Ein privater Mäzen gibt eine Komposition in Auftrag und sorgt auch noch für die öffentliche Uraufführung: Laut erschalle das Lied vom braven Mann! Der Begünstigte (vom Publikum einmal abgesehen): Klaus Obermayer, dessen musikalische Handschrift, markant und unverwechselbar, dennoch immer wieder für Überraschungen gut ist. Ort: Der große, bis auf den letzten Platz gefüllte Saal des „Theaters in der Au“ am Mariahilfplatz in München.
Klaus Obermayer ist eine Persönlichkeit, die sich in mehreren Disziplinen übt, ohne sich zu verheddern: Im Konzert trat er nicht nur als Komponist, sondern auch als Fagottist im Verein des Bläserquintetts „simple music for five“ in Erscheinung. Dieses Ensemble tourt zur Zeit äußerst erfolgreich durch ganz Bayern, und reißt bei zeitgenössischer Musik selbst ein konservatives Publikum zu amüsierten Beifallsstürmen hin: Neue Musik mit Unterhaltungswert, aber ohne Plattitüden ...
Obermayer geht als Komponist da mit bestem Beispiel voran. Von seinen Werken nur soll hier die Rede sein. Freilich zeigte das Ensemble schon bei Mozarts Divertimento, KV 213, oder dem einfallsreichen und charmanten Es-Dur-Quintett von Antonio Rosetti, dem genialischen Mozart-Zeitgenossen, enorme Spielfreude mit viel Sinn für ausdrucksvolle Details. Obermayers „Wedding-Music“ von 1996 machte in diesem Umfeld eine gute Figur: Unerschöpflich schienen die Einfälle, die Motive purzelten übereinander, gegeneinander, aber nie durcheinander: Der Komponist führte den Hörer sicher durch ein lustvolles Labyrinth. Der ausgelutschte Hochzeitsmarsch klingt an – banal? Keineswegs, denn kaum erkannt, schmuggelt der Komponist den Ohrwurm wieder in Obermayer‘sche Motivkonstellationen zurück. Nur ein Gag? Das ist wohl mit das Geheimnis dieses mit vitalem, aber auch grimmigem Humor gesegneten bayerischen Tonschöpfers, dass seine Bonmots, seine Kapriolen und Pointen niemals nur Kabarett sind, sondern – Musik! So nützt sich der Witz auch bei mehrmaligem Hören nicht ab.
Solostücke sind ein harter Prüfstein – nicht nur für den virtuosen Solisten, sondern in erster Linie für den Komponisten: Leidet diese Musik an substantieller Auszehrung? Wird’s wenigstens eine etüdenhafte Tour de force? Oder kommt ein echtes Kunst-Stück dabei heraus, bei dem jedes weitere Instrument nur stören würde? Klaus Obermayer hat „I have a surprise for you“ für Oboe solo seiner phänomenalen Ensemble-Kollegin Izumi Tsuboike nicht nur gewidmet, sondern auf den (zierlichen) Leib geschrieben. Titel wie „unbekümmert“, „amüsante Unterhaltung“ oder „flatterhaft, leichtsinnig“ könnten neckische Genrestücklein vermuten lassen. Dieses 2005 komponierte Werk ist aber ein großer Wurf in kleinen Formaten! Es ist natürlich auch ein Kraftakt: Wie Izumi Tsuboike das mit dem Atem hinbekommt, ist ihr Geheimnis. Sie hat sich den Obermayer‘schen „Überraschungen“ (und Herausforderungen!) mit all ihrem Können, ihrer Musikalität und ihrer engagierten Persönlichkeit gestellt und somit die Tiefe dieser Miniaturen ausgelotet – es sind Psychogramme, die an die Nieren gehen, unaufdringlich zwar und mit vergnüglichem Ernst; „auf bayerische Art“ halt, wie das fünfte Stück überschrieben ist. Riesenbeifall für die Solistin und – wie das sonst ja nicht unbedingt zu sein pflegt – auch für den Komponisten. Von den fünf ausführenden Musikern wurden bis jetzt nur zwei genannt. Höchste Zeit, die restlichen drei nachzureichen: die Flötistin Michiko Bering-Inagaki, auf der Klarinette Jeanette Höfer und Peter Blania, Horn.
Wohltuend, wie sehr diese fünf in ihrer Persönlichkeit so unterschiedlichen Musiker sich dem Ensemblegeist zuliebe zurücknehmen können, ohne deshalb an virtuoser Brillanz zu verlieren. Fürsorglich und sensibel war Klaus Obermayer darauf bedacht, in seinem neuen Werk „Advances“ alle Vorzüge seiner Kollegen zum Leuchten zu bringen – ohne die eigenen hintanzustellen ...
Diese „Annäherungen“ wirken wieder wie mit leichter Hand hingeschrieben, doch ließen schon die kurzen Notenbeispiele im Programmheft erahnen, mit welch feinem Pinsel hier gearbeitet wurde. Neu in der Farbpalette sind die quintig abgedunkelten Klänge in der „Introduction“, die sich nachdrücklich und suggestiv dem Bewusstsein einprägen, als ob sie verkünden wollten: Macht euch auf etwas gefasst! Mehr und mehr „traut“ sich Obermayer nun weit geschwungene Melodiephrasen von elegischer Expressivität (3. Satz) zu schreiben und schafft damit ein Gegengewicht zu seiner oft burlesk vertrackten und trickreichen Rhythmik. Die subtilen melodischen Linien verschlingen sich zum dichten Gewebe, und mit langem Atem werden weite Spannungsbögen anmutig gezogen. Im 2. Satz (Intermezzo 1) verwandeln sich die bei Obermayer sowieso oft schon perkussiven Staccati und Synkopen plötzlich in Rhythmus pur: Die Bläser schlagen mit Stäbchen gegen ihre Notenständer, als ob abgestandene Manierismen einer vormaligen Avantgarde augenzwinkernd ironisiert werden sollten. Klaus Obermayer meidet Abstraktionen, er formt mit sicher zupackendem Griff das sperrige Material, um uns den farbigen Abglanz des Lebens hören zu lassen.
Als Hommage auf den bayerischen Gstanzlsänger Roider Jackl wirkt diese Uraufführung wie ein Gegenentwurf zum pervertierten Bayerntum des Oktoberfests: „I sing hoit am liabstn aloa, do kon i sogn, was i moan, denn wenn ma mit da Masse mitsingt, woas ma nia, ob des stimmt.“ Das singt doch der Komponisten-Fagottist leibhaftig im letzten Satz höchstselbst; dieser Coup kommt so plötzlich und überraschend, und doch schlüssig und zwingend. Vielleicht sollte man den Slogan von der „Erweiterung des Kunstbegriffs“ einmal auf Grund der Obermayer‘schen Vorgaben neu durchdenken!?