Hauptbild
Oben: Verena Hierholzer (Arimanes). Unten: Sarah Chae (Satanella). Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography

Oben: Verena Hierholzer (Arimanes). Unten: Sarah Chae (Satanella). Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Teuflisches Opernparadies: Deutsche Erstaufführung von Balfes „Satanella“ in Annaberg-Buchholz

Vorspann / Teaser

Intendant Moritz Gogg und Regisseur Christian von Götz setzen bei Erzgebirgisches Theater und Orchester ihre Entdeckungsreihe toller Musiktheater-Funde fort. Auf Hugo Hirschs mit dem Operetten-Frosch ausgezeichneten Operetten-Frosch ausgezeichneten „Fürst von Pappenheim“ und Michael William Balfes „Falstaff“ folgte am Samstagabend beifallsumrauscht „Satanella or The Power of Love“ („Satanella oder Die Macht der Liebe“) als zweite deutsche Erstaufführung einer Balfe-Oper. Sarah Chae, Jakob Hoffmann, Martin Mairinger und Richard Glöckner brillierten an der Spitze einer herausragenden Ensembleleistung. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Wie schon bei „Falstaff“ 2016 erfolgte die zweite deutsche Erstaufführung einer Balfe-Oper in Annaberg-Buchholz nach der Neuausgabe von Valerie Lengfield. Die sehr freie Adaption von Jacques Cazottes Kurzroman „Der verliebte Teufel“ von 1772 durch die Librettisten Augustus Harris und Edmund Falconer war am 20. Dezember 1858 die erste Uraufführung im nach einem Brand 1856 neu errichteten Londoner Opernhaus Covent Garden. 

Die grundsympathische Satanella folgt in der etwas matten Libretto-Adaption des Romans zwar der höllischen Aufforderung, in die Nähe Ruperts zu kommen, wird aber aus echter Liebe zu diesem ihrem satanischen Zerstörungsauftrag allerdings nicht im Geringsten gerecht. Der Regie, Bühne und Kostüme verantwortende Christian von Götz und das Ensemble machten diesen Plot aus dem Geist der Schauerliteratur zu einer makabren wie passionierten Theatersause. Mit Lust am Verstörungspotenzial stocherten alle lustvoll in den Abgründen des galanten, schwulen und esoterischen Cazotte. Dabei förderte die Spieldynamik aller Mitwirkenden Faszinierendes zutage. Bei Cazotte verwandelt sich der Teufel selbst in die heißblütige Biondetta und nimmt sein Verführungswerk an einem spanischen Schwerenöter verdammt ernst. Cazottes „diable amoureux“ ist also genau genommen ein schwuler bzw. queerer Teufel. Hinter dem phantastischen Aufputz des Stoffs wird deutlich: „Letzten Endes atmet jede Teufelsgeschichte die Angst vor Emanzipation, Gerechtigkeit und Veränderung.“ artikulierte von Götz und gibt im Eduard-von-Winterstein dem Stoff ein wissend gefährliches Fundament. 

Der kleine und von Kristina Pernat Ščančar souverän auf die choreographischen Marionetten-Sequenzen vorbereitete Opernchor zeigt eine fashionable, aber repressive Gesellschaft. Wie biedermeierliche Ziehpuppen bewegen die Chorfrauen. Die Männer steuern mit Frack und Zylinder eine harte Prügelszene bei. „Der Satan träumt nicht“ und „Bis der Tod euch scheidet“ dräuen Kreideschriftzüge auf den das Spielgeschehen umrandenden Paravents. Alles düster wie die erotischen Abgründe der Figuren, die hier reichlich ausgebreitet und durch neue Dialoge geschärft werden. Ironie, Authentizität und Wissen verschwimmen zum entfesselten Theater. 

