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Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Tönend-sprechende Liebesabgründe – Die Musicbanda Franui kommentiert Schnitzlers „Reigen“ im Bregenzer Festspielhaus

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Also ehrlich: träumte nicht jeder einmal davon, dass in jenem besonderen Liebesmoment Musik in vollem Sound einsetzen würde – eben wie im Hollywood-Film? Bei den Bregenzer Festspielen garnierte nun „Franui“ den ganzen Reigen solcher Momente in Arthur Schnitzlers gleichnamigem Drama und unser Kritiker Wolf-Dieter Peter war amüsiert und frappiert.

Sie nennen sich nach einer gut 1400 Meter hoch gelegenen Almwiese über dem osttiroler Dorf Innervillgraten – und sind einfach ein bitter-süßes „Festspiel-Bonbon“ geblieben. Vor etwa zehn Jahren ließen sie in Bregenz in einem inszenierten Gasthaus-Konzert alte Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen und spielten dazu: auf einer Violine, auf etlichen klassischen Blasinstrumenten, auf Hackbrett, Zither, Harfe und Akkordeon. Inzwischen haben sie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik gewonnen und sind sich treu geblieben: wenn sie den Liebes-Reigen mit Musik zwischen Mozart und Cage garnieren, kommt etwas ganz Besonderes heraus.

Doch zunächst beeindruckte Sprachmusik: Auf dem leeren, hochgefahrenen Orchesterpodium saßen vorne Regine Fritsch und Sven-Eric Bechtolf. Sie rissen in zehn überlegt und raffiniert gekürzten Dialogen den „skandalösen“ Wechsel-das Bäumchen-Reigen von Begierde, Schwärmerei, Spiel, Lust, Gier und Täuschung bis zur Selbsttäuschung in menschlichen Geschlechtsbeziehungen an. Glücklicherweise sind beide so tief österreichisch sozialisiert, dass ihnen das Idiom samt Schmäh-, Spreiz- und Raunz-Tonfall wie angeboren aus Seele, Herz, Hirn und Kehlkopf strömt. So waren, Dirne, Soldat, Stubenmädel, junger Herr, gutsituiertes Ehepaar, gespreizter Dichter, süßes Mädel und alter Graf sprechdarstellerisch lebendig hörbar. Nachvollziehbar wurden ihr direktes und indirektes Getue, Anmachen, Geflirte und „Ge-Lüge“ in der Liebe und was sich auch so nennt. Inmitten unserer prolligen Sprachverrohung blühte das Vergnügen, von herber Prostitution bis süßem Gesäusel alle Spielchen sexueller Beziehungen in Schnitzlers virtuoser Sprache zu hören. Bravi tutti due!

Doch dann war jeder Musikfreund extrem gefordert. Im gut gegliederten Programmheft stand zwar zur ersten Szene zwischen Dirne und Soldat passend Mahlers „Wo die schönen Trompeten blasen“ – doch was „Franui“-Leiter Andreas Schett da auf seiner Trompete anblies, wurde dem Motto der Banda klanglich voll gerecht: „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“. Was da von Schuberts Tänzen und Ländlern über Schumann, Verdis „Tutte le feste al tempio“ (aus „Rigoletto“ auf der benachbarten Seebühne), aus Brahms Bolero, aus Erik Satie zurück wieder zu Mozart wurde, ließ den Klassikfreund erschauern, verzweifeln, schmunzeln, vollkommen hör-orientierungslos scheitern und sich vermeintlich wiederfinden – bis zur nächsten Skelettierung, „Überspülung“, Weiterimprovisation und Klangübermalung – lässig entspannt, aber perfekt getimt, herrlich schräg-fremd-vertraut von den zehn Musikanten auf wechselnden Instrumenten „serviert“. Durchgängig war ein Zug von Tristesse, von verlogenem Schönklang und verlorenem Verklingen zu erleben, passend zum Scheitern allen Geschlechtsreigens und so allerlei menschelndem Getue „um das Eine“.

Franuis Bearbeitungen boten einen kongenialen Klangteppich, der mit Beethovens „Nur wer die Sehnsucht kennt“ im tristen Wechselgesang von beiden Darstellern endete. Ovationen im Festspielhaus – und daher die passende große Zugabe zum traurigen Liebesreigen: ein herrlich schräg-dunkler „Trauermarsch“ mit dem gesungenen Refrain auf die Grablegung aller Liebestäuscher „Lasst’s n’obi, den Falott!“ – da blieb wieder nur: Jubel.

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