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Andreas Fischer und Theo Nabicht bei Bernhard Langs Satirestück „loops for basses“. Foto: Martin Sigmund

Andreas Fischer und Theo Nabicht bei Bernhard Langs Satirestück „loops for basses“. Foto: Martin Sigmund

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Unausweichliche Zeitgenossenschaft

Untertitel
Extrempole beim Stuttgarter Festival Eclat 2025
Vorspann / Teaser

Die deutsche Gesellschaft ist gegenwärtig so zerrissen wie lange nicht. Und die Welt wird überschattet von imperialistischem Machthunger, blutigen Kriegen, verheerenden Klimaschäden, hitzigen Migrationsdebatten. Als ein Teil von Welt und Gesellschaft ist mit all dem auch Musik verbunden, entweder weil sie sich eremitenhaft davor zu verschließen versucht, sich bewusst damit auseinandersetzt oder seismographisch, osmotisch oder sonst wie darauf reagiert. Wie heterogen die aktuelle Musik sozialpolitische Erschütterungen verarbeitet, zeigte einmal mehr das breite Spektrum an Ansätzen des Festivals Eclat. Veranstaltet von Musik der Jahrhunderte in Kooperation mit dem SWR unter der künstlerischen Leitung von Christine Fischer gab es im Stuttgarter Theaterhaus fünf Tage lang zwanzig Konzerte mit insgesamt 44 Solo-, Kammermusik-, Chor-, Orchester- und Musiktheaterwerken – darunter 25 Uraufführungen – von 35 Komponistinnen und Komponisten aus 22 Ländern in Interpretationen von durchweg ausgezeichneten Ensembles.

 

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Auf der nach allen Seiten offenen Skala der materialen, medialen und stilistischen Ausprägungen neuer Musik markiert der US-Amerikaner Timothy McCormack einen Extrempol an Reduktion. Sein Violasolo „…stretched across its axes“ bewegt sich eine Dreiviertelstunde lang im Mikrobereich. Bratschist Marco Fusi führt den Bogen so langsam über die Saiten, dass der üblicherweise kontinuierliche Ton wie unter Zeitlupe in einzelne Pulse zerfällt. Wie unterm Rastermikroskop hört man, dass das kolophonierte Rosshaar die Saite immer wieder ein Stückchen mitzieht und dann in die Ausgangslage zurückspringen lässt. Je nach Saite, Stelle, Druck und Tempo des Streichens bringt das periodische Rattern auf der mit allen Fasern resonierenden Viola feinste Nuancen und wechselnde Obertöne zum Schwingen.

Für Solist und Publikum ist dieser maximale Minimalismus eine Ausnahmeerfahrung in Körperbeherrschung, Entschleunigung, Geduld sowie kollektiv herzustellender Stille und individuell aufzubringender Wertschätzung gegenüber einer zerbrechlichen Einzelstimme inmitten des allgemeinen Getöses an Werbung und Meinungsmache. McCormacks Solo scheint der Welt völlig abhandengekommen und ist durch die genaue Darstellung und Beobachtung der klingenden Materie doch implizit ein stiller Protest gegen brüllendes Vormachtstreben.

Ohnmachtserklärung

Den Gegenpol zu konzentrierter Materialästhetik markiert knallige Gehaltsästhetik. François Sarhans multimediale Power-Point-Lecture-Performance „Les Murs meurent aussi“ präsentiert in Wort, Bild und Musik Reklamespots für ein Raketenabwehrsystem und biologisch abbaubare Panzergranaten, die neben tödlicher Sprengkraft auch Ritterspornsamen zu künftiger Begrünung des Schlachtfelds verschießen. Ferner geht es um Landminen in der Ukraine, die zu räumen siebenhundert Jahre bräuchte, wenn man damit weiter so verfährt wie es zwei Performende Quadratmeter für Quadratmeter auf der Bühne vormachen. Dann zeigt das Video selbsternannte „Hexen“, die mit schwarzer Magie dem russischen Präsidenten Putin ungeahnte Kräfte zufließen lassen. Dazwischen erzählen Mitglieder des Ensembles United Instruments of Lucilin vom Krieg im zerfallenen Jugoslawien sowie von den Grenzen zwischen Polen und Belarus, Mexico und den USA, China und Taiwan.

