Im Schillertheater setzt die Komische Oper Berlin ihren Mozart Da Ponte Zyklus fort. Kirill Serebrennikov hat jetzt „Le nozze di Figaro“ inszeniert und in das Ambiente eines nüchternen Spätkapitalismus übersetzt.
Von unten sieht man besser – „Le nozze di Figaro“ an Berlins Komischer Oper
Der aus Russland rausgeekelte Regisseur Kirill Serebrennikov hat es in kurzer Zeit geschafft, sich in die Spitzenriege der hierzulande etablierten ambitionierten Opernregisseure einzureihen. Nicht, weil er daheim drangsaliert wurde und dem repressiven Regime entkommen konnte, sondern, weil er allemal Auf- und Anregendes bietet. An der Komischen Oper in Berlin baut er gerade einen Da Ponte-Zyklus. „Così fan tutte“ hatte er schon in Zürich (noch vom Moskauer Hausarrest aus) ferninszeniert und dann inzwischen vor Ort in Berlin neu einstudiert. Jetzt war im Schillertheater „Le nozze di Figaro“ dran – im nächsten Jahr folgt dann noch der „Don Giovanni“. Für Puristen sind seine beherzten szenischen Zugriffe eher eine Prüfung. Für das eher neugierig unvoreingenommene Publikum allemal ein Theatererlebnis von Rang.
Die Bühne ist auch beim Figaro wieder ein Zweietagenbau. Der Guck- als Setzkasten sozusagen. Dieses Mal ist es ein Raum gewordenes soziales Gefälle. Oben der geräumige, geradezu aseptische Ausstellungsraum einer noblen Kunstgalerie (oder eines Privatanwesens der Oberklasse). Hier ist die attraktive Karolina Gumos als taffe Hosenanzugträgerin Marcellina zuständig. Das Personal, das die Kunstobjekte (die nach einer Melange aus Henry Moore und Jeff Koons, auf jeden Fall aber teuer aussehen) platziert, die Wände streicht, auch mal ein altes Bild restauriert und sich privat lustig über all das macht, hat die Spinde für seine Arbeitskleidung im beengten Kellergeschoss. Wo ein halbes Dutzend Waschmaschinen steht und dauernd gebügelt wird. Hier findet die Matratze für Figaro und Susanna kaum Platz. Selbst der Internetempfang ist hier unten mies – sie halten ihre Handys immer mal nach oben, um ins Netz zu kommen. Die digitalen Neusprechblasen kann man dann als Matratzen-Projektion mitlesen.
Die vorrevolutionäre Standesgesellschaft, wie sie vor allem Beaumarchais, aber auch Da Ponte und Mozart auf dem Kieker hatten, ist also in das Ambiente eines nüchternen Spätkapitalismus übersetzt, in dem Macht aus Eigentum oder Einkommen resultiert. Dass die Reichen und Mächtigen daraus auch ein Recht auf erotische Übergriffe ableiten, gehört zu den männlichen Verhaltensmustern. Von denen ist auch der Sympathieträger Figaro nicht ganz frei. Das belegen nicht nur seine drei Arien, die eine Art brachialen Machismo transportieren (wie es der Dirigent des Abends James Gaffigan nennt), sondern auch die Ruppigkeit, mit der Figaro im Schlusstableau seiner Susanna das von der Gräfin geborgte Kleid regelrecht vom Leib reißt und damit seine Vorstellung von der Ordnung der Dinge klarmacht.
Es ist nicht sicher, ob nach dieser Liebesheirat nicht auch schon Horvaths „Figaro lässt sich scheiden“ aus der Ferne grüßt. Oder, ob die im Keller dauerpräsente alte Frau (Susanne Bredehöft) als personifizierte Vergänglichkeit der Jugend, nicht auch die Vorwegnahme einer alten, einsamen Susanna sein könnte.
