Das Theater Erfurt arbeitet zum dritten Mal mit dem Puppentheater Waidspeicher für eine Musiktheater-Produktion zusammen: Christian Georg Fuchs inszeniert Monteverdis „Die Heimkehr des Odysseus“ für die Studiobühne – Samuel Bächli hat die musikalische Leitung.
Ob einer wie Odysseus heute als Flüchtling anerkannt würde? Mit diesem Gedanken spielt die jüngste Erfurter Studioproduktion von Claudio Monteverdis „Die Heimkehr des Odysseus“. Zumindest suggeriert sie diese Assoziation, wenn der sich von einem Poseidon mit verinnerlichter Beamtenpose einen einschlägigen Stempel abholt. Odysseus ist ja einer der Weitgereisten der Weltliteratur schlechthin. Aber hilfebedürftiger Flüchtling?
Die uralte Geschichte der Heimkehr des Odysseus, die Monteverdi 1640 eine Oper wert war und die immer wieder neu erzählt wird (wie von Botho Strauß in seinem „Ithaka“) lebt davon, dass er nach zwanzig Jahren heimkommt und erst einmal inkognito, in Gestalt eines alten Bettlers, die Lage peilt. Dass er in seiner Abwesenheit ein ziemlich aktiver und erfolgreicher Krieger in Kleinasien war hatte sich auch in seiner Welt herumgesprochen. Dass er bei seiner Rückkehr in Ithaka mit einer falschen Identität an Land ging und sozusagen als Einstieg ein Massaker unter den Bewerbern um die Gunst, das Bett und das Reich seiner vermeintlichen Witwe Penelope anrichtete (und dafür gefeiert wird!) verweist auf die Grenzen solcher Gedankenspiele in Richtung Gegenwart. Würde sich heute einer wie er auf dem Seeweg nach Europa schmuggeln, wäre das ein Supergau. Das Spiel mit den Assoziationen hat halt so seine Tücken.
„Il ritorno d‘ Ulisse in patria“ ist eine jener Opern des Göttlichen Claudio, die zum Auftakt der Gattungsgeschichte gehört. Und die trotz allem was danach kam, immer noch funktioniert. Und das nicht nur als eine historische Reminiszenz, die der Vollständigkeit halber dazu gehört, sondern auch für sich genommen. Da sprudelt nämlich die Musik noch so klar wie ein Fluss in der Nähe seiner Quelle, da umspielt die Melodie die Sprache und versteht sich sozusagen von selbst. Auch wenn wie jetzt in der Bearbeitung und unter der Leitung von Samuel Bächli die erste Geige zu einem Akkordeon wird. Seine musikalische Bearbeitung hat einigen Charme, passt in den kleinen Rahmen der Studiobühne. Die Musiker sind rechts neben der Spielfläche platziert und damit nicht nur gut zu hören, sondern auch zu sehen.
Was für die Puppen, ihre Spieler und die Sänger nicht immer in gleichem Maße gilt. Den Faden verliert man dennoch nicht, denn der italienische Gesang wird gut sichtbar übertitelt. Erst gegen Ende, wenn Penelope (gesungen von Katja Bildt) auf einem aus den Requisiten-Kisten errichteten Torbogen thront und die Freier beim Wettkampf um ihre Hand versuchen, den sagenhaften Bogen des Odysseus auf einer Art Zielscheibe zu spannen (und unter gewaltigem Gestöhne allesamt daran scheitern) muss sich kein Zuschauer mehr den Hals verrenken, um in dem Gewusel aus Spielern, Sängern und Puppen den Überblick zu behalten. Die Puppen (die Ulrike Langenbein und Florian Schmigalle gebaut haben) werden von fünf Puppenspielern und den Sängern gemeinsam geführt und bewegt. Es sind meist Gliederpuppen, die als solche erkennbar bleiben, aber schon mal im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verlieren können. Für die Freier genügen handgeführte Köpfe, ein langes Gewand und die Hände der Puppenspieler – der Vielfraß Iros nimmt seine komische Sonderrolle im zappligen Plüschtierformat und dann als üppiger Kopfschmuck seines Sängers Jörg Rathmann wahr.
Bei Regisseur Christian Georg Fuchs (der auch für die Bühne steht) kommt die Kammeroper aus der Kiste. Die Spieler und Sänger führen sie mit sich, sie sind Requisite und beinhalten welche. Von Baum bis Stacheldraht.
Emotional berührend wird dieses Spiel dann, wenn der Sänger der einen Rolle etwa mit der Puppe der Anderen interagiert, also Máte Sólyom-Nagy als Odysseus-Sänger den Puppenkopf seines Sohnes Telemachos in die Hände nimmt und sich umgekehrt dessen Sängerin Kathrin Filip an die Puppenbrust ihres wiedergefundenen Vaters Odysseus schmiegt. Immer wenn die in Puppe und Sänger Aufgespaltenen genau damit spielen, hat die Dimension des Puppenspiels einen eigenständigen dramatischen Witz. Ansonsten haben die ausgemachten Liebhaber des Puppenspiels an diesem Abend einen deutlichen Platzvorteil vor den Opernfreunden. Abgesehen davon kriegen die auf jeden Fall einen beeindruckenden Vazgen Ghazaryan als finsteren Poseidon, den seinen ältlichen Puppen-Höfling Eurymachos mit jungenhaftem Charme konterkarierenden Julian Freibott und Anita Rosati als Athene zu hören. Das Premierenpublikum war hochzufrieden. Auch wenn der eine oder andere wohl etwas wehmütig an den Ring-Geniestreich des Regisseurs am gleichen Ort dachte.