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Uraufführungen 2012/06

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Was Musikräte raten
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Für den marxistischen Philosophen und Germanisten Georg Lukács hatte Musik die Funktion, den Hörer zu sensibilisieren und in die Lage zu versetzen, „die Wirklichkeit näher und konkreter, intensiver und tiefer, umfassender und detaillierter zu ergreifen, als dies für das Alltagsleben möglich ist.“ („Die Eigenart des Ästhetischen“, Band 1, Neuwied 1963, Seite 665). Und obwohl Theodor W. Adorno mit Lukács ansonsten ständig im Dissens lag, verstand auch er Musik in ähnlicher Weise als „begriffslose Erkenntnis“. Indem er die Auffassung vertrat, die Kulturindustrie scheide alle Kunst entweder in Kitsch, der einzig dem Profit gehorcht, oder in Avantgarde, die jenseits kommerzieller Interessen im Abseits der Gesellschaft steht, sah Adorno Überlegungen, denen es auf die „Entfaltung von Wahrheit“ ankommt, einzig auf die Avantgarde verwiesen: „Philosophie der Musik heute ist möglich nur als Philosophie der neuen Musik.“ („Philosophie der neuen Musik“ (1948), Frankfurt 51969, Seite 19).

Doch ausgerechnet bei Festivals der Neuen Musik wirkt die massenhafte Reihung von Uraufführungen oft eher abstumpfend denn erhellend. Der dadurch einsetzenden anästhetisierenden Schubumkehr versuchen Veranstalter zu begegnen, indem sie Besetzungs-, Stil- oder Medienwechsel programmieren zwischen Instrumenten, Elektronik, Video, Räumen, Aufführungssituationen, Alt und Neu.

Ein naheliegendes, doch selten praktiziertes Unternehmen hat jetzt der Landesmusikrat NRW zusammen mit sechs lokalen und regionalen Gesellschaften für Neue Musik dieses Bundeslandes auf den Weg gebracht. Je ein Komponist dieser Gesellschaften erhielt den Auftrag zu einem neuen Werk für das 2006 in Münster gegründete „ensemble:hörsinn“, das die sechs Uraufführungen am 2. Juni im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund spielt und mit dem Programm „Stationen – Neue Musik aus NRW“ anschließend bis zum 23. Juni auf Tournee durch die Städte dieser Gesellschaften geht. So werden die Ensemblewerke von Jörg Birkenkötter, Erik Janson, Gordon Kampe, Johannes Marks, Christina C. Messner und Willem Schulz – die zudem vor Ort Schulprojekte durchführen – auch in Bielefeld, Aachen, Münster, Köln, Essen und Düsseldorf einem ungleich größeren Publikum zugänglich gemacht.

Der Deutsche Musikrat rief gar für den 15. bis 17. Juni bundesweit zu einem dreitägigen „Tag der Musik“ auf, bei dem sich unter dem Motto „Hören“ möglichst alle beteiligen sollen: Laien- und Profimusiker, Jugend und Erwachsene, Chöre, Orchester, Bands, Ensembles, Schulen, Musikschulen, Vereine, Konzert- und Opernhäuser, Rundfunkanstalten, Verlage, von der Alten Musik bis zum Pop. In diesem bunt zusammengeklaubten Strauß stecken sicher irgendwo auch ein paar Blumen seltener Neuzüchtungen, die abermals den ohnehin längst erbrachten Beweis liefern: Neue Musik ist nicht – wie Adorno behauptete – die ungeliebte, isolierte und von allen ungehört verhallende „Flaschenpost“ für eine Zukunft, die sich ebenso wenig darum scheren wird, sondern mitten unter uns in der Gesellschaft und Gegenwart verankert.

Weitere Uraufführungen

  • 8.6.: Chaya Czernowin, Esh (Fire) für Orchester mit Countertenor, Lausitz-Arena Cottbus
  • 11.6.: Tobias Schneid, Nacht für Orchester, Stadthalle Augsburg-Gersthofen
  • 14.6.: Anno Schreier, Mörder Kaspar Brand, Oper nach Edgar Allan Poe, Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf
  • 16.6.: Nikolaus Brass, Der Garten für Orchester mit vier obligaten Männerstimmen, musica viva, Herkulessaal München
  • 23.6.: Eberhard Streul, Schicksals-Akkord, Schauspiel mit Musik, Städtische Bühnen Münster

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