Parallel zur Eröffnungsveranstaltung des „Zentrums für Gegenwartsmusik“ (ZfGM) und des Musikalischen Kultursalons an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ gab es am 2. und 3. Dezember die Fachtagung „Videospiele. Interdisziplinäre Perspektiven“. Das hätte ideal gepasst als eine der ersten Legitimationen des neuen ZfGM, stand jedoch ebenso außerhalb des Spektrums wie die Doppelpremiere von Henzes Funkopern „Ein Landarzt“ und „Das Ende einer Welt“ des Studiengangs Musiktheater.
Spannend und von beträchtlichem Assoziationsgewinn, voller Anreize zu einer interdisziplinären Betrachtung und auch Unterhaltungswert war es für die über dreißig Anwesenden. Teilnehmende des Hauptseminars „Musik im Computerspiel“ hatten die Möglichkeit zum Erwerb eines Scheins.
Seit 13. September gibt es die Kooperationsvereinbarung zwischen der Universität Leipzig und der HMT über eine verdichtende Zusammenarbeit. Das Ziel ist die Verschmelzung beider Institute zu einem von beiden Kooperationspartnern getragenen Leipziger Zentrum für Musikwissenschaft. An dieser Schaltstelle agiert Prof. Christoph Hust. Und es ist naheliegend, dass er den Weg von einem seiner Schwerpunkte – Musiktheorie des 19. Jahrhunderts – zum Massenphänomen der Videospiele findet, deren Kategorisierung mehrere analoge Züge zu Definitionen von „Gesamtkunstwerk“ beinhaltet.
Die Beschreibung des Parameters „Musik“ ist dabei sicher schwerer als bei Festivals für neues Theater oder Schwellenfunktionen in der Gegenwarts- und Neuen Musik. Es geht um sehr weit zu fassende Performance-Attribute, neben „Scores“ um Jingles und schillernde Funktionalisierungen von Tonfolgen, die von Spielenden nicht nur ausgelöst, sondern stellenweise auch generiert werden. So war es einleuchtend, dass Alexander Faschons Referat über „Unendliche Melodie“, die im Spielverlauf von „Loom“ durch die Spielenden initialisiert wird, nicht zur Sektion „Spielemusik“ gehörte, sondern zu „Facts and Fiction“.
Fünfzehn Beiträge, einige mit zwei Referenten und ein Poster Slam über „Musik in LucasArts-Spielen der 1990 Jahre“ bestätigen, dass dieses etwa für zweieinhalb Generationen existierende Genre längst seine eigene Gattungsgeschichte hat. Das zeigte ein Vortrag aus Perspektive einer temporär Spielwut-infizierten Mutter zweier inzwischen fast erwachsener Söhne: Die Regisseurin Jasmin Solfaghari (Berlin) stellte „Opera fatal“ (1996) vor, in der Spielende auf der Suche nach einer verschwundenen Partitur fast alle Räume eines Opernhauses und natürlich auch Musik kennenlernen, Chopin beispielsweise. Nicht sonderlich tiefschürfend allerdings sei in diesem Spiel Darstellung von Gattung und Struktur der Kunstform, „suspense“ und „entertainment“ dominieren über „education“.
In der Sektion „Musik“ unternahm Melanie Fritsch (Universität Bayreuth) eine Kategorisierung von „Teslaspulen, KlingDingern und Mario-Opern“. Die Generierung von Musik als absolutes Phänomen, deren Funktionalisierung in den performativen, programmierten und interaktiven Zuweisungen erweist sich als weites Feld, auch für die zunehmend in diese virtuellen Performance-Zonen vorstoßende Theaterwissenschaft. Barbara Büscher (Theaterwissenschaft, Leipzig) und Luisa Männel (Leipzig) stellten dar, wie mediale Kommunikationsformen zu „Gaming-Strategien im Theater“ und Impulsgeber zu „Aufführungen als Spielsituationen“ werden.
Erst recht an der noch immer diskutierten Schnittstelle, ob es sich bei der Gattung Videospiel um Kunst handelt, hatte die Fachtagung einen umfangreichen theoretischen und praktikablen Informationsgehalt. Der Erkenntnisgewinn ist bestens anwendbar z. B. zur Funktionsbestimmung von Trailern als Werbung UND Online-Archivmaterial, die Spannungsdramaturgie von deren Gestaltung, didaktische Strategien von Kulturinstitutionen generell und als ästhetisches Phänomen. Eine Publikation ist in Vorbereitung.