Zum hinzugefügten Personal gehört ein junger Mann (Nikita Elenev), der seine Präsenz im Hintergrund mit einem starken Solo-Auftritt krönt. Dass auch er sich einmal bis auf die Unterhose auszieht, gehört noch zum optischen Sound des Abends. Aber dann bindet er sich eine Fleischerschürze um, schnappt sich ein Messer, stürmt nach oben mitten in die Vernissage (zur Hochzeitsmusik) und meuchelt das im silbern funkelnden Paillettenlook angerückte Publikum. Als Performance. Eins der Kunstobjekte ist schließlich der Neonröhren-Schriftzug „Capitalism kills love“ an der Wand. Klingt nach allfälliger Kapitalismuskritik, stimmt aber nur zum Teil. In vorkapitalistischen Zeiten waren Liebesheiraten zwar ein Traum der Dichter, jedoch nur der Ausnahmeglücksfall in der Wirklichkeit. Aber sei’s drum. Der Text, der Anspruch und Grenzen von moderner Kunst und ihrer Suche nach Wahrheit reflektiert, den Don Bartolo (Tijl Faveyts)erst vorliest und der dann als Videolaufband, selbst zum Kunstobjekt geworden, noch einmal mitzulesen ist, den hätte man gerne im Programmheft wiedergefunden. Wie übrigens auch einen Hinweis auf die eingefügte innehaltende Streicher-Sequenz am Ende. Wobei dieses Stück aus einem Haydn Streichquartett von Mozart dem Grafen endlich mal ein paar Sekunden des Innehaltens verschafft, bevor er seine Frau um Verzeihung bittet. Was ihm ja sonst immer ziemlich unglaubwürdig plötzlich über die Lippen kommt. Auch, dass der zweite Akt mit dem „Soave sia il vento“ anfängt, das sich Gräfin, Susanna, Graf aus „Così fan tutte“ ausborgen, wirkt atmosphärisch schlüssig. Das gehört zu den Momenten, in denen sich der Abend die Kunstbehauptung der Bühne auf surreale Weise zu eigen macht und davon profitiert. Es gibt aber auch alle meist gestrichenen Arien von Marcellina, Bartolo und Basilio.
Der ambitionierteste Eingriff ist die Aufspaltung von Cherubino in eine singende Cherubina und einen stummen Cherubino. In dieser taubstummen Rolle drückt Georgy Kudrenko nur (aber was heißt hier nur!) mit seinem Körper, Tanz, Bewegung und Gebärdensprache die brodelnde Leidenschaft aus, die Susan Zarrabi als Cherubina dann in Gesang übersetzt. Männliche Körperlichkeit pur gibt’s beim Hechtsprung aus dem Fenster sogar splitternackt, oder im letzten Akt als versilberte Skulptur. Die Männer zeigen hier überhaupt gerne mal ihre famos trainierten Körper. Das virulente Begehren, das in der Musik zu hören ist, wird in dieser Inszenierung höchst glaubwürdig sichtbar. Die ausgeprägte toxische Seite des Grafen ist in einem kongenialen Schergen (mit einem grandiosen Rollenspiel des Perversen: Nikita Kukushkin) personifiziert.
Dieses entfesselte Theater funktioniert als Ganzes vor allem, weil Tommaso Barea ein in jeder Hinsicht dunkel attraktiver Figaro ist und Hubert Zapiór sein smart arroganter Gegenspieler als Graf Almaviva. Dass Susanna, die Frau ist, die hier eigentlich den größten Durchblick hat, wird von der beherzt frischen Penny Sofroniadou durchweg vorkam und darstellerisch beglaubigt. Nadja Mchantaf ist als Contessa längst desillusioniert, was die Dauerhaftigkeit von Liebesglück betrifft. Sie klingt auch melancholisch sanft. Johannes Dunz als Basilio und Peter Lobert als Antonio komplettieren das insgesamt überzeugende Protagonistenensemble.
Am Pult des Orchesters der Komischen Oper sorgt James Gaffigan durchweg für die zupackende Dramatik, die diese szenische Deutung herausfordert, setzt ihr aber auch musikalisches Innehalten entgegen und sichert den Sängern Raum zur Entfaltung.
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!