Im operettig schön-schiefen Bild: Nicht einmal die Fledermaus kann der lustigen Witwe das Wasser reichen – was Verfilmungen angeht. Nach dem sensationellen Erfolg auf allen Bühnen der Theaterwelt okkupierte das neue Medium den Stoff in einem ersten Stummfilm: 1918 drehte ein Ungar „A Vig özvegy“ – und machte als Michael Curtiz mit „Casablanca“ später Filmgeschichte. Inzwischen hatten Stroheim und Lubitsch sehr unterschiedlich lustige „Witwen“-Filme gedreht, es häuften sich die Zitate in Filmen… und genau da setzte das Frankfurter Team um Regisseur Claus Guth an.
Im völlig dunklen Raum erklang von irgendwo vorne ein verlorenes „a“ von einem Klavier und dann wieder und wieder… als sich der schwarze Zwischenvorhang hob, gab er den Blick auf zwei heutige Künstlergarderoben frei. In der einen saß eine hübsche Frau im Schminkmantel verloren am Klavier und schlug in trister Stimmung immer wieder den einen Ton an. Dann übte sie gelangweilt ein paar Tonleitern zum Warmsingen und das Metronom tickte gnadenlos. Erst als eine Garderobiere ihr ein schönes grauschwarzes Abendkleid brachte, setzte aus dem Graben die Musik ein. Inzwischen war in die Nachbargarderobe ein hübsch angetrunkenes Mannsbild hereingetorkelt und auf der Couch sofort eingeschlafen. Dann schwenkten beide Räume auf der Drehbühne weg und gaben den Blick in einen großen Ballsaal frei: eine Frack-Gesellschaft walzte animiert, sang von Pontevedrinischem Geburtstag - bis eine am Rande stehende Figur plötzlich rief „Danke! Arbeitslicht!“ – und in der nüchternen Beleuchtung (perfekte Wechsel von Olaf Winter) wurde klar: wir sind in einer neuen „Witwen“-Verfilmung mit wiederholt genervtem Regisseur (typisch ohne Karikatur: Schauspieler Klaus Haderer), stoischem Steadycam-Mann und einer alles auffangenden und abpuffernden Assistentin.
Etwas zauberhaft Seltenes
Damit wurde der Abend über den etwas bemühten Beginn hinaus zu einem dramaturgisch hinreißenden Kaleidoskop mit ständig changierenden Facetten. Da war die Ebene, dass sich (in Christian Schmidts fabulös „echt-unechten“) Bühnenbauten die schönen Fassaden zu banal gestützten Deko-Wänden, alle Film-Traum-Welten zu herrlichen Illusionen wandelten - und umgekehrt. Da war die Ebene des Proben- und Theateralltags vom Schminkspiegel zum dreimaligen Wiederholen eines Auftritts, dazu wunderbar entlarvend von einem Assistenten auf einer Empore aus einem Sieb herabregnenden Rosenblättern zu „Wie eine Rosenknospe“ – Filmillusion vom Traumkitschigsten. Da war die Ebene, dass zwischen dem viril feschen Iurii Samoilov und der fraulich hinreißenden Marlis Petersen „früher mal was Ernsthaftes war“ - und sie jetzt als Danilo und Hanna aber deren Rollen-fixiertes „früher“ im „theatralischen Jetzt“ einer „Lustigen Witwen“-Handlung spielen mussten - und die Film-Aktionen sie aber prompt zurück versetzten ins damals reale Erleben - und das aber wieder bis in die derzeitigen Garderoben weiter wirkte... Damit gelang etwas zauberhaft Seltenes: der sonst meist „schöne Schmäh“ einer vorgestrigen Operettenhandlung wurde nicht mit moralinsaurem Zeigefinger und auch nicht mit „adornosch“ messerscharfer Intellektualität, aber eben doch dauernd gebrochen, als menschliche Realität dann wieder mal beglaubigt und sofort wiederum als mal falsches, dann wieder glaubhaftes Spiel vorgeführt. Lehár hatte einst geschrieben: „Die Gestalten, die da oben auf der Bühne singen und spielen, müssen lebendige Menschen sein, Menschen von Fleisch und Blut, die in unserer Mitte gelebt haben könnten. Also keine Posse mit Gesangseinlagen, keine mehr oder weniger sinnlose Handlung, die nur Vorwand und Gelegenheit dazu bieten soll, an passender und unpassender Stelle Modetänze und Schlager anzubringen“ – das erfüllte sich als theatralisches Vexierspiel zwischen Traum und Realität (Dramaturgie: Konrad Kuhn), gipfelnd in Hannas Frage „Wer bist du eigentlich?“ – möglich aber auch nur, weil Claus Guth eben ein Meister der Personenregie ist und sogar mehrfache Brüche feinsinnig und im Moment nachvollziehbar gestalten kann – Bravo für ihn und sein ganzes Team.
Ein musikalischer Triumph
Dazu kam dann auch ein musikalischer Triumph: das gesamte Ensemble gab Rollendebüts - und das mit Verve. Ramses Sigls rasante Choreographie verwischte oft die Grenze zwischen den 16 Tänzerinnen und Tänzern und dem von Tilman Michael so sicher einstudierten Chor, dass deren Tanzkarten-Jagd auf Hanna fast zur Menschenjagd wurde und dennoch „schön“ klang. Als Sahnehäubchen konnte Sängerscout-Intendant Bernd Loebe verbuchen, dass für die erkrankte Original-Valencienne seine Opernstudio-Entdeckung Elisabeth Reiter die Rolle kurzfristig und sängerdarstellerisch bruchlos übernahm und sich im rasanten Chanson-Galopp der Grisetten so frech hervortat, dass sie trotz tosendem Applaus den Herren im Publikum abwinken musste. Zweiter Triumph war, dass der gleichfalls aus dem Frankfurter Opernstudio zum begehrten Solisten gereifte Ukrainer Iurii Samoilov nicht nur vom Film-Regisseur fein ironisch für seinen echt balkanischen Dialekt gelobt wurde, sondern mit seinem höhensicheren Bariton dem Schlawiner Danilo eine herrlich un-tenorale Männlichkeit gab. Das Werben und Herausfordern von Hanna-Marlis als reifere Frau um dieses Mannsbild wurde glaubhaft – und Marlis Petersen sang keine Diva, sondern ließ das Innere einer Liebenden tönen. Und so lustig sie sich gab: am Ende tanzte sie noch hoffend hingegeben mit Danilo-Iurii von „Lippen schweigen“ – doch dann erstarrte die Filmszene; sie wand sich aus seinen Armen, er blieb im Film-Still starr zurück, sie kehrte allein in ihre öde Garderobe ans Klavier zurück und das Metronom vertickte abermals gnadenlos die Lebenszeit.
All das funkelte, knallte, fegte und hielt mal süß, mal fein inne und sprudelte nach präzisem Zeichen wieder los, denn mit Joana Mallwitz stellte die Oper Frankfurt – nach einer „Pelléas“-Serie – nun in einer anspruchsvoll gebauten Neuproduktion nochmals eine der großen Dirigentinnen-Hoffnungen vor: so temperamentvoll sprühend, dass sich das Staatstheater Nürnberg auf sie als GMD ab Herbst nur freuen kann.