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Marina Rebeka; Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Hans Jörg Michel
Marina Rebeka; Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Hans Jörg Michel
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Szenisch zu wenig: Vincenzo Bellinis „Norma“ an der Staatsoper Hamburg

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Nach zum Teil stehenden Ovationen für die Sängerinnen Marina Rebeka und Diana Haller nach der Premiere von Vincenzo Bellinis „Norma“ an der Staatsoper Hamburg gab es Buhrufe für die südkoreanische Regisseurin Yona Kim. Und das nach einer Aufführung, die sich am Ende psychologisch ungemein fokussierte und unter die Haut ging. So stellte sich die Frage nach dem Warum?

Die 1831 uraufgeführte Oper, die 100 Jahre vor Christi Geburt spielt, handelt von der römischen Besatzung Galliens und die Regisseurin Kim bezieht keineswegs nur Stellung gegen die Besatzer. Sondern im Gegenteil: sie zeigt mit überdeutlicher Härte den fundamentalistisch geschlossenen Kosmos der Besetzten: ein Haufen disziplinierende und konditionierende Gesetze und härteste Strafen, von der Gehirnwäsche bis zur Todesstrafe, da sind sie nicht zimperlich. Gleich zu Anfang wird ein gefangener Römer mit Benzin übergossen und angezündet. 

Es ist ja auch ungeheuerlich, was die gallische Priesterin Norma, die ein Keuschheitsgelübde abgelegt hat, sich erlaubt: sie lebt nicht nur eine heimliche Liebesbeziehung zu dem römischen Besatzer Pollione,  sie hat auch zwei Kinder mit ihm, die sie im Untergeschoss versteckt. Als sich Pollione in eine weitere Priesteranwärterin verliebt und Norma verlassen will, nimmt das Drama seinen unvermeidbaren Lauf. Nach dem vergeblichen Versuch, ihre Kinder zu töten und der verzaubernd schönen Aussöhnung mit ihrer Rivalin Adalgisa und geht Norma in den schon für Adalgisa errichteten Scheiterhaufen, Pollione, der plötzlich ihre Liebe begreift, folgt ihr.

Und diese ganzen Fürchterlichkeiten erklingen in unendlich schönem, verführerischem Gesang, dem Bel Canto, der den Anspruch hat, alles seelische Geschehen in die Melodie ziehen zu lassen, weil die Emotion anders nicht mehr ausgedrückt werden kann.

An dieser Stelle tut sich die Diskrepanz in dieser Inszenierung auf: hinreißend musiziert ist das alles mit dem Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von Matteo Beltrami, aber szenisch sieht man zu wenig, was Unglaubliches sich da abspielt und auf das Kim in einem Interview auch durchaus hinweist: „Als hätte eine religiöse IS Kämpferin Kinder mit einem hochrangigen amerikanischen Offizier oder als hätte eine Führerin der Palästinensischen Befreiungsfront mit einem israelischen Politiker eine Famielie gegründet“. Erst zunehmend und im Schlusstableau erschütternd gelingt es Kim, die seelischen Explosionen fester anzuziehen. Zudem bleibt der Chor, der immerhin nahezu permanent anwesend ist, trotz plötzlich herausschießender Deutlichkeiten wie der Züchtigung der Novizinnen, zu starr, zu unbeweglich. Unwahrscheinlich, dass die Gallier die Friedensarie der Norma „Casta diva“ sich in derart erstarrter Haltung anhören. Auch für das Leben dieser Kinder – da ist ja das unvergessene Amstetten nicht weit – fand Kim keine oder wenig Bilder. Wenn sich dann der Ältere mal die Ohren zuhält oder der Kleinere pausenlos am Malen und Radieren ist, ist das schon viel: völlig unglaubwürdig, dass die Kinder beim Anblick einer riesigen Geburtstagstorte ihren Kopf auf den Tisch legen und einschlafen.

Musikalisch überragend die beiden Frauen, reichlich viel Vibrato bei Marcelo Puente als Pollione und erst recht bei Liang Li als Normas Vater Oroveso. Für das abstrakte Bühnenbild von Christian Schmidt musste eine Art Wohncontainer herhalten, der auch in die Versteckgemächer der Kinder führt. Nach anfänglichen Leerstrecken wurde es ein großer und bewegender Abend.

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