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Foto aus der Premiere. © Leifer
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Theater aus der Mitte der Gemeinschaft heraus für die Gemeinschaft: „Opernale“ 2017

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Wie jedes historische Großereignis führt auch die Reformation Situationen und Personen im Gepäck, die als abseitig gelten und deshalb nur hinter vorgehaltener Hand, wenn überhaupt, Erwähnung finden. Gudrun Ensslin ist ein solcher Fall. Vor ihrer blutigen Karriere in der Roten Armee Fraktion (RAF) war die Tochter eines schwäbischen Pfarrers die längste Zeit ihres Lebens praktizierende Protestantin. Sie auf Luthers Ehefrau Katharina von Bora und die plattdeutsche Dichterin Alwine Wuthenow aus der Zeit des Biedermeier, auch eine Pfarrerstochter, treffen zu lassen, ist die Grundidee des Stücks.

Zur Grundidee gehört auch der Ort des Geschehens: ein Transitraum zwischen Himmel und Erde, gewissermaßen die Lobby zum Jüngsten Gericht, das die drei Damen gemeinsam erwarten. Grundverschiedene Lebensentwürfe prallen aufeinander. „Katharina von Bora bringt den geschichtlichen, Gudrun Ensslin den politischen und Alwine Wuthenow den regionalen Bezug zu den Themen der Reformation ins Spiel. Es sind allesamt Frauen aus dem protestantischen Milieu und eine jede wurde in ihrem Charakter durch dieses geprägt. Zugleich sind sie Früchte und Zeugen ihres jeweiligen Jahrhunderts“, erläutert die Regisseurin Henriette Sehmsdorf die Konstellation der Figuren.

Vordergründig geht es um die Ausbrücke dieser Frauen aus unbefriedigenden Lebenssituationen. Erfahrungen im Eingesperrtsein haben sie schließlich alle. Katharina verbringt rund 20 Jahre hinter Klostermauern, bevor sie, angeregt durch die Schrift „Vom ehelichen Leben“, flieht und den Autor Martin Luther selbstbewusst zum Ehemann bestimmt; aus der Gestaltung dieser Ehe heraus entsteht das erste Modell der Institution „evangelisches Pfarrhaus“. Die als psychisch labil geltende, unter dem Fluch einer „ererbten Schuld“ leidende Alwine verbringt rund 20 Jahre hinter psychiatrisch verbrämten Gittern und flüchtet in die Welt der Poesie und Literatur. Und Gudrun bricht zunächst aus dem „evangelischen Pfarrhaus“ ihrer Eltern aus, als sie erkennen muss, dass die Kraft ihrer kirchlichen Herkunft gegen das ungebremste Wirken der alten nationalsozialistischen Kräfte in der Bundesrepublik nichts ausrichtet und deshalb in den bewaffneten Untergrund geht.

Eingeflochten in diese Tableaus sind eine Fülle von kontrovers verhandelter Themen, wie zur Ehemoral, zum Komplex flüchten/Heimat/nicht ankommen können, zur Konsumkritik, zum Glauben, oder zur sog. „Gewaltfrage“ (Können mehrere Millionen Tote im Krieg Kollateralschäden von nur wenigen Toten im politischen Widerstand rechtfertigen?). Katharina, Alwine und Gudrun schenken sich nichts, wobei die Fronten immer wieder wechseln. Wenn etwa die pragmatische „Macherin“ Katharina die psychische Erkrankung von Alwine als Bequemlichkeit abtut und Gudrun die „Frau Frühkapitalistin“ auf die gesundheitsschädlichen Auswirkungen eben ihrer Arbeits-Ethik verweisen muss. Oder umgekehrt, Katharina die sog. Isolationshaft der Stammheimer Häftlinge als Luxus-WG von Feiglingen verhöhnt, die sich mit Selbsttötung aus der Verantwortung stehen.

In den Auseinandersetzungen von Katharina, Alwine und Gudrun geht es, ausgesprochen oder nicht, immer um Schuld – um die eigene und die des Gegenüber. Offensichtlich muss das aus theologischen Gründen so sein. Denn wären die drei Frauen katholischen Glaubens, säßen sie vor der göttlichen Endabrechnung statt über ihren Verfehlungsbilanzen dann im Fegefeuer zum Zwecke der Läuterung. Das Fegefeuer aber hat Luther wegreformiert.