Sarhans Musik reagiert in keiner erkennbaren Weise auf die ununterbrochen abgespulten Katastrophen und Ungerechtigkeiten, bei denen sich Fakt und Fake kaum mehr unterscheiden lassen. Wie die klangliche Untermalung x-beliebiger YouTube-Videos gibt sich die Musik demonstrativ zynisch-unbeteiligt und entblößt genau damit schonungslos ehrlich die eigene Ohnmacht gegenüber dem Lauf der Welt. Satirische Kunst erklärt ihren Bankrott gegenüber der Realsatire und demontiert sich am Schluss selbst: die Akteure fallen aus ihren Rollen, verkünden das Ende der Aufführung und räumen das Bühnensetting ab. Es war nur Show, hat nichts bewirkt, ist jetzt aus, und kann weg.

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Eingebettete Rüstungsreklame in François Sarhans „Les Murs meurent aussi“. Foto: Martin Sigmund

Eingebettete Rüstungsreklame in François Sarhans „Les Murs meurent aussi“. Foto: Martin Sigmund

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Parodie und Depression

Bernhard Lang schrieb „loops for basses“ für Andreas Fischer und Theo Nabicht. Unter dem absurden Slogan „Reden ist Schweigen, Silber ist Gold“ parodiert der Bassist am Rednerpult hohle Wahlkampfreden. Parallel zum virtuos aufspielenden Kontrabassklarinettisten spricht er ohne Sinn und Verstand mit umso größerer Emphase, Gestik und Mimik über alles und nichts wie einst Chaplins „Der große Diktator“ oder Kagels „Der Tribun“. Das brillant gemachte und performte Kabarett persifliert die vielen Demagogen, die Menschen gegeneinander aufhetzen. Eine heiße Empfehlung für den nächsten Kleinkunstpreis.

Über demselben Konzert der Neuen Vocalsolisten – die insgesamt drei Programme sangen – lastete ansonsten Resignation, Lethargie, Todessehnsucht. Luxa Mart*in Schüttlers „Diskreter Wolf“ zerdehnte düstere Akkorde aus Hugo Wolfs Eichendorff-Vertonung „Komm, Trost der Welt“. Elena Rykovas „a hollow heart full of holes“ ließ sanfte Liegetöne mittels SWR Experimentalstudio wie körperlose Geis­terstimmen durch den Raum schweben. Und Kuba Krzewińskis „Trigger Warning“ zeigte Videointerviews mit Burnout-Betroffenen der Szene der neuen Musik, doch ohne besondere Form-, Bild- und Klangsprache, so dass kein neuer Zugang zu diesem sensiblen Thema entstand.

Spiel, Spalt, Splatter

Interviews verwendete auch die dreiteilige Serie „DSDL“ von Uwe Rasch. Erzählungen von Menschen in prekären Lebensverhältnissen prallen auf Textkarten des Brett- und Würfelspiels „Das Spiel des Lebens“: „Mache Universitätsabschluss“, „Kaufe Luxusvilla“, „Erhalte einen Kredit über 100.000 Euro“, „Bekomme Rente“ … Unvereinbar wie Spiel und Lebenswirklichkeit sind auch die zu unpassender Geschmacksverstärkung degradierten Musikeinlagen des Trios Pony Says, das als Fernsehshow-Band immer nur kurze Schnipsel von Rock, Pop und Schlager einstreut. Kunterbunt durch Nonsens, Choräle, Kapitalismuskritik, Fungologie, Alexa-KI, Laienspiel, Folk- und Rocksongs zappte bis Mitternacht auch die Elektrooperette „Digital Blood“ der beiden Bands „Kinky Muppet“ und „The Nubes“ um Annesley Black.

