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Ersan Mondtag inszeniert Lyon Verdis „La forza del destino“. Foto: ® Jeanlouis Fernandez

Ersan Mondtag inszeniert Lyon Verdis „La forza del destino“. Foto: ® Jeanlouis Fernandez

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Vor einem Totenhaus – Ersan Mondtag inszeniert in Lyon Verdis „La forza del destino“

Vorspann / Teaser

Mit Giuseppe Verdis „La forza del destino“ hat die Mailänder Scala im letzten Dezember ihre berühmte Inaugurazione bestritten, also die Saison eröffnet. Mit Weltstars am Pult und auf der Bühne. In Lyon ist die „Macht des Schicksals“ jetzt eine der zentralen Produktionen der Oper. Musikalisch wäre ein direkter Vergleich unfair. Aber Daniele Rustioni und das Orchester der Oper Lyon reißen mit, dräuen, wenn’s militärisch wird, unterschlagen aber auch die leisen Töne nicht. Sie werden am Ende zu Recht bejubelt. Unter den Protagonisten macht Maria Barakova als Preziosilla mit vehementer Eloquenz als Frontfrau der Kriegsbegeisterung gewaltigen Eindruck. Bei den Männern liefert Arlunbaatar Ganbaatar als Don Carlo den Referenzpunkt für die Verdi-Stimmgewalt, der man nicht ausweichen kann. Vokal ist sein Porträt des auf Blutrache versessenen Bruders von Leonora atemberaubend. Aber auch der von schicksalhaftem Pech (und Carlo) dauerverfolgte Don Alvaro ist beim Tenor Riccardo Massi gut aufgehoben. Für Hulkar Sabirova ist es da (noch) eine ziemlich Herausforderung als Leonora restlos überzeugend mitzuhalten. 

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Nun braucht eine Verdi-Oper nicht wirklich eine „Umwegbegründung“. Auch für dieses Werk spricht, dass die Musik vom italienischen Großmeister an sich ist. Aber ein Zusatzargument ist in dem Falle hilfreich. So ganz von selbst versteht sich diese Spielplanentscheidung nicht. Der deutsche Regiealtmeister Peter Konwitschny etwa ist bei seiner Inszenierung der Vorlage dermaßen zu Leibe gerückt, dass eine ganz eigene „Linzer Fassung“ herauskam. Es war die wahrscheinlich kürzeste Version der Rezeptionsgeschichte. Bei ihm war nach neunzig pausenlosen Minuten Schluss. In Lyon muss man – mit Pause – schon fast vier Stunden Lebenszeit investieren. 

Ersan Mondtag hat sich mit einem halben Dutzend Opernarbeiten längst als findigster Gesamtkunstwerker seiner Generation (er ist etwa halb so alt wie Konwitschny) etabliert. Er stellt sich den Eigenarten des Werkes sozusagen frontal und nimmt sie als willkommene Vorlage für seine szenische Fantasie. Auch wenn die bei ihm in anderen Inszenierungen schon mit mehr Vehemenz explodierte. 

Diesmal beeindruckt er mit drei verschiedenen Bühnenräumen für ein Personal, das sich wie bei einer Zeitreise zusammenfindet. Teresa Vergho hat sich mit ihren Kostümen hier kongenial in die Ästhetik von Mondtag eingefügt. Der Chor scheint mit den warmen Farben und phantasievollen Hutkreationen einem Wimmelbild alter holländischer Meister entsprungen; bei den Krankenschwestern bilden nur die Hauben mit ihren bunnyhaften Insektenflügel am Kopf einen Verweis ins Absurde. Die blauen Uniformen der beständig in kriegerische Aktivitäten verwickelten Männer verweisen wiederum ebenso in die Gegenwart wie Preziosillas ärmelloses Kleid mit Schlitz im Dienste einer zeitlos zügellosen Kriegsbegeisterung steht. Die Kleriker haben es da von Hause aus einfacher, bei denen gehört Zeitlosigkeit zum immer schon angebotenen Selbstverständnis.

Der Clou der Inszenierung ist das zweite Bild. Nach einer wuchtigen, graphisch überblendeten imperialen Palastarchitektur, in der zwischen Säulen und unter Bögen mit Eifer Granaten gefüllt, also kriegsbereit gemacht werden, scheinen alle gelernt zu haben, die Bombe(n) zu lieben. Weil sie aber offensichtlich mit Handfeuerwaffen nicht umgehen können, fällt schließlich irgendwie auch der tödliche Schuss aus Carlos Waffe, obwohl der sie dem Vater der Geliebten ein paar mal in korrekter Haltung mit dem Griff nach vorn übergeben wollte.

Das Verhängnis oder Schicksal, das jetzt seinen Lauf nimmt, folgt also nicht individuellem Wollen oder Fehlverhalten, sondern der sichtbaren Macht der Verhältnisse. Für den zweiten Akt hat Mondtag eine sakrale Fassadenfront mit einem Wimmelbild des Grauens versehen. Es ist eine Art mittelalterliches Graffiti, bei dem keine Todesart fehlt, die der katholischen Kirche ihre Märtyrer bescherte bzw. die sie ungehorsamen Menschenkindern als Höllenqualen verkaufte. Hier öffnen sich nicht die Pforten der Hölle, hier ist sie der Fassadenschmuck. Mit Säulen aus Totenschädeln.

Auch das dritte Bild macht Eindruck – bei den Kinostuhlreihen denkt man schon deshalb an Truppenbetreuung, weil die Bühne ansonsten von Lazarettbetten beherrscht wird, die man in ein Gewölbe vielleicht unter dem Palast vom Anfang verlegt hat.

Am Ende schließlich, wenn auch dieser den institutionalisierten Glauben zur Kenntlichkeit entstellende Totenschädel-Bau auf dem Weg zur Ruine ist, zieren aufgespießte Köpfe und der Drehturm eines Panzers den Vorplatz. Da triumphiert einigermaßen folgerichtig auch der kollektive Wahnsinn. Wenn sich der Vorhang senkt, richten nämlich anrückende Choristen aus fernen Zeiten ihre Waffen auf Alfaro – es bleibt ihm keine Chance, den Wahnsinn zu durchbrechen. Mondtags Personenregie kommt einer gewissen Vorliebe zum Rampensingen nicht allzu sehr in die Quere. Die Inszenierung lebt vor allem von den kraftvollen und assoziationsstarken Bildern, die der Gesamtkunstwerker auch diesmal bietet.

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