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Foto: © 2022 Lysann Weber.
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Unverwüstlich – Die „Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán in Halberstadt

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Wenn schon die Ouvertüre der „Csárdásfürstin“ eine Dosis Pusta- beziehungsweise Ungarnklischee verströmt, dann steht hier keineswegs eine heute so übereifrig kritisierte „kulturelle Aneignung“ ins Haus. Emmerich Kálmán (1882-1953) war Ungar. Neben Franz Lehár, einer der Begründer und Protagonisten der sogenannten silbernen Operettenära. Da er 1882 in Siófok geboren wurde, war er sogar ein original k.u.k. also ein österreich-ungarisches Gewächs. Von seinen zahlreichen Operetten gehören die „Csárdásfürstin“ (1915) und „Gräfin Mariza“ (1924) zum Tafelsilber des Operettenrepertoires.

Auch die „Die Bajadere“ (1921) oder Die Herzogin von Chicago (1928) kommen immer mal wieder zu (durchaus bejubelten) Bühnenehren. Aber wenn ein Theater „die Csárdásfürstin“ (oder „Gräfin Mariza“) ins Programm nimmt, versteht sich das quasi von selbst. Was vor allem an der genialen Musik liegt, deren Popularität auch der Rassenwahn der Nazis (der Jude Kálmán überlebte im USA-Exil, kehrte aber nach dem Krieg nicht nach Österreich zurück, sondern nach Paris). 

Die Handlung ist ein typischer Operettenplot. Er nimmt den Standesdünkel der Aristokratie auf die Schippe und kratzt am Frauenbild der Zeit (in dem Ehe- und Hausfrau, aber keineswegs ein eigener Beruf, die Berufung der Frauen war). Der Fürst im Stück, Leopold von Lippert-Weylersheim, verbietet seinem Sohn Edwin wegen der Standesunterschiede eine Beziehung zur bürgerlichen, obendrein als Varietékünstlerin berühmten Sängerin Sylva Varescu (eben jener Csárdásfürstin). Er erfährt kurz vor Schluss (gerade rechtzeitig für das Happyend), dass seine eigene Frau auch mal so angefangen hatte und nur durch Heirat zu einem Adelstitel gekommen war.

Das zweite Paar, das nach dem Libretto von Leo Stein und Béla Jenbach zusammenfinden wird, besteht aus Edwins offizieller Verlobter Stasi (das kommt von Anastasia, wird also mit spitzem, norddeutschem „St“ gesprochen) und seinem Freund Graf Boni. Der ältere Herr aus diesem Kreis namens Feri wird als Ex-Verehrer der Fürstin benötigt, um deren Vergangenheit auffliegen zu lassen. Dass hier alles auf ein typisches Operettenhappyend hinausläuft, ist von Anfang an klar. Bis dahin lässt sich wunderbar zu Kálmán geballter Ladung von zündenden Hits schwelgen. Ob „Die Mädis vom Chantant“ oder das „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“, ob „Machen wir’s den Schwalben nach“, „Jai Mamám, Bruderherz, ich kauf’ mir die Welt“ oder dem „Tausend kleine Englein singen: Habt Euch lieb“. Sage keiner, da falle ihm die Melodie dazu nicht ein.

Die Schauplätze sind Budapest und Wien. Von der Varietébühne auf der Bühne ist der Wandel im Handumdrehen in einen noblen Salon und ein ebenso nobles Hotelfoyer zu machen. Da können die Vorgaben der Bühne auf die Phantasie der Zuschauer vertrauen. 

Da die Handlung unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkrieges spielte und 1915 im Johann-Strauß Theater in Wien schon im Krieg uraufgeführt wurde, hatte Regisseur Peter Konwitschny 2000 in der Semperoper den zweiten und dritten Akt in das Ambiente dieses Krieges und das „Tausend kleine Englein singen“ sogar in einen Schützengraben verlegt. Da eine auf Silvesterparty gestimmte Buh-Fraktion soviel Kontext nicht sehen wollte, führte das zu einem veritablen Premierenskandal. Der bestand aber eigentlich darin, dass die Intendanz vor den Buhrufern einknickte und die Inszenierung „entschärfte“.

Dergleichen ist in Halberstadt natürlich nicht mal im Ansatz zu befürchten.

Hier verlassen Birgit Kronshage (Regie) und Gretl Kautzsch (Ausstattung) die Komfortzone des puren Operettenvergnügens keinen Augenblick auch nur ansatzweise. Manchmal flackert pragmatische Ironie auf. Wenn etwa zum „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“ das Tanzbein geschwungen wird, darf man sich über den Eifer amüsieren, mit dem nicht nur die Jugend auf dem Tanzvergnügen an der Rampe besteht. Jan Rozehnal hat den Chor so einstudiert, dass er seinen Teil mit Charme über die Rampe schmettert. Bei den gesprochenen Textpassagen gibts das übliche Wenn-Sänger-sprechen-Problem, das aber zum Beispiel auch Magdeburg hat, wenn es Operette gibt. Mit einer rühmlichen Ausnahme. Tobias Amadeus Schöner ist eben auch ein Komödiant, der seinen Grafen Boni mit k.u.k-Schmäh so hinschlenkert, dass es eine Freude ist. Da vor allem aber gesungen wird, ist es insgesamt ein Vergnügen. Maximiliane Schünemann ist eine souveräne Sylva Varsecu. Bénédicte Hilbert wickelt mit ihrem jugendlichen Charme und Esprit nicht nur den Grafen Boni ein, sondern ist auch sprechend mit ihm auf Augenhöhe. Gijs Nijkamp und Thea Rein sind als Elternpaar um die fürstliche Contenance bemüht. Max An ist für den Feri eine Luxusbesetzung und das kernige Timbre mit dem der neu in Halberstadt engagierte Chilene Francisco Huerta seinen Edwin meistert, macht neugierig auf mehr.

Die Regie hat zwar kleine zeitgeistige Witzchen eingebaut (vom Heizkosten sparen bis zum Filmtitel „Ewig grüßt das Murmeltier“). Schade nur, dass sie nicht den Mut hatte, durch bewusst eingesetzte ironische Distanz, ein paar zusätzliche szenische Funken zu schlagen. Aber was solls. Fabrice Parmentier und die Harzer Sinfoniker sorgen, wenn auch mit einigem gefühlten Abstand zu Österreich und gar zu Ungarn, für den Sound, der diese Operette über alle Mäkeleien im Einzelnen hinaus so verführerisch macht. Auch in Halberstadt. 

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