Der 69. Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart ging zu gleichen Teilen an Thomas Stieglers 6. Streichquartett, Anda Kryezius „Infuse: Playtime“ und Sara Glojnarićs „EVERYTHING, ALWAYS“. Im letztgenannten Stück erteilt die kroatische Komponistin aus dem Off Anweisungen gleich einem experimentierenden Kreativprozess zu Akkorden und Läufen, die das echtzeitEnsemble der HMDK Stuttgart unter Leitung von Christoph Löser dann wahlweise mit oder ohne Elektronik umsetzt, um verschiedene Effekte auszuprobieren. Ähnlich selbstreferentielle Moderationsstücke gab es schon von Johannes Kreidler, Patrick Frank oder Trond Reinholdtsen. Dann spielt Glojnarić die zehn populärsten Karaoke-Songs an, um sie lapidar zu kommentieren: „well, better not“, „nice“, „uarrgh!“ Hier will jemand witzig sein und offenbart doch nur die Beliebigkeit des eigenen Vorgehens.

Spaß, Sport, Speed

Agata Zubel übersetzt in „Abstract Paintings“ vierzehn „Rakel-Bilder“ von Gerhard Richter in ebenso viele Chorstücke, uraufgeführt vom ausgezeichneten SWR Vokalensemble unter Leitung von Susanne Blumenthal. Projektionen der Bilder lenken die Wahrnehmung auf Analogien: vertikale Achsen werden zu Tutti-Akzenten, horizontale Schlieren zu Clustern, fallende Linien zu sinkenden Glissandi et cetera. Ohne die Bilder würde man einfach variantenreiche Vokalminiaturen hören. So aber bewirkt dieses „Komponieren nach Malen“ bloß eindimensional verengtes Hören nach Bildern.

Das junge Fabrik Quartet spielte Kathrin A. Denners „Aeris“ mit flatterhaften Tremoli zu kristallklaren Klangschalen sowie Sebastian Clarens vielteiligen Zyklus „tremblement“ mit verschiedenen aus Brahms’ op. 51,2 abgeleiteten Charakteren. Das von Emilio Pomàrico dirigierte SWR Sinfonieorchester präsentierte Alberto Posadas’„Königsberger Klavierkonzert“ und Johannes Maria Stauds Schlagzeugkonzert „Whereas the Reality Trembles“. Die von Florian Hölscher und Chris­toph Sietzen brillant gespielten Solopartien verloren sich gleichermaßen in hohldrehendem Aktionismus. Hier wurden nach Eulerschen Schaltkreisen generierte Triller-, Intervall-, Akkord-Ketten massenweise abgespult – dort erging sich der Perkussionist in sportiver Selbstgefälligkeit: hypervirtuose Begleitmusik zum realen Turbokapitalismus.

Echokammer

Eclat spiegelt das gegenwärtige Musikschaffen und versteht sich zugleich als diskursive Echokammer aktueller Ereignisse, Krisen und Zeitfragen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger, hinterlässt aber immer ein paar Stücke, die Eindruck machen und in Erinnerung bleiben. Die Fülle und Vielfalt der Programme und Formate verdankt sich sowohl den gas­tierenden Ensembles – darunter die beiden prominenten Stuttgarter Vokalensembles mit textbasierten und dadurch stärker inhaltlich geladenen Stücken – als auch der professionellen Licht-, Video- und Soundtechnik in den verschiedenen Sälen des Stuttgarter Theaterhauses, wo sich problemlos multimediale und szenische Projekte realisieren lassen.

Intensive Tage

Weil alles unter einem Dach stattfindet und die meisten Mitwirkenden wegen Proben mehrere Tage vor Ort sind, kommen die Akteure untereinander und mit dem Publikum an der langen Bar des Foyers wie bei kaum einem anderen Festival ins Gespräch. Nach fünf Tagen fühlt man sich dann zwar leicht benommen wie in einem Aquarium, doch unter lauter ausdruckstarken und diskussionsfreudigen Fischen.

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