Sophie Heinrich. Der pausenlose, merklich gestreckte Abend nennt sich „eine relative Vernichtungstheorie“ – er lässt das Publikum relativ ratlos und erschöpft zurück. Dass der als Mitverantwortlicher genannte Dramaturg Jens Schroth am Premierenabend fehlte, mag zu denken geben; insbesondere auch, da der für ihn die Einführung übernehmende Kollege nichts von einer Erkrankung Schroths berichtete.
Müder Premierenapplaus, auch für den Haus-Komponisten David Robert Coleman.
- Weitere Aufführungen: 30. Januar, 2., 4., 7., 13. Februar 2016.