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Krieg und Frieden. Komponist Sergej S. Prokofjew. Libretto von Sergej S. Prokofjew und Mira A. Prokofjewa nach dem gleichnamigen Roman von Lew N. Tolstoi. Foto: © Wilfried Hösl
Krieg und Frieden. Komponist Sergej S. Prokofjew. Libretto von Sergej S. Prokofjew und Mira A. Prokofjewa nach dem gleichnamigen Roman von Lew N. Tolstoi. Foto: © Wilfried Hösl
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Überleben … – Tief beeindruckende Münchner Erstaufführung von Prokofiews „Krieg und Frieden“

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„Liebe in Zeiten…“ ist als Titel zu oft genutzt, passt aber dennoch sehr gut für die dreieinhalbstündige „Münchner Fassung“ von Prokofiews Monumentalwerk. GMD Vladimir Jurowski und Regisseur Dmitri Tscherniakov an der Spitze eines Riesenensembles gelang zum siebzigsten Todestag des Komponisten ein künstlerisch großer, emotional wuchtiger Abend, der als Markstein in die Münchner Operngeschichte eingehen wird.

Die Seiten füllende Fassungs- und Aufführungsgeschichte beiseitegelassen: zu Recht leuchtete vor aller Musik lange eine Tolstoi-Aburteilung allen Krieges in den dunklen Zuschauerraum; der durch nicht ins Gewicht fallende Kürzungen und nur eine Pause geteilte dramaturgische Bogen (Dramaturg Malte Krasting, Mitarbeit Analena Weres) mit einem gezielt „anderen“ Schlusseffekt überzeugte; das zu befürchtende „szenische Korsett“ mit einem Einheitsbühnenbild für russische Adelswelt, Privatschicksale, Weltpolitik und letztlich Weltkrieg verdichtete alles Geschehen und aktualisierte das Gezeigte erschreckend.

Den bei seinem Erscheinen am Schluss losbrechenden, frenetischen Jubelsturm lenkte Vladimir Jurowski sofort ins Staatsorchester und dann weiter über das gesamte, ihm erkennbar begeistert applaudierende Bühnenensemble. Seine hochkonzentrierte, mal beflügelnde, mal dämpfende Energieleistung bis zum Schluss-Blackout war auch im Parkett nachvollziehbar; seine differenzierte Zeichengebung bis in Einzelstimmen hinein war bis zum Ende spannend zu beobachten – und zu hören: ein großer Abend des Staatsorchesters im Graben und mehrfach auf der Bühne; die durch Extrachor selten so zu sehende, mitspielende und abgestuft aus der Klage bis ins anklagende Fortissimo tosende „Volksmasse“  überwältigte – Einstudierung: David Cavelius. Prokofiew war als beeindruckend vielfältiger Musikdramatiker zu erleben; er hat lärmende Kriegs- und Kriegsangst-Musik komponiert, den Konversationston der Adeligen und die zum Verstummen neigende Verzweiflung der nach einem Lebenssinn suchenden Menschen gestaltet; in schönem Kontrast blühen die Emotionen um das Liebespaar vokal wie orchestral – und das von Flöte und Streichern ins Verlöschen begleitete Sterben des liebenden Andrej rührt an. Die Streichung einiger „stalinistisch“ erwünschter Chorpartien erwies sich als dramaturgisch klug und nicht „beschönigend“. Ebenso Jurowskis Final-Entscheidung: da darf zwar Marschall Kutusow die Rettung Russlands verkünden – doch statt des Jubelchores ist eine große Blechbläserkapelle angetreten, abstrahiert klanglich vom allzu patriotischen Text und beschwört dennoch den Sound aller Militärfeiern – gelungen – und durch den abrupten Blackout um alle falsche Aura gebracht.

Als „szenischer Wurf“ erwies sich auch Dmitri Tscherniakovs Entscheidung als sein eigener Bühnenbildner, den edlen, Lüster-glänzend hellen Saal des Moskauer „Hauses der Gewerkschaften“ als Einheitsraum bühnengroß nachbauen zu lassen – Ort von Bällen über Schauprozesse bis zu Politiker-Aufbahrungen - und diesen geschichtsträchtigen Saal als heutiges Flüchtlingslager zu zeigen: fast durchweg armselige Bekleidung, ein paar reiche Damen mit guten Kleidern und Pelzen (Kostüme: Elena Zaytseva), Matratzen, Feldbetten, Decken und Fetzen, Reste einstiger Bestuhlung. Darin spielen Kinder, aber auch die entwurzelten Erwachsenen mal „Ball mit Polonaise“, mal Gaudi mit Kunststückchen und Tänzchen – eben Flucht aus der sichtbar gemachten Kriegstristesse inmitten von glänzenden Säulen, großen Spiegeln und Glastüren. Auch marodierende Soldateska und „Partisanen“ dringen ein. Wahllos werden Menschen erschossen. „Napoleon“ wird als Groteske gespielt. Huren, „Irre“ und „Retter“ treten auf. Doch das stille wie laute wie brutale Elend aller Kriegsrealität ist dauerpräsent: Eine Inszenierung ohne Mätzchen oder Verstiegenheiten – belohnt mit einem Bravo-Sturm, zu dem sich Tscherniakov sichtlich gerührt verneigte.

Und dann auch noch vokales Glück: ein über 40-köpfiges Gesangsensemble ohne Schwächen – vom erfahrenen Sergei Leiferkus (Fürst Bolkonski) über Violetta Urmana (die Haltung bewahrende Marja), den Rollendebütanten Bekhzod Davronov (der schmierig-eitle Heiratsbetrüger Anatol) bis zum müden Guerilla-General Kutusow vom Bass-gewaltigen Dmitry Ulyanovs. Olga Kulchynska machte mit süßen Sopran-Lyrismen die verführbare Liebes- und Lebenssehnsucht Nataschas so glaubhaft, dass man die unvergessliche Audrey Hepburn aus der Verfilmung fast vergessen konnte; Andrej Zhilikhovsky war mit seiner blendenden Bühnenerscheinung und seinem virilen hellen Bariton ein hinreißender Andrej – bewegend kontrastiert vom an seiner eigenen Humanität mehrfach verzweifelnden Pierre, den Arsen Soghomonyan in eindringlichen Tenorphrasen beschwor … das Elend aller versuchten Normalität inmitten solcher Entsetzlichkeiten –unausweichbar auch in so vielen Regionen unserer Welt - machte erst stumm – und dann konnte man mit Beifall und Bravo danken – dennoch erschreckender Widerschein aus einem Musiktheater-Spiegel.

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