Von Götz und das Ensemble bestätigen sich hier als Expert*innen der Gotischen Schauerliteratur. Das sprichwörtliche Doppelgänger-Motiv findet gleich mehrfach Eingang in die Annaberger „Satanella“-Plot. In der Spielfassung legt die eigentliche Hauptfigur Carl dem Pater Braccacio die Beichte seiner Obsessionen ab. Carl glaubt, seine Braut getötet zu haben und dass diese sich in Gestalt einer Teufelin rächen will. Immer wieder bis zu Carls Tod in den Armen des von jähen Emotionen übermannten Paters mischt sich diese Tat ins aufgeputschte Geschehen. Sein anderes Ich tritt in Carls Erzählungen mit verdoppelter Gestalt auf. Grund dafür war, dass der hinreißende Tenor Martin Mairinger sich kurz vor Probenbeginn den Arm gebrochen hatte. Martha Tham übernahm die anspruchsvollen szenischen Aktionen mit aparter, nicht vordergründiger Androgynie und verkörperte die Figur neben dem „nur“ singenden Parade-Tenor mit hohem D. Satanella und der ebenfalls in eine Stimm- und Spielpartie aufgeteilte Teufel Arimanes bilden sogar etwas wie eine infernalische Dreifaltigkeit. Wenzheng Tong singt den Teufel bemerkenswert schön, Sarah Chae als Satanella wird fast so etwas wie eine lyrische Madonna und die Tänzerin Verena Hierholzer klebt wie eine Fledermaus im Geäst eines toten Baumes. Hierholzer begleitet, hetzt und terrorisiert Satanella, aber auch alle anderen. Pater Braccacio entwickelt bereits vor dem als symbolische Defloration gezeigten Exorzismus erotische Nähe zum psychotischen Beichtkind. Und er sieht, wenn Satanella sich ihm nähert, sein Heil in einem anzüglichen Lob der Allerheiligsten Jungfrau. Das Ende – eine solche Deutung legt Balfes stellenweise dämonisch wie Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ aufblitzende Musik nahe – explodiert in einer exzessiven wie perfiden erotische Selbstbefreiung aller. 

Durch die Rahmenhandlung mit Carls Beichte verschieben sich die Akzente dann. Schade, dass Glöckner, welcher den Carl zwischen Zärtlichkeit, Grauen und Wahnsinn überaus expressiv aufreißt, so wenig zu singen hat. Phänomenale Gestaltung und Präsenz zeigt auch der Bariton Jakob Hoffmann Braccacio. Trotz Balfes Arien-Akkumulation für die Titelfigur und den mit sagenhaften Romanzen bedachten Rupert wächst Hoffmann immer mehr zum Ko- und Kontra-Protagonisten. 

Bis in die nicht so dominierenden, trotzdem wichtigen Partien von Bettina Grothkopf (Stella), Maria Rüssel (Lelia) und László Varga (Hortensius) hat ETO ein rundum eindrucksvolles Ensemble mit gleich mehreren Glanzlichtern zusammen. Die Koreanerin Sarah Chae verkörpert mit Satanella eine Belcanto-Partie par excellence. Satanella ist ein Charakter mit der Abgründigkeit von Wagners Kundry. Allerdings anders als Goethes Mephistopheles, der das Böse will und Gutes schafft, will Satanella nur Gutes. Satte Leistung. 

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue ist nicht sonderlich personenstark. Das nützten bei ihrer Einstudierung Dieter Klug und beim Premierendirigat der scheidende GMD Jens Georg Bachmann. Balfes Orchesterpart mit seinen ausgeprägten Holzbläserstimmen gewinnt einen Hauch von Varieté. Diese Partitur enthält vieles: Aubers zielstrebige Eloquenz der Instrumentation, den sogar leicht ironisch wirkenden Donizetti-Ton, Verdis Rhythmus-Effekte. Nichts an dieser Gesamtleistung aus Musik und exzessiver Szene wirkt aufgesetzt, überfrachtet, übertrieben. Alle Emotionen- und Erotik-Exzesse sind logisch entwickelt. So wäre „Satanella“ auch ein Haupttrumpf beim nächsten Leipziger Wave-Gotik-Treffen und für alle Brutstätten einer noch immer äußerst relevanten Schwarzen Romantik.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!