Barrie Kosky deutet Leoš Janáčeks naturphilosophische Parabel über die Verschränkung von Menschen- und Tierwelt in München in eine Trauerverarbeitungsoper um. Ein Missverständnis, findet Juan Martin Koch.
Sehr dunkel ist es zu Beginn im Münchner Nationaltheater, und bevor das Vorspiel beginnt, wohnen wir einer stummen Beerdigung bei. Der Förster, so wird bald klar, hat seine noch junge Tochter verloren. Wenn die Musik einsetzt, legt sich ein von oben gleichsam herabregnender Trauerflor über die Szenerie (Bühne: Michael Levine). Schwarz-silbrig glänzend und mitunter raschelnd-rauschend wird dieser begehbare Vorhang fortan als zweifache Chiffre dienen: für den ansonsten abstrakt bleibenden Wald und für des Försters Unterbewusstsein. Die komplette Handlung, so versucht Regisseur Barrie Kosky zumindest zu suggerieren, entspringt dessen Versuch, mit seinem Verlust fertig zu werden, indem er ein Weiterleben der Tochter unter anderen Vorzeichen imaginiert.
Optisch ist das anfangs zwingend gelöst: Beim „Einfangen“ des Füchsleins scheint die junge Sängerin (ausgezeichnet: Sylvia Langenhein vom Kinderchor der Staatsoper) wie aus dem Wasser nach oben in den Schnürboden aufzutauchen. Schnell wird aber klar, dass Kosky seine Umdeutung offenbar nur deshalb auf die Bühne bringt, weil er mit dem eigentlichen Sujet dieses so einzigartigen Werks im Grunde nichts anzufangen weiß und Tiermasken oder -kostüme um jeden Preis zu vermeiden sucht. Dass er das Stück nicht als Kinderoper verstanden wissen will, da mag man ihm sehr gerne folgen, aber die gegenseitige Durchdringung von Zivilisation und Natur, von menschlicher und animalischer Sphäre einfach zu ignorieren, ist in diesem Fall eher Arbeitsverweigerung als Regiekonzept. Zumal Kosky auch für die immer wieder aufscheinende kindliche Sphäre nicht mehr einfällt als kicherndes Herumgehopse.
Den feinen, tiefsinnigen Humor Janáčeks sucht man ebenfalls vergebens. Vordergründig lustig ist immerhin das Gliedmaßen werfende Hühnermassaker – Koskys einziges Kostüm-Zugeständnis an die Vorlage. Am Ende des ersten Aktes wird es von einem Küken in Eierschale wortreich betrauert. Poetisch wird es für kurze Augenblicke beim Traum von der Mensch-und Erwachsenwerdung der Füchsin, zu dem sich – zunächst kaum erkennbar – sechs dunkle Glitzerfrauen aus dem Waldvorhang herausschälen. Auch das rosarote Puschelgehölz, in das sich Füchsin und Fuchs nach erfolgreichem Liebeswerben zurückziehen, und der verschneite Wald im dritten Akt funktionieren szenisch-atmosphärisch.
Solche Momente werden von Mirga Gražinytė-Tylas präzisem, bisweilen aber auch ein wenig eckig-robustem Dirigat geerdet. Zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester fächert sie die Klangfarben der Partitur souverän auf, manchmal auf Kosten der Streicher. Wofür die Dirigentin nichts kann: Der Detailreichtum, die nie naive Naturalistik von Janáčeks Tonmalerei hängen in der Luft, bleiben ohne szenisches Pendant.
Den Sängern ist Gražinytė-Tyla eine verlässliche Partnerin, sodass das ganze Ensemble den heiklen, zwischen atemlosen Parlandi und gelegentlichem lyrischen Aufblühen wechselnden Tonfall bewundernswert meistert, allen voran Elena Tsallagova in der Titelpartie und Wolfgang Koch als Förster. In weiteren Partien überzeugen besonders Martin Snell (Pfarrer), Angela Brower (Fuchs) und Milan Siljanov (Haraschta).
Großer Jubel am Ende für eine Produktion, die alle Noten zum Erklingen, alle Worte zur Artikulation bringt, ohne dass Janáčeks wunderbare Oper stattgefunden hätte.
BR-Klassik überträgt die Vorstellung vom 3. Februar live ab 19.00 Uhr.