Die mediale Vorbereitung war mustergültig: Nicht nur ein Buch zu Tankred Dorsts Ring-Inszenierung hatte der Süddeutsche Verlag herausgebracht, auch ein Hörbuch wurde gleich mitproduziert („Die Fußspur der Götter“, 232 Seiten bzw. 2 CDs). Was man als belehrende Verkürzung der Fahrt nach Bayreuth dankbar annimmt, entpuppt sich freilich bald als Vorahnung auf ein drohendes Fiasko. Die von Dorst selbst nicht eben enthusiastisch verlesenen Gedankensplitter kommen über die Beschreibung einzelner Szenenfragmente, wie sie sich rein äußerlich auf der Bühne abspielen könnten, kaum hinaus. Neben dem Mangel an interpretatorischen Ansätzen (von einem vagen „Die Götter sind unter uns“ abgesehen) erweist sich das Fehlen einer Reflexion über Personenbeziehungen als gravierendste Hypothek von Dorsts Vorarbeiten, während man die Seltsamkeit, dass von den darin dürftig enthaltenen Bildfindungen so wenig in die endgültige Inszenierung einfließt, nur mehr schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.
So wie vereinzelt Menschen aus der Gegenwart über die Bühne schlurfen, ohne dem Treiben der Götter Beachtung zu schenken, so beliebig die Versetzung sichtlich mythischer Gestalten in eine moderne Szenerie verläuft, so wenig scheint in Dorsts Augen Wagners kolossales Musiktheater mit uns heute zu tun zu haben. Wo Christoph Schlingensief im Parsifal bei allem Dilettantismus wenigstens ein gewisses Mitteilungsbedürfnis an den Tag legte, zieht Dorst sich hinter die teilweise immerhin reizvollen Bühnenbilder Frank Philipp Schlössmanns zurück und überlässt die Sänger als Darsteller sich selbst.
Ob Wotan (stimmlich unkultiviert und nachlässig in der Textbehandlung: Falk Struckmann) sich nun in der Fabrik, die nichts vom Unterdrücker Alberich ahnen lässt, Rheingold samt Ring und Tarnhelm schnappt, ob er Brünnhilde auf einer Europalette einschläfert oder unter der Autobahnbrücke Alberich zur Verhandlung mit Fafner animiert: Immer sind es dieselben abgegriffenen Gesten, das ewige sich Aufstützen, das Stampfen mit dem Speer, das als Personenführung herhalten muss. Nur das aufgelassene Klassenzimmer im ersten Siegfried-Akt bietet in der Frageszene reizvollere Konstellationen, wie überhaupt dieser Akt dank Gerhard Siegels agilem Mime der einzige einigermaßen kurzweilige ist.
In der Götterdämmerung täuscht das umfangreichere Personal im dekadenten Hotel Gibichungen dann größere Aktivität vor, als sich tatsächlich abspielt, ein Regiefehler (Gunther selbst und nicht der in Gunther verwandelte Siegfried teilt mit Brünnhilde das Nachtlager) führt die Meineid-Szene ad absurdum und man ist erleichtert, wenn endlich alles in Flammen aufgeht.
Dorsts Ring-Illustration – von einer Interpretation kann kaum gesprochen werden – offenbart eine Ratlosigkeit, wie sie sich in Bayreuth seit einigen Jahren breit macht. Wolfgang Wagner ist zwar bemüht, mit vermeintlichen Provokateuren und Quereinsteigern (Dorst war bekanntlich nur der wenig nahe liegende Notnagel nach der Absage Lars von Triers) eine gewisse Fortschrittlichkeit im Umgang mit dem ererbten Repertoire zu demonstrieren, der Grad des Gelingens oder wenigstens des produktiven Scheiterns ist aber dürftig.
Auch um den Gesang ist es in Bay-reuth nicht eben glänzend bestellt. Gerade einmal drei Künstler sind in der Lage, ihre Rollen mit den Mitteln der Stimme wirklich auszufüllen. Bei Mihoko Fujimuras klangschöner, immer wieder auch lyrisch zurückhaltender Erda beziehungsweise Waltraute und der subtil abschattierten Bassgewalt Hans-Peter Königs (Hagen) versteht man gar den Text, mit Abstrichen gelingt dies auch der wunderbar aufblühenden Adrienne Pieczonka als Sieglinde. Dass ausgerechnet ihr ein eher indiskutabler denn indisponierter Endrik Wottrich als Siegmund zur Seite stand, um dann (in der besuchten dritten Aufführung) erst im zweiten Akt durch den offensichtlich gut vorbereiteten Robert Dean Smith ersetzt zu werden, wirft ein fragwürdiges Licht auf die Besetzungspolitik.
Beachtlich (neben den Rheintöchtern und Walküren) immerhin noch Arnold Bezuyens überraschend belkantesker Loge, Andrew Shores etwas verkrampfter, aber intensiver Alberich, der mächtige Kwangchul Youn (Fasolt, Hunding), die für Gabriele Fontana eingesprungene Edith Haller als Gutrune und Stephen Gould bei seinem Rollendebüt als Siegfried. Sie alle aber – und dies ist ein für Wagners Musiktheater fataler Befund – sind nicht in der Lage, das Drama vom Text her stimmlich auszugestalten. Über weite Strecken sind also Vokalisen zu vernehmen, die sich mehr oder weniger wohlklingend über das Orchester erheben. Das Angebot Christian Thielemanns, der die Akustik im Festspielhaus bestens auf die Sänger abzustimmen weiß, wird ein ums andere mal ausgeschlagen. Somit ist es nur ein Teilerfolg, den der heftig umjubelte Bayreuth-Held mit dem ausgezeichneten Festspielorchester einfährt, zumal ihm gerade in Rheingold und Walküre über die differenzierte Klangmischung hinaus keine wirklich zwingende Interpretation gelingt. Vieles macht den Eindruck feinsinniger, in epischer Breite sich verströmender Kommentierung, ohne dass der dramatische Fluss wirklich vom Graben aus gestaltet würde. Erst ab dem ersten Siegfried-Akt belebt sich die Szenerie auch im Instrumentalen, in der Götterdämmerung treten die wie immer glänzend präparierten Chöre unterstützend hinzu. Auch das ist am Ende aber nicht mehr als Schadensbegrenzung.