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Foto: N. Klinger
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„W“ – wie Walhall ? – Wagners „Rheingold“ in Kassel eröffnet die Spielzeit

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Die Oper in Kassel verweist mit einigem Stolz darauf, dass das aktuelle „Rheingold“ der Auftakt zum bereits fünften „Ring“ seit 1961 am Haus ist. Zu den beiden entscheidenden Deutungen, die Patrice Chéreaus Jahrhundert-Ring von 1976 unmittelbar den Boden bereiteten, gehört neben der Inszenierung von Joachim Herz in Leipzig auch die Interpretation von Ulrich Melchinger und Gerd Albrecht in Kassel (1970–1974). Hier also sieht ein kundiges Publikum mit vergleichenden Erwartungen der jeweils nächsten Deutung entgegen. Damit ist jedes Regieteam einem höheren Erwartungsdruck ausgesetzt, als an anderen Opernhäusern.

Oberspielleiter Markus Dietz setzt sich jetzt mit seinem „Rheingold“, für das Ines Nadler die Bühne und Henrike Bromber die Kostüme beisteuern, von der Tradition einer auf den ersten Blick als solche erkennbaren politischen Kapitalismuskritik ab. Der Raum bleibt abstrakt, die Zeit im Heute angesiedelt. Während des (im Graben noch ruckelnden) Vorspiels stehen sich Alberich und Wotan stumm gegenüber. Der eine unten, der andere weiter oben auf der reichlich genutzten Hebebühne. Wotan setzt mit leuchtendem (Neon-)Speer im wahrsten Wortsinn den (Neon-)Rahmen für die Geschichte. Als Rhein genügt ein Wasserbecken. An das sagenhafte Gold erinnert ein entsprechender Vorhang aus Glitzer-Lametta. Wenn Alberich es stiehlt, entschwindet der einfach in den Schnürboden.   

Das Weltherrschaft signalisierende Wahlhall ist auf ein mächtiges „W“ aus gleißenden Neonröhren reduziert. „W“ wie Walhall. Das fahrbare Gerüst, das diese Buchstaben-Installation trägt, kann man auch erklimmen, so als wäre es jene Burg, für die sie steht. Bei der Finanzierung hat Wotan auf einen windigen Tipp von Feuer-Halbgott Loge vertraut. Und ausgerechnet mit Freia (Jaclyn Bermudez) die Göttin an die Riesen verpfändet, die für die ewige Jugend der Götter zuständig ist. Auf der anderen Seite in Nibelheim, also in der hochfahrenden Unterbühne, ist auch Alberich ins Rennen um die Weltmacht gegangen. 

Als die drei Rheintöchter (Woglinde: Elizabeth Bailey, Wellgunde: Marie-Luise Dreßen, Floßhilde: Marta Herman) wie Table-Tänzerinnen am Wasserbecken planschen und eine Gemeinde von über 60 nur mit weißer Unterwäsche bekleideten, wie von der Straße gecasteten Zuschauern räkelnd deren Geplapper folgen, war Alberich plötzlich zwischen ihnen aufgetaucht. Er hatte sich da zwar vor aller Augen zum Affen machen lassen, aber der Liebe abgeschworen und den Damen das Licht ausgeknipst. Man sieht zwar kein gestohlenes Gold in seinen  Händen, sondern nur das Goldlametta entschwinden, aber die Folgen für das Publikum der leichten Damen sind beachtlich. Eben noch ihrem Hedonismus frönende Zeitgenossen, finden sie sich in Nibelheim und unter der Knute von Alberich wieder. Bis aufs Hemd entblößt – jetzt nicht nur wortwörtlich, sondern auch im übertragenen Sinne. Über ihnen steht plötzlich Alberich – als der Herr über seinen Bruder Mime und den Rest seines Human Kapitals. Damit es daran keinen Zweifel gibt, prügelt er den einen blutig und erschießt zur Abschreckung aller anderen einen Nibelungen. 

Ohne Dresscode für Götter

Also doch Kapitalismuskritik in Gestalt eines Bildes von strukturellen Abhängigkeiten? Zumindest so ungefähr ist es wohl gemeint. Wotan (solide: Bjarni Thor Kristinsson) ist eine biedere Mischung aus Clanchef und Familienvater. Ohne Dresscode für Götter.

Markus Dietz sucht den Weg der Abstraktion, um zu seiner Ring-Wahrheit zu kommen. Lässt aber die Götter sehr konkret altern. Als ihnen Freias Äpfel entzogen werden, brauchen sie Rollatoren und Rollstuhl. Wenn Freia bei ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft der Riesen eine Runde Äpfel ausgibt, darf man sich immerhin über das Detail amüsieren, was man die Frage nach dem Rest beantwortet, wenn ein Apfel tatsächlich auf der Bühne wegschnurpst wird. Die Antwort geht von Wegschmeißen, über auf den Rollator legen bis in die Tasche stecken. Aber das ist Nebensache. 

Eine Hauptsache ist der Schatz aus Menschen. Die werden selbst zum Lösegeld, das Wotan für Alberichs Freilassung erpresst und dann an die Riesen (der etwas zu belcantistische Marc-Olivier Oetterli als Fasolt und Rúni Brattaberg als Fafner) auszahlen muss. Bei der Umsetzung freilich kollidiert der Gedanke mit der Methode. Wenn Gegenwart wie hier vor allem durch die illustrierende Anwesenheit von Zeitgenossen auf der Bühne behauptet wird, merkt man das halt allzu überdeutlich.  

Am Ende geht Wotan allein auf die Rampe zu. Dort nimmt ihn jene Göttin Erda (Edna Prochnik) in die Arme, die ihm zuvor das Ende seiner Welt an die Wand gemalt hatte. Und auf die Wotans Gattin Fricka ziemlich eifersüchtig war. Nicht ganz zu Unrecht wie man sehen kann…

Aus dem professionellen Protagonisten-Ensemble ragt Lothar Odinius als eloquenter Loge mit charaktervoller Stimme deutlich heraus. Sein großer Monolog über seine Reise durch die Welt hätte nicht des aufwendigen Über-Berg-und-Tal-Videos (David Worm) im Hintergrund bedurft. Thomas Gazheli sang sich beim Ring-Fluch Alberichs fast die Seele aus dem Leib, was durchaus berührte. Seinen höchst merkwürdigen Umgang mit den Vokalen überdeckte das nicht. Tadellos hingegen die Fricka von Ulrike Schneider. Mit der wird Wotan noch seine Probleme kriegen. Die Zuhörer hatten mit dieser exzellenten Wortverständlichkeit und genau dosierten Klarheit ihre Freude! Neben dem stimmgewaltigen Donner Hansung Yoo fiel bei den Göttern Tobias Hächler als Sonnyboy Froh aus dem Rahmen und auf. Über seine Regenbogen-Brücke ließ sich leichten Fußes gehen. Auch der Mime war bei dem wagnererfahrenen Arnold Bezuyen in einer so sicheren wie charakteristischen Kehle. Im Graben ist der Ring Chefsache – GMD Francesco Angelico kommt mit dem Staatsorchester auch in Fahrt – musste aber doch erst einige Unsicherheiten überwinden, hielt (noch) nicht immer die innere Spannung, die man sich wünscht. Hier bleibt auch in einem so ringerfahrenen Haus noch Luft nach oben. Aber das große „W“ steht auch für Weitermachen!

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