Im Stück bleibt der theologische Kern weitgehend versteckt, statt dessen rückt die Darstellung der unterschiedlichen Charaktere von Katharina, Alwine und Gudrun in der Vordergrund. Prototypisch dafür Katharinas ironischer Vorschlag zu gemeinsamem Singen und die Reaktionen. „Gudrun: Das sollte ein Witz sein. / Alwine: Man hat uns eingesperrt und Sie machen Witze?/ Katharina: Es ist kein Witz. Alles folgt einem Sinn.“ Die widersprüchlichen Positionen reißen mit einem Schlag auf. Und wenn man überdies das verquere Politkauderwelsch der RAF hört und wenig später Alwines in ihrer Schlichtheit eindringlichen Verse „Ick möt furt!“ hat man gewissermaßen Unterhaltung mit Tiefgang.

An der Regisseurin Henriette Sehmsdorf spürt man immer noch ihre Verbundenheit mit Ruth Berghaus, bei der sie u.a. gelernt hatte, wie man mit Präzision Figuren führt. Wenn Katharina (Barbara Ehwald, Sopran), Alwine (Claudia Roick, Sopran) und Gudrun (Katja Klemt, Schauspiel) in choreographierten Bewegungsabläufen auf ihrem markanten offenen Quader, der mit nur wenigen Objekten ausgestatteten Spielfläche (Bühne: Tom Hornig, Kostüme: Stefanie Gruber), ausdrucksstark agieren und singen, kommt frömmelnde Gemütlichkeit im „Theaterraum“ Pfarrkirche Neuenkirchen erst gar nicht auf. Dazu trägt auch die Musik bei, für die der gelernte Kirchenmusiker Benjamin Saupe den Kompositionsauftrag erhielt. Zusammen mit Annette Fischer (Blockflöten, Klarinette und Alt-Saxofon) realisiert Saupe am Keyboard den instrumentalen Part. Anleihen macht Saupe bei Martin Luther, zitiert und verfremdet verschiedene Stile oder auch Morricones Ballade „Sacco und Vanzetti“, organisiert Klangflächen und instrumentale Lautmalerei, Zwischenmusiken unterstützten die Dramaturgie des Musiktheater-Schauspiel Projektes. Den deutlichsten – theatralen – Eindruck hinterlassenen freilich die Vertonungen der plattdeutschen Gedichte von Alwine Wuthenow.

Eine starke Arbeit ist der „Opernale“ unter künstlerischer Leitung von Henriette Sehmsdorf mit ihrem Beitrag zum Lutherjahr 2017 gelungen. Man muss mit den religiösen Schlussfolgerungen von Sehmsdorf nicht immer einverstanden sein, schließlich hat sie – auch als Pfarrerstochter, die sie ist –  ihre Sicht auf die Reformation präsentiert. Aber auch alle am Projekt „Käthe, Alwine, Gudrun“ beteiligten Pfarrer, die ihre Kirchen für Aufführungen öffnen, mussten sich, nicht zuletzt der umstrittenen Figur Gudrun Ensslin wegen, positionieren und Haltung beweisen. Der sich der Förderung regionaler und lokaler Kultur verschriebene Verein „Opernale“ spielt Theater im besten Sinn, nämlich Theater aus der Mitte der Gemeinschaft heraus für die Gemeinschaft. Die Daten für die weiteren Aufführungen bis zum 7. Oktober im Dom St. Nikolai Greifswald sind www.opernale.de zu entnehmen.


Die „Opernale“ 2017 als Wanderbühne unterwegs in vorpommerschen Kirchen: „Käthe, Alwine, Gudrun – drei Frauen, drei Zeiten, eine Wurzel – weibliche Erben der Reformation“ von Benjamin Saupe (Komposition) und Henriette Sehmsdorf (Libretto), nach einer Textvorlage von Ulrich Frohriep. Uraufführung 9. September in der Pfarrkirche Neuenkirchen bei Greifswald

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