Aufgewachsen in ökonomisch privilegierter Umgebung einer Bankiersfamilie, ausgestattet mit allen wünschenswerten kreativen Eigenschaften und umfassender bürgerlicher Bildung konnte Felix Mendelssohn (1809-1847) zum Musikstar im Übergang von der klassischen zur romantischen Epoche avancieren.
Jedenfalls ist von keinem anderen Komponisten des 19. Jahrhunderts bekannt oder gar nachgewiesen, bereits zu Lebzeiten mehr als drei Dutzend Werk-Widmungen von Kollegen wie Robert Schumann, Ignaz Moscheles und Louis Spohr erhalten zu haben. In dieser Hinsicht ist der Status von Felix Mendelssohn singulär.
Mit solchem empirischen Befund überraschte Andrea Hammes, Doktorandin am Brahms-Institut, sowohl Experten und als auch Publikum am 5. Juli 2014 beim ersten Symposion des Schleswig-Holstein Musikfestivals mit dem Thema „Felix Mendelssohn und die deutsche Musikkultur“, das Wolfgang Sandberger, Leiter des Brahms-Instituts, organisiert und moderiert hatte. Wobei, nach diesem Hinweis unvermutet, nicht, wie oft üblich, die Rezeption der Musik von Felix Mendelssohn im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses war, sondern Aspekte der Zuordnung seiner Biographie und seines Œuvres als Innenschau im kulturellen Kontext seiner Zeit.
„Leipzig als geistige Lebensform“
Wie sich für Felix Mendelssohn die Existenz am besten gestaltete, nannte Irmelin Schwalb „Leipzig als geistige Lebensform“, die aus seiner Tätigkeit als Dirigent und Gründer des ersten Konservatoriums dort entstand. Sein kosmopolitisch geprägtes Bewusstsein und europaweite Kontakte kontrastierten seine abgeschirmte Privatsphäre (symbolisiert in der hermetischen Zeichnung „Das Rad“, 1829, von Wilhelm Hensel), wo er sich in der Familie und vor allem bei gleich gesinnten Freunden unbeobachtet fühlte und von beruflichen Depressionen erholte. Obwohl er sich als Person von Gegensätzen sah, neigte sein Naturell zu gesellschaftlichem Ausgleich und ästhetischer Synthese. Insbesondere ist zu erwähnen, dass Felix Mendelssohn nur privat über seine jüdische Herkunft sprach, sein Bekenntnis zur lutherischen Konfession dennoch authentisch war, wie Friedrich Geiger in seinem Vortrag über „Felix Mendelssohn und der Protestantismus“ verifizieren konnte. Ja, im religiösen Bereich suchte Felix Mendelssohn sogar die Ökumene, indem er in seiner „Kirchenmusik“ (1832) zwischen zwei Lutherchorälen das katholische „Ave Maria“ setzte. Ein Modell zur Integration der Konfessionen, dessen offenbar immer noch provokante Reihenfolge aber bis jetzt bei keiner CD-Aufnahme beachtet wurde. So mischt(e) sich auch in die Struktur der Urteile über seine geistliche Musik ein gewisser Zweifel, wie schon Heinrich Heine gegen die Glaubensaufrichtigkeit seines Zeit- und Leidensgenossen mit quasi antisemitischen Invektiven polemisierte.
Der weit gespannte Bildungshorizont, eigentlich ein bürgerliches Ideal, erwies sich für Felix Mendelssohn als Bumerang, indem ihm, dem einzigen ausgebildeten Komponisten seiner Generation (sic!, Peter Gülke), im abwertenden Sinn insbesondere postum Intellektualismus vorgeworfen wurde. Gerade die „Stoffgeschichte der Konzert-Ouvertüren“, die Lothar Schmidt en detail beschrieb, zeigt, dass sie von häuslicher Kindheitslektüre klassischer Literatur inspiriert waren: „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare, „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von einem Goethe-Gedicht, „Das Märchen von der schönen Melusine“ nach Franz Grillparzer und die „Hebriden“ nach Liedern von James Macpherson und den historischen Romanen von Walter Scott, also typisch romantische Motive und zugleich Programmmusik, ein Faden, den später Franz Liszt wieder aufnahm.
In diesem Zusammenhang sind auch die Sujets der Zeichnungen und Aquarelle entstanden, die Felix Mendelssohn, der in dieser Kunst professionellen Unterricht hatte, während seiner Reisen anfertigte. Anders als seine Musik hatten diese durchaus respektablen Genre-Skizzen, wie Alexander Bastek „Mendelssohn als Bildkünstler“ profilierte, ebenso wie die enorme Korrespondenz die Funktion, sich in Selbstvergewisserung zu erinnern.
