„Die Frau ohne Schatten“ von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss auf die Bühne zu bringen, das ist per se eine Großtat. Eine, bei der Häuser alles aufbieten müssen, was sie haben. Inklusive eines Orchesters, das sich auf die Delikatesse einer Partitur versteht, die – deutlich vor den Blockbustern der Moderne – alle Grenzen sprengt. Dazu braucht es Regisseure, die es mit einer Geschichte aufnehmen, die seit dem Uraufführungsjahr 1919 noch fragwürdiger, ja vertrackter wirkt.
Thielemanns Abschiedsgruß – „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss an der Semperoper
Die Konfrontation einer märchenhaften, irgendwie verzauberten Geisterwelt mit einem ziemlich prekären Handwerkerhaushalt mag ja noch angehen. Dass hier das Problem von Kinderlosigkeit und deren psychische Folgen für das Zusammenleben von zwei höchst verschiedenen Paaren durchdekliniert wird, mag noch genügend Anknüpfungspunkte zur Lebenswirklichkeit bieten. Auch, dass ein potenzieller Kindersegen und dann die Kinder selbst zu einem Handelsobjekt in einer Welt werden können, die von sozialer Ungleichheit geprägt ist. Schwieriger ist das Verständnis der verschiedenen Ebenen von Verschlüsselung und die geradezu ideologisch religiöse Überhöhung von Mutterschaft als entscheidendem Kern weiblicher Identität. Der ungehemmte finale Jubel über den schließlich hereinbrechenden Kindersegen wirkt in Zeiten der Selbstbestimmung bei der Zahl der eigenen Nachkommen wie pure Agitation gegen abnehmende Geburtenzahlen.
Auf der einen Seite bleibt die Frage der Kaiserin „Jedoch was wird aus ihr?“, mit der sie moralische Verantwortung übernimmt, weil sie das eigene Glück nicht mit dem Opfer der anderen erkaufen will, ein Kernsatz. Der wird jedoch von der Fixierung auf Mutterschaft und Unterwerfungs-Rhetorik der Färbersfrau überlagert. Dem widersprechen David Bösch (Regie), Patrick Bannwart (Bühne) und Moana Stemberger (Kostüme) mit ihrer Inszenierung nicht. Es gibt allenfalls eine kleine Prise Così-fan-tutte-Weisheit nach dem zelebrierten Happy End der beiden, jetzt vereinten und wohl bald Kinder hervorbringenden Paare. Da taucht nämlich die Amme noch einmal auf (diesen kleinen Willkürakt gestattet sich die Regie dann doch) und lässt die Behausung der Färbersleute wie Eisschollen auseinandertreiben. Die eine plötzlich mit Barak und Kaiserin, die andere mit Kaiser und Färberin. Das hat aber nichts mit der Infragestellung irgendwelcher Standes- oder sozialen Grenzen zu tun, sondern deutet wohl nur auf die mögliche Wandelbarkeit der menschlichen Zuneigung. Kinder hin oder her – sie werden im Patchworkfamilienzeitalter ankommen. Allein die Amme, die ganz am Ende stumm an der Rampe sitzt und ins Publikum starrt, weiß von den Übermächten, die auch hier im Spiele sind. Das ist zwar eine kluge Pointe, aber die macht die Inszenierung nicht rückwirkend zum Schwergewicht.
Deren Optik changiert zwischen den verwehenden Vorhängen der Welt des Kaiserpaares, und der heruntergekommenen prekären Wohn-Färberei mit Zugang zum Lasten-Aufzug zwischen den Welten. Bei der drohenden Verwandlung des Kaisers zu Stein kommt die Inszenierung mit ein paar Videoandeutungen von Falko Herold und Patrick Bannwart über die Runden. Ins Zeug gelegt hat sich die Technik für den weißen Riesengreifvogel, der sogar mit dem Stein-Kaiser davonfliegen kann. Um die Färberin kirre zu machen und ihr ihren Schatten (sprich ihre blockierte Gebärfähigkeit) abzuschwatzen, genügt der Amme eine Kollektion von pinkfarbenen Kleidern aus dem Schnürboden und ein paar bis auf die weißen Unterhosen nackte, schöne Jünglinge aus dem Aufzug.
„Die Frau ohne Schatten“ bleibt ein aus der Zeit gefallenes Opus, das nur schwer an die Diskurse anzuschließen ist und einige Geheimnisse partout nicht preisgeben will.
Muss es auch nicht, denn musikalisch ist und bleibt es ein prachtvoll funkelndes Paradeschmuckstück, ein Teil der Kronjuwelen der Spätromantik. Wenn man es von Zeit zu Zeit aus der Vitrine holt, dann ist das ein Fest für Strauss-Verehrer. Wenn das Ganze dazu musikalisch so aufpoliert wird, wie jetzt in Dresden von Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle, dann ist das ein Ereignis, das mit den parallelen Premieren bei den Osterfestspielen in Salzburg und Baden-Baden spielend mithalten kann. Was Christian Thielemann an Strauss-Überwältigung so delikat wie opulent entfesselt, wie er dabei Maß hält, nie auf den bloßen Showeffekt ausweicht und stets haargenau passend mit den Sängern im Einklang bleibt, ist schlichtweg mustergültig. Neben den fabelhaft einstudierten Chören bietet die Semperoper ein handverlesenes Solistenensemble. Hier glänzen nicht nur die betörend anrührende Camilla Nylund als Kaiserin und der strahlende Eric Cutler als Kaiser. Oleksandr Pushniak ist ein vitaler Barak, dessen Kraft und notorische Güte für seine drei auf ihn angewiesenen Brüder (Rafael Fingerlos, Tilmann Rönnebeck, Tansel Akzeybek) ebenso ausreicht, wie für seine Frau. In dieser herausfordernden Rolle überzeugt, die nie hysterisch übertreibende Miina-Liisa Värelä sowohl mit ihrer Unausstehlichkeit, wie bei ihrer Faszination beim Ausflug in eine andere Realität, die ihr die Amme vorgaukelt, vor allem aber, wenn sie dann um Barak kämpft. Ihre Wandlung entspricht der Reifung der Kaiserin zur verantwortungsbewussten Frau. Mit einer herausragenden Charakterstudie und fulminanter vokaler Intensität setzt sich auch Evelyn Herlitzius als Amme von Anfang an eindrucksvoll in Szene! Auch sonst entspricht das vokale Referenzniveau dem im Graben!
Das befeuerte den Jubel, der vor lauter berechtigter Begeisterung auch das Regieteam einschloss.
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