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v.l.n.r.: Kristin Ebner (Aida), Magnus Vigilius (Radamès), Svitlana Slyvia (Amneris). Foto: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Falk Wenzel
v.l.n.r.: Kristin Ebner (Aida), Magnus Vigilius (Radamès), Svitlana Slyvia (Amneris). Foto: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Falk Wenzel
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Triumph der Extreme – Giuseppe Verdis „Aida“ an der Oper Halle

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Die Premieren-Spannung im Haus war zu spüren. Eine neue „Aida“ zieht. Und die Gerüchteküche im Vorfeld funktioniert in Halle. Verdis Oper für Kairo von 1871 – ein Werk zwischen Kammerspiel, großen Chören und Triumph-Spektakel – steht bei Opernfreunden ganz oben auf dem Wunschzettel. Musikalisch wurde (von ein paar premierenbedingten Wacklern abgesehen) auch geliefert: GMD Josep Caballé-Domenech und die Staatskapelle feierte man für die großen Gefühle ebenso, wie die von Rustam Samedov und Peter Schedding einstudierten Chöre für ihren Einsatz in den Ägypterkostümen, die bei Ausstatter Christoph Ernst irgendwie gängigen Papyrus-Comics entsprungen schienen.

An der Spitze der Solisten-Riege: Yannick Muriel Noah als versierte, so pianofeine wie kraftvolle Aida und Magnus Vigilus als standfester und höhensicherer Strahlemann Radamès. Auch Sebastian Kroggel als ägyptischer und Oleksandr Puschniak als äthiopischer König (allesamt Gäste) machten ihre Sache gut. Aus dem Hausensemble steuerte Vladislav Solodyagin einen eifernden Ramphis und die (bei toll bewältigter gesundheitlicher Einschränkung) überzeugende Svitlana Slyvia die Amneris bei.

Aber es geht ja nicht nur ums Hören. Gerade dieses Werk hat seine Aufführungstradition. Und trägt daran. Die Palmen, der Nil, die vielbeschworenen Elefanten. Natürlich bezog sich ein Teil der Spannung auch drauf, wie das wohl diesmal aussehen (oder umgangen) werden würde. Und da mehr oder weniger jede Aida-Deutung der letzten Jahrzehnte (zumindest jenseits der Arena von Verona oder der Mailänder Scala) gegen die Klischees des Ausstattungspomps von anno dazumal ankämpft, war man auf den Zugang gespannt, den der Chefdramaturg der Oper Michael von zur Mühlen in seiner Inszenierung wohl finden würde.

Die Risiken

Weniger überraschend war, dass alles mit einem von ihm selbst geflüsterten Text aus dem Off und Videos, die auf den Kontext der Flüchtlingswelle zielten, begann. Eher schon, dass der weiße Guckkasten mit Prospekten der Pariser Aida-Erstaufführung von 1880 zugehängt und die Beleuchtung gedämpft wurde. Dazwischen die Protagonisten – zwar nicht in den Aida-Kostümen, aber in der Mode dieser Zeit. In raumgreifenden Röcken die Damen, dunkel hochgeknöpft und auf sichtbaren Plateauschuhen staksend die Herren. Meist an der Rampe, das Publikum und den Dirigenten fest im Blick. Mit Gesten der Emotion in recht kleiner Auswahl. Seht her – so sind sie damals mit dieser Musik umgegangen, heißt das wohl. Man mag das gut finden oder nicht – mutig ist es. Denn der Regisseur geht das Risiko ein, dass die vorgeführte lähmende Art dieser auf Sänger-vor-Deko konzentrierten Präsentation, tatsächlich auf Dauer auch eine entsprechende Wirkung hat. Die dazu mitinszenierten (früher ja üblichen) Brava, Bravo und Bravi brüllenden und noch in die Musik klatschenden Claqueure funktionierten bei vollem Saal freilich leider nicht so ganz.

Das zweite Risiko ist die radikale Öffnung dieser historischen Form durch die Video- und Textassoziationen Richtung Gegenwart. Es ist legitim, wenn da nicht jeder mitgehen will. Oder kann. Die Einspielungen von Carolin Emckes Friedenspreisdank oder Emmanuel Macrons Europarede (das Französisch klingt per se wie Poesie – mit Angela Merkel ginge das nicht) oder die knappen Heiner Müller Statements zur Zukunft der Oper und der Utopien versteht man natürlich. Und den Wut-Ägypter, der nach der Freilassung der äthiopischen Gefangenen einen ausgetickten Höcke-Vorfahren macht, auch. Trotz Überlänge seines Ausbruchs.

Unterlaufen von Klischees

Bei den Textcollagen, die dramaturgentypisch einen Bogen von Jean-Lud Godard bis Adorno schlagen, müsste man die Chance zum Nachlesen haben, um wirklich beurteilen zu können, ob sie passen oder nicht. (Da sind Opernhäuser mit gescheiten Programmheften im Vorteil.) Wenn der Chor geradewegs aus dem Fundus von Bühnenarbeitern hereingeschoben wird und erstmal die Plastikhülle über diesen Figuren weggezogen wird, ist das nicht nur ein selbstironisches Spiel mit den eigenen Mitteln, sondern eben auch ein Unterlaufen von Klischees, die dieser Oper immer noch zugeschrieben werden. Klar, dass die Triumph(marsch)-Geste der Sieger im Krieg dann auf die Musik beschränkt ist und nicht unter den ägyptischen Folkloreteppich gekehrt wird. Nicht alles erschließt sich an diesem Abend auf Anhieb. Muss es aber auch nicht.

Was man in diese Inszenierung vorführt, ist auf der einen Seite das historisch Verstaubte und auf der anderen Seite einen Diskurs über die Gegenwartstauglichkeit der Oper als Kraftwerk der Gefühle. These und Gegenthese haben wir damit schon mal. Was richtig Freude macht, wäre eine (opern-)abendfüllende Synthese.

Am Ende gab es auch einige (nicht mitinszenierte) laute Buhrufe für die Regie.

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