Am Deutschen Nationaltheater in Weimar inszeniert Barbora Horáková Richard Wagners „Fliegenden Holländer“ bei der man zwar mit den Ohren sehen konnte, aber deren Inszenierung zahlreiche offene Fragen hinterließ. Nach Sekunden Verzögerung gab es am Ende der Premiere einhelligen Beifall für den neuen „Fliegenden Holländer" in Weimar.
Tod auf der Bohrinsel – Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ in Weimar
Richard Wagners erstes, von ihm selbst als gültig anerkanntes Werk hat sich mal wieder vor allem als hochemotionaler Chor- und Orchestersturm bewährt und das Publikum mitgerissen. Die Protagonisten hatten sich mächtig ins Zeug gelegt und das Schlussbild eines Feuerzaubers, den man auch in einer Ring-Inszenierung verwenden könnte, hatte Eindruck gemacht.
Dominik Beykirch am Pult der Staatskapelle Weimar spitzte schon in der Ouvertüre prägnant zu, ließ die Wellenberge so aufschäumen, dass man die miese Wetterlage, die die Ankunft der Norweger in ihrer Heimat verzögerte, tatsächlich mit den Ohren sehen konnte. Andererseits räumte Beykirch bei seinem durchweg packenden Dirigat besonders dem fabelhaft machtvollen Oleksandr Pushniak als Holländer und Camila Ribero-Souza als intensive aber nicht auf Effekt zielende Senta ausreichend Zeit ein, ihre Auftrittsballaden Wort für Wort zu zelebrieren. Bei Luciano Batinić wird Daland zu seinem besonders skrupellosen Exemplar eines Vaters, der seine Tochter ohne Bedenken „verkauft“ und sie hier höchst persönlich als „Zierde ihres Geschlechts“ herausputzt. Taejun Sun nimmt dem Steuermann jeden Hauch einer Nebenrolle. Dass sich Peter Sonn aufs Spielen des Erik beschränken musste und Jonathan Stoughton seinen prägnanten Tenor von der Seite aus beisteuerte, störte wegen des perfekten Playbackhabitus kein bisschen. Auch Marlene Gaßner als eine ungewöhnliche und zunächst hochschwangere Frau Mary profilierte sich mit ihren kurzen vokalen Einwürfen und blieb der Szene auch darüberhinaus erhalten. Die von Jens Petereit präzise einstudierten Chöre verstärkten nicht nur das immer zündende „Steuermann, lass die Wacht!“ mit einer stets passenden Bewegungschoreografie. Auch das Chaos, das entsteht, wenn Dalands Leute am Ende versuchen, die Holländermannschaft aus der Reserve zu locken und sich dann gleichsam die Pforten der Hölle öffnen, ist das Zusammenspiel von flammenzüngelnden Videos und zu Boden gehenden Seeleuten für sich genommen ziemlich beeindruckend.
Bühnenbildnerin Ines Nadler hat ihre Bohrinsel zu einem großen Teil unter (flaches) Wasser gesetzt, mit vier wuchtigen Turmgerüsten und einem hochgestellten Container (von hinten Projektionswand, von vorn ein Innenraum) begrenzt. Dazu kommt ein bewegliches Brückenelement und eine Art Käfigkran, an dem sich das Schlauchboot des Holländers in die Höhe ziehen lässt.
Barbora Horákovás Inszenierung freilich gehört durchaus in die Kategorie „Vorhang zu und viele Fragen offen.“ Das kahlköpfige Kind im Overall, das von Beginn an durch die Szene geistert, Papierschiffchen baut und den geradezu mannstoll porträtierten Frauen ihre gewickelten Puppen (Kinderwunsch?) wegnimmt und in die Ölfässer taucht, gehört dazu. Auch Frau Mary, die am Ende durch die Szene geistert, als wäre sie eine von den Frauen, die der Holländer (oder ein Mann wie er?) zugrunde gerichtet hat. Tragik, unterdrückte Obsession, traumatisierende Erfahrungen werden hier zuhauf behauptet. Dazu kommt ein Video im Hintergrund der Spinnstuben-Szene, das nackte, miteinander verschlungene Männerkörper zeigt, die mit Öl beschmiert sind. Und überhaupt die Verortung des Ganzen auf einer Bohrinsel, samt der Aufdrucke auf den T-Shirts (Ich liebe Öl), die die Frauen in Strapsen und mit blonden Perücken tragen, wenn sie auf Schaukelpferden mit den gewickelten Puppen im Arm ihren Männern entgegenschaukeln. …
Am Ende, wenn sich Senta im Brautkleid zum Holländer bekennt, die ganze Bohrinsel in Brand gesetzt hat, erschießt Erik den Holländer. Senta aber überlebt und guckt ziemlich bedeppert aus der Wäsche. Treu bis in den Tod? Bis in seinen Tod zumindest.
Das Theater bietet auf seiner Homepage diverse Triggerwarnungen. Die für den „Fliegenden Holländer“ lautet: „Die Sehnsucht nach dem Tod ist zentrales Motiv der Stückhandlung. Im Verlauf der Darstellung wird momentweise Gewalt gegen Frauen gezeigt. Es wird Vokabular erwähnt, das als rassistisch konnotiert verstanden werden kann. Es ertönen Schüsse; Nebel, Blut und Feuer werden eingesetzt.“ Da fragt man sich, an wen das eigentlich gerichtet ist und wann vor der Oper an sich, als hochemotionale Kunstform gewarnt wird, die einen doch eigentlich bewusst aus der Fassung bringen will.
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