„Loreley“-Sujet
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Felix Mendelssohn so viele Skrupel hatte, das Projekt einer national-kulturellen Oper, eine Anfang des 19. Jahrhunderts nur rudimentäre deutschsprachige Tradition, zu verwirklichen. Für seine klangästhetischen und musikdramatischen Ambitionen fand er lange Zeit keinen geeigneten Librettisten, bis ein aus noch ungeklärten Umständen zustande gekommener Kontakt zu Emanuel Geibel aus Lübeck, dessen Lyrik am meisten im 19. Jahrhundert vertont wurde, ihm Entwürfe zum „Loreley“-Sujet zuschickte. Aber auch da war Felix Mendelssohn nicht immer zufrieden, nicht wegen des Sujets, sondern wegen des literarischen Niveaus und szenischen Gestaltung. Das Fragment seiner „Loreley“-Oper, die nur implizit nationale Elemente evoziert, wurde zwar in Lübeck und anderswo sporadisch und durchaus mit Erfolg aufgeführt, aber erst 1861, etwa 14 Jahre nach seinem Tod, zu seinem Andenken veröffentlicht. Es passte in der Folgezeit auch nicht in romantische Konzepte der Charakterdarstellung und wurde deshalb wohl weitgehend vergessen.
„Zwischen Klassizismus und Romantik“
Gerade sein Formbewusstsein und die Fähigkeit zu unangestrengter Vollendung machten Felix Mendelssohn, der in bürgerlicher Dialogkultur und in der Erfahrung öffentlicher Präsenz von Musik etwa in der Singakademie von Zelter groß geworden war, zu einem Repräsentanten geistig geprägter Musikkultur. Nicht sich romantisch auflösendes Sentiment dominierten bei ihm, sondern Linie und Begrenzung. Dieser von Laurenz Lütteken fixierte Standort „Zwischen Klassizismus und Romantik“, der von keiner Entwicklung, sondern von stabilen Prinzipien gekennzeichnet war, erwies sich als neuralgischer Punkt bei der Bewertung seiner Persönlichkeit und Musik. Bei Felix Mendelssohn mischten sich klassisches Maß und romantische Empfindsamkeit in progressiver Weise: „Niemand kann mir verbieten, mich dessen zu erfreuen und an dem weiterzuarbeiten, was mir die großen Meister hinterlassen haben, denn von vorne soll wohl nicht jeder wieder anfangen: aber es soll auch ein Weiterarbeiten nach Kräften sein, nicht ein totes Wiederholen des schon Vorhandenen“, war sein selbstbewusstes Konzept.
Dieses Bekenntnis hätte auch von Johannes Brahms stammen können, der wie Felix Mendelssohn ein Ab- oder Außenseiter im 19. Jahrhundert war, begründete Peter Gülke in seinem Festvortrag zur Ausstellung „Konstellationen. Mendelssohn und Brahms“ einige Gemeinsamkeiten der Komponisten. Beide waren in Hamburg geboren und hatten Respekt vor dem, was in der Musik sagbar ist. Außerdem, so Peter Gülke, seien beide Komponisten aufgrund stärksten Bezugs zur Vergangenheit Agenten des musikalischen Gedächtnisses. Das Novum an sich sei eben nicht eine genügende Qualität, sondern erscheine erst in historischen Verbindungen, werde erst so bewusst. Doch gerade dieser Impetus ist dann suspekt geworden, weil es im 19. Jahrhundert eigentlich kein einheitliches nationales Erbe gab, ein territorial identifizierbarer Nationalstaat, das Deutsche Reich, entstand erst 1871, nationale Symbole wie Flagge und Embleme noch später. Der Titel „Felix Mendelssohn und die deutsche Musikkultur“ ist daher programmatisch zu verstehen, nämlich „den hervorragendsten Komponist Deutschlands“ (Franz Liszt) aus der Verdrängung wieder in einen kritischen Diskurs nationaler Musikhistorie zurückzuholen. Symposion und Ausstellung geben nachhaltige Impulse, sich der Musik und der Persönlichkeit von Felix Mendelssohn (und auch von Johannes Brahms) unvoreingenommen zu nähern.
Eine Dokumentation zu Ausstellung und Symposion ist in der Publikationsreihe des Brahms-Instituts in Planung (Edition Text & Kritik).
Die Ausstellung „Konstellationen - Mendelssohn und Brahms“ ist bis zum 13. Dezember 2014 jeweils mittwochs und samstags zwischen 14 und 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.
www.brahms-institut.de
Eine weitere Ausstellung in diesem Zusammenhang befasst sich mit dem Thema „Mendelssohn und Lübeck“ und ist in der Stadtbibliothek Lübeck vom 4. Juli bis 18. August 2014 zu sehen.
www.stadtbibliothek.luebeck.de