Neubeginn am Uraufführungsort: denn gegen den Willen Richard Wagners bestand König Ludwig II. darauf, dass das Werk 1869 an der Münchner Hofoper erstmals gespielt wurde – also vor Bayreuth 1876, weswegen der verärgerte Komponist der Aufführung fernblieb. München fühlt sich mit den vorangegangenen Uraufführungen von „Tristan und Isolde“ sowie der „Meistersinger von Nürnberg“ seit jenen Jahrzehnten als mindestens ebenbürtige „Wagner-Stadt“ mit bedeutender Aufführungstradition. Dementsprechend groß sind die Erwartungen, dementsprechend hoch nun liegt die künstlerische Messlatte für das Realisierungsteam um Vladimir Jurowski und Tobias Kratzer.
Verkompliziert verspielt – „Rheingold“ an der Bayerischen Staatsoper München
Musikalisch sind Knappertsbusch-Solti-Keilberth-Sawallisch-Nagano-Petrenko als „Vor-Dirigenten“ zu nennen. Szenisch haben Regisseure wie Rennert, Lehnhoff, Wernicke, Alden und Kriegenburg verschiedenste Werkaspekte in München herausgearbeitet. Zu begrüßen ist Kratzers Entscheidung, die vier Werke als „eine große Erzählung“ mit „durchlaufender Narration“ zu sehen, terminlich gut eingebettet in seine 2025 beginnende und ihn natürlich längst auch beschäftigende Intendanz an der Hamburger Staatsoper – insofern parallel zu GMD Jurowski, der nicht nur bislang auf jeder szenischen Probe dabei war, sondern seinen Vertrag bis 2027 verlängert hat, womit der musikalische Part auch in einer Interpretationshand bleibt.
Nun also von der Tiefe des Rheins bis zur neuen „Götterburg Walhall“. „In den Trümmern der eignen Welt …“ wird eine der zentralen Figuren wenig später ihren Weg und ihr Scheitern umschreiben – und damit das Bühnengleichnis erschreckend aktuell, zum Drama unserer Welt werden lassen. Dabei hat dieser kleine sächselnde Künstler Richard Wagner diese Zeilen so um 1851 geschrieben. Komponiert hat er sie dann erst drei, vier Jahre später: als letztes fulminantes Aufbäumen eines Tycoons, eines Oligarchen, eines vermeintlichen Weltenherrschers – theatralisch als Göttervater Wotan vor seinem Abstieg zum „Wanderer“ durch eine am Ende in Flammen untergehende Welt. Ein gespenstisch zeitloses Gleichnis: den Untergang einer Welt durch Macht- und Gold- und Geld-Gier – also auch für 2024 ffffff.
Nun also „Ring 2024 bis 2026“. Kratzer hat sich mit seinem Team für die Thematik Religion, unsterbliche Götter und sterbliche Kreaturen entschieden – wobei Wagner erst im letzten Lebensabschnitt mit dem Buddhismus geliebäugelt hat, zuvor vom schärfsten Religionskritiker des 19. Jahrhunderts, von Ludwig Feuerbach beeinflusst war. Kratzer hat sich von seinem vertrauten Ausstatter Rainer Sellmaier eine dunkle, fast durchweg bespielte Kirchenhalle bauen lassen, deren zunächst mit Plastikplanen verhüllter Hochaltar mit Gerüst und Schaumstoffmatratzen für die edel historisierend kostümierten „Götter“ die „Baustelle Walhall“ bildet. „Gott ist tot“ hat der mit grässlichem T-Shirt und bunten Bermudas als Underdog gezeigte Alberich an eine Chor-Wand gesprayt. Er ist dem Selbstmord nahe, drückt seine Pistole aber doch nicht ab. Die drei Rheintöchter treten in diesem Kirchenraum als Mischung aus Aktivistinnen wie Pussy Riot und heutigen Club-Girls auf. Ihr zu bewachendes Rheingold liegt wie ein Bischofsgrab im Kirchenboden, kann aber von Alberich in einer durchsichtigen Plastiktüte davongetragen werden. All das beobachtet ein model-schlank eleganter, durchweg Zigaretten rauchender Loge im schwarzen Existenzialisten-Look. Wotans Weg nach Nibelheim wird als Video-Film-Reise durch unsere hektischen Stadtwelten auf dem Zwischenvorhang gezeigt. Alberichs Nibelheim ist mit viel Gerümpel, fünf Bildschirmen für die Weltfinanzen, Schnellfeuerwaffen an der Wand und vielen Geldkoffern eine halbe Erinnerung an die Garage von Steve Jobs, aus der heraus damals die Weltmacht Apple erwachsen ist – nur leider lässt Sellmaier Vergleichbares nicht erschreckendes Bild oder bedrohliche Projektion werden.
Ring und Speer sind als Requisiten geblieben. Aber Alberichs Verwandlung in einen Riesenwurm ist szenisch nicht eingelöst. Zunächst erschütternd dagegen seine Rückverwandlung aus der Kröte in eine nackte menschliche Kreatur – nur wirkt Markus Brück mit dauernd angehocktem Bein vor der Scham unfrei und sein Welt und Werk bestimmender Fluch wird auch vokal nicht zum prägenden Dreh—und Angelpunkt der Weltenhandlung. Dass Alberich dann noch an eine Kirchensäule pinkeln darf oder muss – verzichtbar. Den Abend beschließen Kratzer und Sellmaier mit einem spektakulären Bild: im Hintergrund wird ein farbig leuchtendes Kirchenfenster mit der Weltesche Yggdrasil und zwei zu hellen Raben freigelegt, während sich die Götterfamilie im vom Baugerüst befreiten, nun aufgeklappten, golden erstrahlenden Flügelaltar als Heiligenfiguren etablieren – in ihren Mittelalter-Kostümen des Anfangs, wie aus der Sagenbuch- und Historienmalerei des 19.Jahrhunderts. Dazu strömt dann heutiges „Volk“ bewundernd in die Kirche. Zuvor keine Spur vom Sklavenheer der Nibelungen, dafür eine schon befremdlich vergreiste Erda …
All das dirigierte GMD Vladimir Jurowski schlank, in gutem Fluss und dann mit dem nur im Blech etwas schwächelnden Staatsorchester in der maschinenhaft-entmenschten Nibelheim-Musik noch zu wenig, dafür am Schluss Wagner-gerecht bombastisch auftrumpfend. Vokal blieben nur kleine „Reifungs“-Wünsche offen: Sean Panikkars Loge etwas giftiger, höhnischer, hinterhältiger; Brücks Alberich finsterer, giftiger, abgründiger; Ekaterina Gubanovas Fricka entschieden herrischer … doch ansonsten von den voll tönenden Riesen Matthias Klink und Matthew Rose als berechnende Priester, der grau-alten Erda Wiebke Lehmkuhls über alle übrigen hin zum stattlichen, weitgehend souveränen Wotan von Nicholas Brownlee: ein Staatsopernensemble – zu Recht bejubelt. Deutliches Buh für das Regie-Team – Kratzer sagt selbst, dass ihm nach den „Rheingold“-Erfahrungen bis zur „Walküre“ 2025 Zeit bleibt, „einzelne Seitenwege ein bisschen anders zu gehen“ – er sollte sie nutzen.
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