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Komparserie, Bo Skovhus. Foto: Arno Declair
Komparserie, Bo Skovhus. Foto: Arno Declair
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Vorwärts, der Nase nach! – Die Hamburgische Staatsoper eröffnet die Spielzeit mit Dmitri Schostakowitschs „Die Nase“

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Ja wo läuft sie denn, wo läuft sie denn hin? So ließe sich trefflich wundern. Wann führt schon mal eine Nase ein von ihrem Besitzer losgelöstes Eigenleben. Macht Karriere als Staatsrat. Treibt ihren Besitzer durch ihre Abwesenheit zur Verzweiflung. Und bringt ein wenn nicht wohl- so doch zumindest geordnetes Gemeinwesen vollkommen durcheinander. Russland respektive die Sowjetunion waren (und sind?) in der Beziehung ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Unterm Zaren bei Nikolai Gogol, der 1836 die Novelle schrieb und bei Dmitri Schostakowitsch (1930) unter dessen rotem Nachfolger. Mit der Groteske kommt man dem zaristischen wie dem bolschewistischen Russland ziemlich nahe.

Die berühmt gewordene titelgebende Nase gehört eigentlich ins Gesicht von Kollegienassessor Platon Kusmitsch Kowaljow. In Hamburg dank Bo Skovhus eine wie immer bemerkenswerte Erscheinung. Mit und ohne Nase. Da sich die regieführende Hamburger Schauspielhaus-Chefin Karin Beier (ganz so wie jüngst die Altvorderen der Opernregie Harry Kupfer und Peter Konwitschny bei ihren Händelinszenierungen) gegen die Originalsprache und für eine deutsche Übersetzung entschieden hat, profitiert das Hamburger Publikum nicht nur vom Gesang und dem darstellerischen Charisma des Dänen, sondern auch von seinem vorzüglichen Deutsch. In die Textfassung von Ulrich Lenz (die auch Barrie Kosky an der Komischen Oper verwendet hat) haben sich natürlich auch ein paar Modernismen eingeschmuggelt. Beim Besuch der Anzeigenabteilung der Zeitung ist beispielsweise von „Fake News“ oder „Lügenpresse“ die Rede. Aber das bleibt moderat. Und bringt etwas Abwechslung in das Karussell des Aberwitzes, der immerhin knappe zwei Stunden über die Drehbühne wirbelt. Was sich zumindest im letzten Drittel dann doch etwas zieht, wenn Kowaljow seine Nase eigentlich schon zurück hat und sich mit der Frage plagt, wie er die wieder dazu bringen kann, dass sie dort bleibt, wo sie hingehört und nicht dauernd wieder abfällt. Da wird der „normale" Wahnsinn der Gesellschaft nochmal so vorgeführt wird, dass es dem Letzen klar wird.  

Wenn man bedenkt wie unsanft ein paar Jahre später mit der „Lady Macbeth von Mzensk“ des Komponisten umgegangen wurde, dann ist man schon erstaunt, dass „Die Nase“ 1930 in Stalins Reich noch uraufgeführt werden konnte. Nicht nur wegen des Inhalts, den man sich damals natürlich in die Vergangenheit dekretieren konnte. Auch wegen der unerschrockenen Modernität, die der damals Anfang Zwanzigjährige mit dem Parlandorhythmus, der schrägen Originalität des Perkussion-Intermezzos, dass in Hamburg sogar mit einem Szenenapplaus bedacht wird, da es die neun Musiker mit ihren Instrumenten von der Bühne aus präsentieren. 1930 stand die Lust am ästhetischen Aufbruch offenbar noch nicht unter Generalverdacht der roten Kulturkommissare. Kent Nagano, der mit dieser Oper schon 2002 in Berlin Unter den Linden recht erfolgreich war, lässt mit hörbarem Vergnügen die Puppen tanzen bzw. die Nasen laufen. 

Auch die Bühne von Stéphane Laimé hat wohl auch deshalb einen avantgardistischen Touch mit Hintersinn, erinnert ansatzweise an die kühnen Konstruktionen Wladimir Tatlins. Ein futuristisches Drehbühnengerüst mit Wachturm und angedeuteten Sektoren für alle Orte der Handlung. Mit einem riesigem Rasier-(oder Überwachungs-?)spiegel für den Barbier. Mit einem Küchenherd für die Köchin, der die Nase in ihren Teig gerät, den sie mit Inbrunst knetet. Mit einem dreigeteilten Bildschirm, der bei Bedarf wie ein Flügelaltar über einer Abendmahlstafel voller Kerzen schwebt, in deren Zentrum die Riesennase Platz nimmt. Und als Hintergrund für die dauernd durchs Bild trabenden Soldaten ohne Uniform aber mit Schirmmütze, Stalin-Schnauzer und Kalaschnikow vor der Brust, die ebenso extrem ausgepolstert ist, wie die Hinterteile. Eva Desseckers Kostüme sind hier der sozusagen nackte Wahnsinn. 

In den Videoeinspielern (Video: Meika Dresenkamp, Severin Renke) sieht man manchmal den nasenlosen Kowaljow, aber auch mal Straßenszenen. Mit Volk und Polizei. Mit ziemlich gegenwärtig aufgerüsteter Mannschaft mitten in Hamburg. Aber das bleibt Andeutung bzw. Behauptung mit der Tendenz zum Alibi. Der Horror hinter der Groteske ist hier immer hübsch brav maskiert. 

Skovhus bleibt das Kraftzentrum, aber auch Bernhard Berchtold (als Nasen-Staatsrat), Gideon Poppe (Iwan) oder Kristof Van Boven (mit seiner Nonsensrede als Hüsrev-Mirza) profilieren sich mit ihren Rollen – manchmal auch gegen ihre Maskierung. 

Für ein glaubwürdiges Chaos der ausbrechenden Massenhysterie bei der Jagd nach der entlaufenen Nase schafft das offene Bühnenbild zumindest einen ähnlich gewichtigen Beitrag wie die Choreografie von Altea Garrido bei der (Ver-)Führung der Massen. Die Chöre sind jedenfalls von Eberhard Friedrich und Christian Günther präzise einstudiert und auf der Höhe ihrer beachtlichen Aufgaben. 

Der wie immer mit Transparenz und Klarheit zu Werke gehende Kent Nagano entfesselt und bändigt sein Schostakowitsch-Feuerwerk und kostet Grenzüberschreitungen der Musik ins Geräuschhafte ebenso aus, wie ihr Davongaloppieren. Etwa, wenn rhythmische Splitter vorwegnehmen, was in der „Lady Macbeth von Mzensk“ mit voller Kraft zuschlägt. So wie die repressive Faust des Diktators, der mit dem Chaos-statt-Musik-Verdikt, die ganze Oper in den Zensur-Gulag schickte. 

Dass die Nase jenseits der Politsatire über Verluste, Stigmatisierung und Ausgrenzung auch ein Spiel mit den Ängsten vorm Versagen der Potenz eines Mannes ist, liefert die Vorlage für den finalen szenischen Kalauer. Da wird dem wieder benasten, dafür aber genauso wie alle anderen jetzt auch ausgestopften Kowaljow ein Glas mit einem eingelegten Körperteil vor die Nase gehalten. Erschrocken blickt der in seinen Hose. Was natürlich die erwarteten Lacher zum Schluss einbringt. Dann folgte der Beifall für eine gelungene Saisoneröffnung.

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