Parodie und Depression
Bernhard Lang schrieb „loops for basses“ für Andreas Fischer und Theo Nabicht. Unter dem absurden Slogan „Reden ist Schweigen, Silber ist Gold“ parodiert der Bassist am Rednerpult hohle Wahlkampfreden. Parallel zum virtuos aufspielenden Kontrabassklarinettisten spricht er ohne Sinn und Verstand mit umso größerer Emphase, Gestik und Mimik über alles und nichts wie einst Chaplins „Der große Diktator“ oder Kagels „Der Tribun“. Das brillant gemachte und performte Kabarett persifliert die vielen Demagogen, die Menschen gegeneinander aufhetzen. Eine heiße Empfehlung für den nächsten Kleinkunstpreis.
Über demselben Konzert der Neuen Vocalsolisten – die insgesamt drei Programme sangen – lastete ansonsten Resignation, Lethargie, Todessehnsucht. Luxa Mart*in Schüttlers „Diskreter Wolf“ zerdehnte düstere Akkorde aus Hugo Wolfs Eichendorff-Vertonung „Komm, Trost der Welt“. Elena Rykovas „a hollow heart full of holes“ ließ sanfte Liegetöne mittels SWR Experimentalstudio wie körperlose Geisterstimmen durch den Raum schweben. Und Kuba Krzewińskis „Trigger Warning“ zeigte Videointerviews mit Burnout-Betroffenen der Szene der neuen Musik, doch ohne besondere Form-, Bild- und Klangsprache, so dass kein neuer Zugang zu diesem sensiblen Thema entstand.
Spiel, Spalt, Splatter
Interviews verwendete auch die dreiteilige Serie „DSDL“ von Uwe Rasch. Erzählungen von Menschen in prekären Lebensverhältnissen prallen auf Textkarten des Brett- und Würfelspiels „Das Spiel des Lebens“: „Mache Universitätsabschluss“, „Kaufe Luxusvilla“, „Erhalte einen Kredit über 100.000 Euro“, „Bekomme Rente“ … Unvereinbar wie Spiel und Lebenswirklichkeit sind auch die zu unpassender Geschmacksverstärkung degradierten Musikeinlagen des Trios Pony Says, das als Fernsehshow-Band immer nur kurze Schnipsel von Rock, Pop und Schlager einstreut. Kunterbunt durch Nonsens, Choräle, Kapitalismuskritik, Fungologie, Alexa-KI, Laienspiel, Folk- und Rocksongs zappte bis Mitternacht auch die Elektrooperette „Digital Blood“ der beiden Bands „Kinky Muppet“ und „The Nubes“ um Annesley Black.
Der 69. Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart ging zu gleichen Teilen an Thomas Stieglers 6. Streichquartett, Anda Kryezius „Infuse: Playtime“ und Sara Glojnarićs „EVERYTHING, ALWAYS“. Im letztgenannten Stück erteilt die kroatische Komponistin aus dem Off Anweisungen gleich einem experimentierenden Kreativprozess zu Akkorden und Läufen, die das echtzeitEnsemble der HMDK Stuttgart unter Leitung von Christoph Löser dann wahlweise mit oder ohne Elektronik umsetzt, um verschiedene Effekte auszuprobieren. Ähnlich selbstreferentielle Moderationsstücke gab es schon von Johannes Kreidler, Patrick Frank oder Trond Reinholdtsen. Dann spielt Glojnarić die zehn populärsten Karaoke-Songs an, um sie lapidar zu kommentieren: „well, better not“, „nice“, „uarrgh!“ Hier will jemand witzig sein und offenbart doch nur die Beliebigkeit des eigenen Vorgehens.
Spaß, Sport, Speed
Agata Zubel übersetzt in „Abstract Paintings“ vierzehn „Rakel-Bilder“ von Gerhard Richter in ebenso viele Chorstücke, uraufgeführt vom ausgezeichneten SWR Vokalensemble unter Leitung von Susanne Blumenthal. Projektionen der Bilder lenken die Wahrnehmung auf Analogien: vertikale Achsen werden zu Tutti-Akzenten, horizontale Schlieren zu Clustern, fallende Linien zu sinkenden Glissandi et cetera. Ohne die Bilder würde man einfach variantenreiche Vokalminiaturen hören. So aber bewirkt dieses „Komponieren nach Malen“ bloß eindimensional verengtes Hören nach Bildern.
Das junge Fabrik Quartet spielte Kathrin A. Denners „Aeris“ mit flatterhaften Tremoli zu kristallklaren Klangschalen sowie Sebastian Clarens vielteiligen Zyklus „tremblement“ mit verschiedenen aus Brahms’ op. 51,2 abgeleiteten Charakteren. Das von Emilio Pomàrico dirigierte SWR Sinfonieorchester präsentierte Alberto Posadas’„Königsberger Klavierkonzert“ und Johannes Maria Stauds Schlagzeugkonzert „Whereas the Reality Trembles“. Die von Florian Hölscher und Christoph Sietzen brillant gespielten Solopartien verloren sich gleichermaßen in hohldrehendem Aktionismus. Hier wurden nach Eulerschen Schaltkreisen generierte Triller-, Intervall-, Akkord-Ketten massenweise abgespult – dort erging sich der Perkussionist in sportiver Selbstgefälligkeit: hypervirtuose Begleitmusik zum realen Turbokapitalismus.
Echokammer
Eclat spiegelt das gegenwärtige Musikschaffen und versteht sich zugleich als diskursive Echokammer aktueller Ereignisse, Krisen und Zeitfragen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger, hinterlässt aber immer ein paar Stücke, die Eindruck machen und in Erinnerung bleiben. Die Fülle und Vielfalt der Programme und Formate verdankt sich sowohl den gastierenden Ensembles – darunter die beiden prominenten Stuttgarter Vokalensembles mit textbasierten und dadurch stärker inhaltlich geladenen Stücken – als auch der professionellen Licht-, Video- und Soundtechnik in den verschiedenen Sälen des Stuttgarter Theaterhauses, wo sich problemlos multimediale und szenische Projekte realisieren lassen.
Intensive Tage
Weil alles unter einem Dach stattfindet und die meisten Mitwirkenden wegen Proben mehrere Tage vor Ort sind, kommen die Akteure untereinander und mit dem Publikum an der langen Bar des Foyers wie bei kaum einem anderen Festival ins Gespräch. Nach fünf Tagen fühlt man sich dann zwar leicht benommen wie in einem Aquarium, doch unter lauter ausdruckstarken und diskussionsfreudigen Fischen.