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Foto: © N. Klinger
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„W“ – wie Walküre – Markus Dietz inszeniert am Staatstheater Kassel Richard Wagner

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In Kassel kommt der neue Ring auf Touren – nach einem erfolgreichen Start mit dem Rheingold begeistern Regisseur Markus Dietz und GMD Francesco Angelico mit einer packenden „Walküre“. Joachim Lange sieht eine Inszenierung, die nicht auf billige Effekte aus ist.

Am Anfang stand das „W“ für Walhall. Die Rieseninstallation aus Neonröhren mit emporio-armani-Anmutung ersetzte im neuen Kassler „Rheingold“ (zur Spielzeiteröffnung – unser Bericht) komplett die ergaunerte Götterburg. Vielleicht stand es ja auch für den Gott Wotan – oder wenn man es als augenzwinkernden Kalauer nimmt, gleich noch für Wagner selbst. Dieses große Neon-W taucht auch jetzt in der „Walküre" wieder auf. Und es passt auch hier! Diesmal gleich noch als Kürzel für den Titel. Bühnenbildnerin Mayke Hegger hat es von ihrer Kollegin Ines Nadler aus dem „Rheingold“ übernommen. Als optisches Leitmotiv in einer Tetralogie, die das Lehrbeispiel für musikalische Leitmotive ist. 

Der Kassler Oberspielleiter Markus Dietz, der den nunmehr fünften (!) Ring in Kassel seit 1961 schmiedet, überlässt den beiden Damen die Bühne für jeweils zwei Ringteile. Nadler wird im „Siegfried“ und Hegger in der „Götterdämmerung“ zum Zuge kommen. Bisher lieferten beide einen überzeugend klaren, gänzlich entrümpelten, aber doch assoziationsoffenen Rahmen für ein kammerspielartiges Ausloten der einzelnen, auch für sich stehenden Teile. Ohne den Ehrgeiz, den landauf landab durchbuchstabierten Welterklärungs- und Kapitalismuskritikversuchen eine weitere Variante hinzuzufügen. (Zu den echten Marksteinen der Ring-Rezeption von Joachim Herz (Leipzig) und Patrice Chéreau (Bayreuth) gehört auch Ulrich Melchingers und Gerd Albrechts Kassler Variante von 1970-1974.) 

Weil Dietz auf der Suche nach dem Exemplarischen bewusst alles Mythische beiseite räumt, ist es nicht verwunderlich, dass Sieglinde in einem clean gestylten Raum, der nur durch einen langen Tisch und Wandfächer mit illustrer Getränkeauswahl an eine Behausung erinnert, immer wieder die Traumata ihrer Kindheit und Jugend durchlebt. Zum stürmischen, nervös pulsenden Vorspiel verschwindet die helle Rückwand von Sieglindes Gegenwart. Im Dunkel der Hinterbühne ist gleich zu Beginn der Überfall zu sehen, der sie in die Hände einer Männerhorde fallen ließ, die sie an Hunding (düster: Yorck Felix Speer) verschacherte. Diese Männer verlachen sie dabei so höhnisch, wie ihre Hunde bellen. Zu Wotans großem Rückblende-Selbstgespräch wird in einem Video hinter dem W dezent an all das erinnert, was im „Rheingold“ passierte. Mit einer Truppe von Statisten wird verdeutlicht, was die Walküren eigentlich wirklich so treiben. 

Den Walkürenritt gibt es als eine regelrechte Show, bei der elegante Damen amazonenhaft wie Dominas halbnackte männliche Musterexemplare an der langen Leine zu sich zerren, um sich mit ihnen zu vergnügen. Wobei ihnen egal ist, was mit ihren – in dem Falle männlichen – Lustobjekten passiert. 

Nicht auf den billigen Effekt aus

Die Melange aus Macht, Sex und Gewalt, die die „Walküre“ durchwandert, findet nicht nur in dieser Schlüsselszene eine exemplarische szenische Entsprechung. Es gibt auch sonst dauernd einen erotischen Funkenflug. Im ersten Aufzug zwischen Siegmund und Sieglinde sowieso. Bei den Geschwistern höchst glaubwürdig mit einem kammerspielartigen Crescendo der gegenseitigen Anziehung. Nothung wird gewöhnlich nicht so deutlich dekodiert. Bei Dietz landet Sieglinde erst zwischen den Beinen ihres Bruders und dann das Schwert zwischen ihren Schenkeln. Aber auch das bleibt im Rahmen einer assoziativen Ästhetik, die nicht auf den billigen Effekt aus ist.  

In seiner Kassler Inszenierung wuchert ein gelernter Schauspielregisseur mit seinen Pfunden und liefert eine Personenregie, die ihr Charisma der Überzeugungskraft der Musik hinzufügt. Sowohl der nicht nur wälsungenruf-starke Martin Iliev als strahlender Siegmund und die hinreißende Nadja Stefanoff als Sieglinde, als auch Ulrike Schneider (wiederum) als beinhart argumentierende und glasklar artikulierende Fricka und der standfeste Egils Silins als konditionsstark markiger Wotan der Spitzenklasse ließen sich voll darauf ein.  

Der große verbale Schlagabtausch zwischen Wotan und Fricka wird zu einem Grundsatzdiskurs, der nur auf den ersten Blick nach dem Ehekrach aussieht, der er ja auch ist. Wenn sie mit der Harley ankommt, Wotan argumentativ zu Kleinholz verarbeitet und dann ohne Harley, aber eng umschlungen mit ihrem Kradfahrer wieder abzieht, ahnt man, welche unverfrorene Entschlossenheit konservative „Revolutionärinnen“ an den Tag legen können.  

Klar, dass die Brünnhilde Nancy Weißbach trotz ihres auf den ersten Blick und den ersten Ton hin sofort erkennbaren Walkürenformates dagegen nicht ankommt. Weil sie eben doch Wotans Willen ist und bleibt. Selbst dann, wenn sie gegen ihn rebelliert. Für Brünnhilde hat Dietz einen seiner apartesten Einfälle reserviert: die Todesverkündigung erklingt hinter unser aller Rücken aus der Tiefe des Zuschauerraumes. Zu sehen ist die Walküre diesmal wirklich nur für Siegmund! Dass allein er sie sehen kann, behauptet sie ja immer. In Kassel hat man’s erlebt. Jedenfalls beinahe – hier ist Sieglinde auch in dieser Situation wachen Auges an seiner Seite.

Mag sein, dass die Ringaffinität gerade dieses Theaters das aktuelle Ring-Unternehmen begünstigt. Mit GMD Francesco Angelico bieten die Musiker im Graben jedenfalls schon mit dem ersten Akt die atemlose Spannung auch musikalisch, die auf der Bühne behauptet wird. Und das bleibt so, immer in der Balance mit den Sängern auf der Bühne. So wie Kassel mit den ersten beiden Ringteilen gestartet ist, möchte man das große W ab jetzt auch als ein „Weiter so!“ verstanden wissen.

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