Hauptbild
Welcome to Paradise Lost. Foto: © Candy Welz
Welcome to Paradise Lost. Foto: © Candy Welz
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Über sieben Täler fliegen – „Welcome to Paradise Lost“ von Falk Richter jetzt auch als Oper beim Kunstfest Weimar

Publikationsdatum
Body

Eine Opernuraufführung als Koproduktion des Deutschen Nationaltheaters mit dem Kunstfest Weimar zum Spielzeitauftakt – das ist für sich genommen ein Statement! Mindestens ein „Wir sind wieder da!“ Das Stück von Falk Richter mit dem Titel „Welcome to Paradise Lost“ nach der 800 Jahre alten persischen Vorlage „Die Konferenz der Vögel“ von Farid-ud-Din Attar wurde schon letzten Juni in Kassel uraufgeführt. Der englische Titel zielt aufs Weltweite, und der Verweis aufs verlorene Paradies aufs bühnenüblich Dystopische. Die Übel dieser Welt, die hier verhandelt werden – Wachstumsgier, Flucht, Müll, Klima, Artensterben – sind nicht nur existenziell, sondern auch Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Sie haben es längst zu einem permanenten Tagesthema gebracht.

Neu ist in Weimar die Musik dazu. Ein Auftragswerk des Nationaltheaters, das mit coronabedingter Verspätung jetzt im e-werk heraus kam. Der Weimarer Musikprofessor und Komponist Jörn Arnecke weiß, was er tut. Wo die Welt aus der Sicht der Vogelperspektive betrachtet wird, muss man sich von deren „Sprache“ inspirieren lassen, ja darf sogar von der Natur „abschreiben“. Genau das macht Arnecke recht versiert. Was die 14 Musiker der Staatskapelle Weimar und Martin Hilmer am Verrophon unter Leitung von Andreas Wolf bieten, zwitschert, trällert, ja tiriliert, krächzt oder kreischt munter so drauf los, dass es eine (Wiedererkennungs-) Freude ist. Auch für das Erschrecken der Vögel und den Übergang zu den gesprochenen Passagen findet er den rechten Ton. Wenn wortwörtlich die Fahnen geschwungen werden, werden die Losungen auch schon mal skandiert.

So unterhaltsam wie die Musik ist auch die szenische Umsetzung. Die Weimarer Operndirektorin Andrea Moses und ihr Ausstatter Christian Wiehle rücken dem Publikum mit der Geschichte bzw. der Botschaft, die sie vor sich herträgt, in den Räumen des alten e-werks zunächst mal regelrecht auf die Pelle. Metaphorisch entern sie das Wohnzimmer der Zuschauer. Denn so ähnlich ist die Halle eingerichtet. Sessel, Sofas, Stühle, gruselige Stehlampen – wenn da mal jemand kurz wegnickt, dann erinnert das an heimische Fernsehgewohnheiten. Und passt sogar zum Thema. Hier beginnt das Spiel über den Untergang der Welt. Schauspieler Jonas Fürstenau gibt den Moderator, den Spielführer und Welterklärer. Die Zuschauer werden dann in den Foyerraum gebeten, sollen da sogar mal Fragen (sogar die nach der Existenz Gottes) beantworten, erleben dann auf dem Parkplatz die Radikalisierung der Protestvögel, die sich sogar Brandsätze basteln. Um dann zurück in einen Saal zu kehren, in dem jede Gemütlichkeit von eisigem Weiß und Videoprojektionen überdeckt wird. Was vor allem Schocken, Erschrecken und Aufrütteln soll. Der sympathischste Rettungsversuch des Textes durch die Regie besteht darin, dass zwischen Vögeln und Fridays-for-future-Kids changierende 16köpfige Chorkollektiv zum Sympathieträger des pausenlosen Einhundertminuten-Abends zu machen. Und die Einwände gleich mitzuliefern. Denn nicht nur die Jugendlichen (Vögel) kommen zu Worte, auch der verständnisvolle Lehrer (Alexander Günther ist da mal ein Gymnasiallehrer mit 30jähriger Berufserfahrung) oder die ohnmächtigen Erwachsenen, die gerne was täten, aber nicht so reicht wissen, was.

Ein Problem des Abends bleibt freilich das Stück. Allerdings nicht die verarbeitete historische Vorlage, in der ein paar unternehmungslustige Vögel Gott zur Rede stellen wollen, eine Reise durch die Welt, über sieben metaphorische Täler antreten und sich selbst organisieren. Sondern das, was Falk Richter von heute aus hinzufügt. Und das allzu plakative Wie.

Richter stellt sich mit seinem Text vor allem hinter (neben oder vor, ganz wie man will) Bewegungs-Ikone Greta, wenn sie die politischen Führer dieser Welt verzweifelt anbrüllt und mit ihrer Anrede „Ihr“ alle in einen Topf wirft. Die Gewählten und die Selbsternannten. Im Video des letzten Teils sind dann die Redner Trump, Merkel, Scholz und Hitler quasi auf gleicher Bildschirmfensterhöhe. Komplexität, demokratische Prozesse, gar Kompromisse werden in diesem mit dem Jugend-Privileg begründeten Rigorismus zu puren Ausreden erklärt. Der Gedanke, dass der Kapitalismus nicht nur (die unbestrittene) Hauptursache der Klimaweltprobleme ist, sondern auch Teil ihrer Lösung sein könnte, gilt als Teufelszeug. Dabei wäre schon die Frage nach dem, was das als „verloren“ markierte Paradies eigentlich ist, und wo es wann existiert hat, zumindest ein triftiger Anlass für einen Prolog … So aber bleibt es bei einem agitatorischen „Verändert Euch!“

Neben der Freude über die Musik und den Einsatz von Chorkollektiv und Profis des Hauses (Ylva Stenberg, Heike Prostein, Sarah Mehnert, Noa Frenkel, Alexander Günther und Ali Abdukayumov) sowie den Musikern der Staatskapelle, bleiben vor allem die offenen Fragen, also die Anregungen fürs eigene Nachdenken der Hauptertrag dieses ambitionierten Abends. Und die Erinnerung an die Brisanz seines im Moment überlagerten Themas!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!