In Chemnitz wird der Frauentag noch gefeiert – mit „Norma“. Zum Schluss steht dort trotzdem alles in Flammen. Eine Übernahme von der Opera North im englischen Leeds hatte in Sachsen Premiere. Als Hommage an Maria Callas!
Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Opernliebhabern bevölkertes Team zauberte eine gallische Enklave erst ins britische Leeds und dann ins sächsische Chemnitz, wo die Koproduktion nun Premiere hatte.
Es ist die Belcanto-Oper par excellence, an die man sich da herangewagt hat. „Norma“, Weihnachten 1831 an der Mailänder Scala uraufgeführt, ist und bleibt ein Werk von höchstem Anspruch. Musikalisch kompliziert bis herausfordernd, in der Titelpartie einst durch Maria Malibran und im Zeitalter der Reproduzierbarkeit von Maria Callas mustergültig interpretiert, inhaltlich abstrus bis verworren – ein solches Stück Musiktheater in die Provinz zu holen, das zeugt von hohem Selbstverständnis.
An der Opera North in Leeds soll diese Produktion vor gut zwei Jahren gefeiert und sogar ausgezeichnet worden sein. In Chemnitz stehen die Chancen dafür eher schlecht. Hier hat man den Zweiakter dem jungen Kapellmeister Felix Bender anvertraut, der erst seit dieser Saison am Haus engagiert ist. Der US-amerikanische Regisseur Christopher Alden hat die Koproduktion inszeniert und legte zur Umsetzung von Leeds nach Chemnitz auch nochmal Hand an. Offenbar legte er Wert darauf, die Handlung in psychologisch nicht nachvollziehbare Bilder zu kleiden. Sein Ausstatter Charles James Edwards hüllte den Bühnenraum in eine hölzern verbretterte Kiste ein, legte den drei Wänden auch noch ein schalltrichterndes Dach auf und füllte dieses wirklich absolut zeitlose Ambiente mit einem gewaltigen Baum. Der lag mal diagonal in der Kiste, mal wurde er mittels Seilen in die Höhe gezogen und waberte als Damokles-Holz über dem Ganzen.
Fragen über Fragen
Einen ganzen Abend lang war über die Kostüme zu rätseln: Das Volk der Gallier war Wurzelzwergen gleich wie in Sackleinen gekleidet, vielleicht eine Metapher auf das Archaische dieser vor reichlich 2050 Jahren spielenden Handlung. Die Köpfe der Damen trugen blümene Jungfrauenkränze, die der Herren waren von Kosakenmützen gekrönt. Roms Imperatoren hingegen agierten ebenso wie Norma und ihre Kontrahentin Adalgisa fragwürdig biedermeierlich ausstaffiert. Als die Kostümbildnerin Sue Willmington zum Schlussapplaus auf der Bühne erschien, war des Rätselns ein Ende.
Zahlreiche Fragen sind dennoch geblieben: Wieso und warum wälzen sich die jungfräuliche Mutter Norma (2 Kinder) und Adalgisa (keusche Novizin) so unaufhörlich wie unerträglich auf dem Bretterboden, als sie einander enthüllten, in den römischen Prokonsul Pollione (dem Vater von Normas Kindern) verliebt zu sein? Weswegen darf dem der Untreue überführten Römer nichts anderes einfallen, als verzweifelt zur Schluckflasche zu greifen? Weshalb werden kräftige Bilder geschaffen – Norma als Sensenfrau –, aus denen dann nichts gemacht wird? Oder andersrum: Weshalb wird so viel Brimborium betrieben, um dann viel zu oft nur in läppischen Bildern zu landen? Die Axt in der Wand, die am Stuhl ausgelebte Begierde, das Hin und Her vorm gemeinsamen Opfertod – da wird Norma und Pollione besagter Kostümfilz vor die Füße geworfen, und dann wieder angezogen, zum Schluss besteigen sie erwähnten Baumstamm und schillern ein wenig im Feuerzauber des Theaters. Zu Beginn des zweiten Akts schlafen die Kinder und ringt Norma im Rachewahn mit Mordfantasien – als spielte sie gerade Medea. Als sie sich ihren Anbetern offenbart, dass sie selbst die Schuldige sei, „sono io“, gibt es null Reaktion beim Wurzelvolk auf der Bühne. Sollte das nun die dumme Verführbarkeit durch religiöse Verblendung beweisen oder war das nur ein weiteres Indiz dafür, dass die Musik mal wieder klüger geriet?
Eine solch enttäuschende, auch mit versuchter Manieriertheit nicht zu entschuldigende Inszenierung verlogenen Theaters könnte immerhin noch von der musikalischen Seite her gerettet werden. Wiewohl Annemarie Kremer, die in der Titelpartie gastierte, vom Intendanten noch als leicht indisponiert angesagt wurde, setzte doch sie die Glanzpunkte des Abends. Stark und mit Strahlkraft, wo es angesagt war, zurückhaltend und in sich gekehrt, wo Intimität gefragt wurde – ihr Sopran bot schöne Farben auf und hielt einer Menge an Erwartungen stand, die mit dieser Partie nun mal verbunden sind. Auch Tiina Penttinen als Adalgisa überzeugte zumeist sehr lyrisch. Pollione, der verruchte römische Gespiele beider Gallierinnen, wurde von Timothy Richards verkörpert. Steifes Spiel und einige verpasste Höhen täuschten nicht darüber hinweg, dass der Tenor über schönes Material vor allem in der Mittellage verfügt. Alles in allem waren weder die Solisten noch der Opernchor die Rettung für „Norma“ in Chemnitz. Mit zumindest teilweise überforderten Stimmen ist eine langweilige Inszenierung nicht wettzumachen.
Einen ähnlichen Eindruck hinterließ leider auch Felix Bender mit der Robert-Schumann-Philharmonie. Wo Samt gefordert wurde, klang allenfalls Velours an, wo aufbrausende Kraft erklingen sollte, geriet es in die Nähe des Schepperns. Dramatisch überzeugende Passagen vor allem der Streicher verblühten immer wieder zu rasch, was vor allem mit daran lag, dass der Kapellmeister bemüht war, dem Personal auf der Bühne unter die Arme zu greifen. Sobald dort aber mal geschleppt oder wieder angezogen wurde, geriet die Koordination zwischen oben und unten außer Kontrolle. Reichlich hölzern also auch für das Ohr. Das Auge bekam ohnehin nichts anderes.
Dabei hätte die ganze „Norma“ nach Schönheit verlangt. Die ganze! Nach Schönklang und raffinierter Regie.
- Termine: 16., 28.3., 27.4., 9., 22.5., 3.6.2014